Das Geheimnis der alten Mamsell. Eugenie Marlitt
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Das Geheimnis der alten Mamsell - Eugenie Marlitt страница 2
Der Dicke brummte etwas von »heilloser Wirtschaft« in den Bart; aber er verließ seinen Posten und tappte mit den anderen vorwärts. Das war ein schreckliches Stück Arbeit! Faustdick hingen sich Erdsohlen an die Jagdstiefeln, und hier und da sank ein unsicher tappender Fuß mit aller Vehemenz in eine Pfütze, deren alterierter Wasserspiegel sich sofort in Fontänenform über die Köpfe und Flausröcke der drei Unglücklichen ergoß. Sie erreichten aber doch ohne ernstlichen Unfall den Fahrweg, und nun wurde tapfer und wohlgemut drauf losgeschritten. Selbst der Doktor gewann allmählich seine gute Laune wieder; er brummte mit einem fürchterlichen Basse: »Zu Fuß sind wir gar wohl bestellt, juchhe!« etc.
In der Nähe der Stadt tauchte ein Licht aus der Finsternis auf; es kam in stürmischer Eile auf die Wandernden zu, und Hellwig erkannte alsbald in dem breiten, fröhlich lachenden Gesicht, das sich in greller Beleuchtung über die Laterne erhob, seinen Hausknecht Heinrich.
»Ja, herrje, Herr Hellwig, sind Sie's denn wirklich?« schrie der Bursche. »Die Madame denkt, Sie liegen mausetot da draußen!«
»Woher weiß denn meine Frau schon, daß wir Unglück gehabt haben?«
»Ja, sehen Sie, Herr Hellwig, da ist heute abend eine Kutsche mit Spielern angekommen« – der ehrliche Bursche hatte für Schauspieler, Taschenspieler, Seiltänzer und dergleichen nur diese eine Rubrik – »und wie die Kutsche in den Löwen eingefahren ist, da war das Beest, unser Rappe, hintendran, als ob er dazu gehörte. Der Löwenwirt kennt ihn ja, unseren Alten, und hat ihn gleich selbst gebracht ... Na, aber der Schreck von der Madame! Sie hat mich gleich fortgeschickt mit der Laterne, und Friederike muß einen Kamillenthee kochen.«
»Kamillenthee? ... Hm, ich meine, ein Glas Glühwein oder wenigstens ein Warmbier wäre vielleicht zweckmäßiger gewesen.«
»Ja, das meinte ich auch, Herr Hellwig; aber Sie wissen ja, wie die Madame –«
»Schon gut, Heinrich, schon gut. Jetzt gehe du voran mit der Laterne. Wir wollen machen, daß wir heimkommen.«
Auf dem Marktplatze trennten sich die drei Leidensgefährten mit stummem Händedrucke; der eine, um pflichtschuldigst seinen Kamillenthee zu trinken, und die anderen in dem niederschlagenden Bewußtsein, daß ihrer eine Gardinenpredigt daheim warte. Denn die Frauen waren der »noblen Passion« ihrer Eheherren ohnehin nicht hold, und nun lag die Jagdbeute, das einzige Beschwichtigungsmittel, zerquetscht draußen unter der umgestürzten Chaise, und das mit zähem Schlamme bedeckte Jagdkostüm verwandelte sicherlich schon die erste Umarmung in einen jähen Zornausbruch.
Am anderen Morgen klebten an allen Straßenecken rote Zettel, welche die Ankunft des berühmten Eskamoteurs Orlowsky und seine ausgezeichneten Kunstleistungen ankündigten, und eine junge Frau ging von Haus zu Haus, um Billets zu den Vorstellungen anzubieten ... Sie war sehr schön, diese Frau, mit ihrem prächtigen, blonden Haare und der imposanten Gestalt voll Adel und Anmut; aber das liebliche Gesicht war blaß, »blaß wie der Tod«, sagten die Leute, und wenn sie die goldig bewimperten Lider hob, was nicht häufig geschah, da brach ein rührend sanfter, aber thränenvoller Blick aus den dunkelgrauen Augensternen.
Sie kam auch in Hellwigs Haus, das stattlichste am Marktplatz.
»Madame,« rief Heinrich in das Zimmer im Erdgeschosse, während er den hellpolierten Messingknopf an der glänzend weißen Thür in der Hand behielt, »die Spielersfrau ist draußen!«
»Was will sie?« rief eine weibliche Stimme streng zurück.
