Das Geheimnis der alten Mamsell. Eugenie Marlitt
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Читать онлайн книгу Das Geheimnis der alten Mamsell - Eugenie Marlitt страница 5
Sie öffnete die Thür, die nach der Küche führte, und rief die Köchin herein.
»Friederike, ziehe dem Kinde die Sachen wieder an,« befahl sie, auf Kapuze und Mantel der Kleinen deutend, die noch am Boden lagen.
»Du gehst augenblicklich in die Küche zurück!« gebot Hellwig mit lauter, zorniger Stimme und zeigte nach der Thür.
Die verblüffte Magd verschwand.
»Du treibst mich zum Aeußersten durch deine Härte und Grausamkeit, Brigitte!« rief der erbitterte Mann. »Schreibe es daher dir und deinen Vorurteilen zu, wenn ich dir jetzt Dinge sage, die sonst nie über meine Lippen gekommen wären ... Wem gehört das Haus, das du, wie du sehr irrigerweise behauptest, zu einem Tempel des Herrn gemacht haben willst? – Mir ... Brigitte, du bist auch als arme Waise in dies Haus gekommen – im Laufe der Jahre hast du das vergessen, und, Gott sei es geklagt, je eifriger du an diesem sogenannten Tempel gebaut, je mehr du dich befleißigt hast, den Herrn und die christliche Liebe und Demut auf den Lippen zu führen, um so hochmütiger und hartherziger bist du geworden ... Dies Haus ist mein Haus, und das Brot, welches wir essen, bezahle ich, und so erkläre ich dir entschieden, daß das Kind bleibt, wo es ist ... Und ist dein Herz zu eng und liebeleer, um mütterlich für die arme Waise zu fühlen, so verlange ich wenigstens von meiner Frau, daß sie in Rücksicht auf meinen Willen dem Kinde den nötigen weiblichen Schutz zu teil werden läßt ... Wenn du nicht dein Ansehen bei unseren Leuten verlieren willst, so triff jetzt die nötigen Anordnungen zur Aufnahme des Kindes – außerdem werde ich die Befehle geben.«
Nicht ein Wort mehr kam über die weißgewordenen Lippen der Frau. Jede andere würde wohl in einem solchen Augenblicke der völligen Ohnmacht zu der letzten Waffe, den Thränen, gegriffen haben; aber diese kalten Augen schienen den süßen, erleichternden Quell nicht zu kennen. Dieses völlige Verstummen, diese eisige Kälte, mit der sich die ganze Frauengestalt förmlich panzerte, hatte etwas Beängstigendes und mußte jedem anderen die Brust zuschnüren ... Sie griff schweigend nach einem Schlüsselbunde und ging hinaus.
Mit einem tiefen Seufzer nahm Hellwig die Kleine bei der Hand und ging mit ihr im Zimmer auf und ab. Er hatte einen furchtbaren Kampf gekämpft, um diesem verlassenen Wesen eine Heimat in seinem Hause zu sichern, er hatte seine Frau tödlich beleidigt; nie, nie – das wußte er – vergab sie ihm die bitteren Wahrheiten, die er ihr eben gesagt hatte, denn sie war unversöhnlich.
Kapitel 4
Unterdes stellte Friederike einen kleinen Zinnteller mit einem Kinder-Eßbesteck und einer frischen Serviette auf den Tisch. Zugleich klingelte es draußen, und gleich darauf öffnete Heinrich die Zimmerthür und ließ einen kleinen, ungefähr siebenjährigen Knaben eintreten.
»Guten Abend, Papa!« rief der Kleine und schleuderte die Schneeflocken von seiner Pelzmütze.
Hellwig nahm den blonden Kopf seines Kindes zärtlich zwischen seine Hände und küßte es auf die Stirn.
»Guten Abend, mein Junge,« sagte er; »nun, war es hübsch bei deinem kleinen Freunde?«
»Ja; aber der dumme Heinrich hat mich viel zu früh geholt.«
»Das hat die Mama so gewünscht, mein Kind ... Komm her, Nathanael, sieh dir einmal dies kleine Mädchen an – es heißt Fee –«
»Dummheit! ... wie kann sie denn ›Fee‹ heißen – das ist ja gar kein Name!«
Hellwigs Auge streifte gerührt über das kleine Geschöpfchen, das Elternzärtlichkeit selbst mittels des Rufnamens poetisch zu verklären gesucht hatte.