»Ihr Mann spielt morgen, und da möchte sie gern eine Karte an die Madame verkaufen.«
»Wir sind anständige Christen und haben kein Geld für solche Faxereien – schick sie fort, Heinrich!«
Der Bursche schloß die Thür wieder. Er kratzte sich hinter den Ohren und machte ein sehr verlegenes Gesicht; denn die »Spielersfrau« mußte ja jedes Wort gehört haben. Sie stand auch einen Augenblick wie zusammengebrochen vor ihm: eine fliegende Röte war in ihr bleiches Gesicht getreten, und ein schwerer Seufzer hob ihre Brust ... Da wurde leise ein kleines Fenster geöffnet, das in die Hausflur mündete; eine unterdrückte Männerstimme verlangte ein Billet – es wurde in Empfang genommen, und ein harter Thaler glitt dafür in die Hand der jungen Frau. Ehe sie nur aufblicken konnte, war der Fensterflügel wieder geschlossen, und ein grüner Vorhang hing in dichten, undurchdringlichen Falten hinter den Scheiben. Heinrich öffnete mit einem linkischen Kratzfuße und gutmütig lächelnd die Hausthür, und die Frau schwankte hinaus, schwankte weiter auf dem Wege voller Dornen und Stacheln.
Der Hausknecht nahm ein Paar blankgewichster Stiefel, die er vorhin bei dem Erscheinen der Frau niedergesetzt hatte, wieder auf und trat in das Zimmer seines Herrn, der sich uns jetzt im vollen Tageslichte als einen kleinen, älteren Mann mit einem mageren, blassen, aber unendlich gutmütigen Gesicht zeigt.
»Ach, Herr Hellwig,« meinte Heinrich, nachdem er die Stiefel an den gehörigen Platz gestellt hatte, »das war wirklich recht schön, daß Sie eine Karte gekauft haben! Die arme Frau sieht ja aus wie 's Leiden Christi; sie dauert mich, und wenn zehnmal ihr Mann sein Brot nicht ehrlich verdient ... Er hat hier so kein Glück – denken Sie einmal an mich, Herr Hellwig!«
»Warum denn nicht, Heinrich?«
»Ja, weil der Racker, unser Rappe, sich wie eine Klette an den Wagen gehängt hat, wie er zum Thore hereingefahren ist – das bedeutet nicht Gutes – das Unglücksvieh kam ja justament von einem Unglücksplatze ... Passen Sie mal auf, Herr Hellwig, was ich gesagt habe, die Leute haben kein Glück!«
Er schüttelte seinen dicken Kopf und ging, da sein Herr auf die Prophezeiung hin weder ein Für noch Wider verlauten ließ, wieder in die Hausflur, um die Strohmatte vor der Thür der strengen Madame regelrecht zu placieren; die fremde Frau hatte unbewußt mit dem Fuße daran gestoßen.
Kapitel 2
Der Rathaussaal war gedrängt voll Zuschauer, und immer noch strömten die Menschen die Treppe herauf. Heinrich stand im dichtesten Gedränge und suchte sich schimpfend Luft zu machen mittels derber Püffe und heimlicher Attacken auf die Hühneraugen seiner Nächsten. »Herr Jesus, wenn das die Madame wüßte, das gäb' ein Donnerwetter! – Der Herr müßte gleich morgen in aller Frühe zur Beichte,« flüsterte er vergnüglich schmunzelnd einem Nachbar zu, indem er seinen schwieligen Zeigefinger nach einem der erhöhten Sitze an der Seitenwand des Saales ausstreckte. Dort saß Herr Hellwig in Gesellschaft seines Leidensgefährten, des Doktor Böhm. Es hatte dem ehrlichen Burschen Mühe genug gekostet, seinen schmächtigen Herrn herauszufinden: denn die Honoratioren waren stark vertreten. Das Programm versprach aber auch lauter neue Wunderdinge, und der Schluß desselben lautete folgendermaßen:
Madame d'Orlowska erscheint als Schildjungfrau. Sechs Mann Militär werden mit scharfgeladenem Gewehre auf sie schießen, und sie wird mit einem Hiebe ihres Schwertes die sechs Kugeln in der Luft zerhauen.«
Die Bewohner von X. waren hauptsächlich gekommen, um sich von der Wahrheit dieses Wunders überzeugen zu lassen. Die schöne, junge Frau hatte das allgemeine Interesse geweckt, und jeder mochte gern wissen, wie sie wohl aussehe, wenn sie die Feuerrohre auf sich gerichtet wüßte ... Es gelang übrigens auch dem Taschenspieler, die Aufmerksamkeit des Publikums für seine Kunstleistungen zu gewinnen. Er war, was die Frauen einen interessanten Mann zu nennen pflegen. Mittelgroß, von schlanker, biegsamer Gestalt, mit regelmäßigen, aber bleichen Zügen, braunen Locken und ausdrucksvollen Augen, zeigte er sehr elegante Manieren, und sein eigentümlich klingendes