»Ihr Mütterchen hat sie so genannt, Nathanael,« sagte er weich; »sie heißt eigentlich Felicitas ... Ist sie nicht ein armes, armes Ding? Ihre Mama ist heute begraben worden; sie wird nun bei uns wohnen, und du wirst sie lieb haben, wie ein Schwesterchen, gelt?«
»Nein, Papa, ich will kein Schwesterchen haben.«
Der Knabe war das treue Abbild seiner Mutter. Er hatte schöne Züge und einen merkwürdig klaren rosigen Teint; aber er hatte auch die häßliche Gewohnheit, das Kinn auf die Brust zu drücken und mit seinen großen Augen unter der gewölbten Stirn hervor nach oben zu schielen, was ihm einen Ausdruck von Heimtücke und Verschlagenheit gab. In diesem Augenblicke bog er den Kopf noch tiefer als sonst gegen die Brust, hob den rechten Ellbogen wie zu trotziger Abwehr in die Höhe und sah unter demselben mit einem bösartigen Ausdrucke nach dem Kinde hinüber.
Die Kleine stand dort und zog und zerrte verlegen an ihrem Röckchen; der bedeutend größere Junge imponierte ihr offenbar, aber allmählich kam sie näher, und ohne sich durch seine gehässige Stellung abschrecken zu lassen, griff sie mit leuchtenden Augen nach dem Kindersäbel, der an seinem Gürtel hing. Er stieß sie zornig zurück und lief seiner Mutter entgegen, die eben wieder eintrat.
»Ich will aber kein Schwesterchen haben!« wiederholte er weinerlich. »Mama, schicke das ungezogene Mädchen fort; ich will allein sein bei dir und dem Papa!«
Frau Hellwig zuckte schweigend die Achseln und trat hinter ihren Stuhl am Eßtische.
»Bete, Nathanael!« gebot sie eintönig und faltete die Hände. Sofort fuhren die zehn Finger des Knaben ineinander; er senkte demütig den Kopf und sprach ein langes Tischgebet ... Unter den obwaltenden Umständen war dies Gebet die abscheulichste Profanation einer schönen christlichen Sitte.
Der Hausherr rührte das Essen nicht an. Auf seiner sonst so blassen Stirn lag die Röte innerer Aufregung, und während er mechanisch mit der Gabel spielte, flog sein getrübter Blick unruhig über die mürrischen Gesichter der Seinen. Das kleine Mädchen ließ es sich dagegen vortrefflich schmecken. Sie steckte einige Bonbons, die er neben ihren Teller gelegt hatte, gewissenhaft in ihr Täschchen.
»Das ist für Mama,« sagte sie zutraulich; »die ißt Bonbons zu gern; Papa bringt ihr immer ganze große Düten voll mit.«
»Du hast gar keine Mama!« rief Nathanael feindselig herüber.
»O, das weißt du ja gar nicht!« entgegnete die Kleine sehr aufgeregt. »Ich habe eine viel schönere Mama, als du!«
Hellwig sah tieferschrocken und scheu nach seiner Frau, und seine Hand hob sich unwillkürlich, als wollte sie sich auf den kleinen rosigen Mund legen, der das eigene Interesse so schlecht zu wahren verstand.
»Hast du für ein Bettchen gesorgt, Brigittchen?« fragte er hastig, aber mit sanfter, bittender Stimme.
»Ja.«
»Und wo wird sie schlafen?«
»Bei Friederike.«
»Wäre nicht so viel Platz – wenigstens für die erste Zeit – in unserem Schlafzimmer?«
»Wenn du Nathanaels Bett hinausschaffen willst, ja.«
Er wandte sich empört ab und rief das Dienstmädchen herein.
»Friederike,« sagte er, »du wirst des Nachts dies Kind unter deiner Obhut haben – sei gut und freundlich mit ihm; es ist eine arme Waise