Das Geheimnis der alten Mamsell. Eugenie Marlitt

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Das Geheimnis der alten Mamsell - Eugenie Marlitt

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nach der leisesten Spur vergossener Thränen an diesen Augen. Sie hielt einen plumpen Kranz von Dahlien in den Händen, offenbar, um ihn als letzte »Liebesgabe« auf den Sarg zu legen.

      Ihr überraschter Blick begegnete dem der alten Dame. Beide blieben einen Moment wie angewurzelt stehen, aber in den Augen der Witwe begann es unheimlich zu glühen, ihre Oberlippe hob sich ein wenig und ließ einen der weißen Vorderzähne sehen – es lag etwas wie von unauslöschlicher Rachsucht in diesem Ausdrucke ... Auch die Züge der alten Dame verrieten eine tiefe Erregung, sie schien mit einem unsäglichen Widerwillen zu kämpfen, aber sie überwand ihn, und mit einem sanften, feuchten Blicke auf den Verstorbenen hielt sie Frau Hellwig die Rechte hin.

      »Was wollen Sie hier, Tante?« fragte die Witwe kurz, indem sie die Bewegung der kleinen Dame völlig ignorierte.

      »Ihn segnen!« lautete die milde Antwort.

      »Der Segen einer Ungläubigen hat keine Macht.«

      »Gott hört ihn – Seine ewige Weisheit und Liebe wägt nicht zwischen der armseligen Form – wenn er aus treuem Herzen kommt –«

      »Und aus schuldbeladener Seele!« ergänzte Frau Hellwig in beißendem Hohne.

      Die alte Dame richtete sich hoch auf.

      »Richtet nicht,« begann sie und hob feierlich drohend den Zeigefinger – »doch nein,« unterbrach sie sich mit unbeschreiblicher Milde und blickte auf den Toten, »auch nicht ein Wort mehr soll deinen heiligen Frieden stören ... Leb wohl, Fritz!«

      Sie ging langsamen Schrittes zurück in den Hofraum und verschwand hinter einer Thür, die Felicitas bis dahin stets verschlossen gefunden hatte.

      »Nun, das war doch stark von der alten Mamsell!« zischelte Friederike, die von der Küchenthür aus den Vorgang beobachtet hatte.

      Frau Hellwig zuckte schweigend die Achseln und legte den Kranz zu Füßen der Leiche. Noch war sie nicht Herr ihrer inneren Erregung. So ungeübt die Züge dieser Frau im Ausdrucke weiblicher Milde und Sanftmut waren, so unbeweglich und wandellos sie auch in ihrer eisernen Strenge erschienen, in Haß und Verachtung wurden sie unheimlich lebendig – wer einmal das schlimme Lächeln gesehen hatte, das in solchen Momenten ihre Mundwinkel tief herabzog, der traute der Ruhe dieses Gesichts nicht mehr. Sie bog sich über den Verstorbenen, anscheinend, um etwas an dem Arrangement zu ändern; ihre Hand stieß dabei an das Bouquet der alten Dame – es rollte über den Rand des Sarges und fiel zu Felicitas' Füßen nieder.

      Draußen schlug es drei. Mehrere Geistliche im Ornate traten in die Hausflur; auch die Herren kamen aus dem Wohnzimmer, und ihnen folgte Nathanael neben einer hochaufgeschossenen, schmächtigen Jünglingsgestalt. Die Witwe hatte ihrem Sohne Johannes die Todesnachricht telegraphisch mitgeteilt, und heute morgen war er gekommen, um der Begräbnisfeierlichkeit beizuwohnen. Die kleine Felicitas vergaß für einen Augenblick ihre Leid und sah mit der ganzen Neugier des neunjährigen Kindes zu ihm empor, welcher der Liebling des Vaters gewesen war ... Weinte er wohl hinter der schmalen, mageren aber wohlgepflegten Hand, die er beim Anblicke des Dahingeschiedenen über seine Augen gelegt hatte? ... Nein, es rollte keine Thräne herab, und ein ungeübtes Auge, wie das des Kindes, konnte außer einer ungewöhnlichen Blässe auch sonst kein Merkmal der Erschütterung an dem ernsten Gesichte bemerken.

      Nathanael stand neben ihm. Er vergoß viele Thränen, aber sein Kummer hinderte ihn nicht, den Bruder leise flüsternd anzustoßen, als er Felicitas in ihrem Schlupfwinkel entdeckte. Johannes' Blick folgte der Richtung des brüderlichen Zeigefingers. Zum ersten Male hefteten sich diese Augen auf das Gesicht des Kindes – es waren schreckliche Augen, ernst, finster, ohne das Licht des Wohlwollens und der inneren Wärme. In der Bibel war ein Bild des Evangelisten, des Lieblingsschülers Jesu, ein sanftes, schönes Gesicht mit fast weiblich weichen Linien – »das ist der Johannes am Rhein«, hatte sie stets behauptet, und der Onkel hatte lächelnd dazu genickt ... Sie hatten nichts miteinander gemein, jene lieblichen, von hellem Gelock umrahmten Züge und dieser Kopf mit den schlichten, kurzgeschnittenen Haaren und dem tiefernsten, blassen, unregelmäßigen Profil.

      »Geh fort, Kind, du bist hier im Wege!« gebot er streng, als er sah, daß man Anstalten machte, den Sarg zu schließen. Felicitas verließ beschämt und erschrocken, als habe sie Strafe verdient, den Winkel und schlich, ungesehen von den anderen, in ihres Pflegevaters ehemaliges Zimmer.

      Jetzt weinte sie bitterlich ... Ihm war sie nicht im Wege gewesen! Sie fühlte seine fieberhafte Hand wieder auf ihrem Scheitel und hörte seine gute, schwache Stimme, wie in den letzten Tagen, heiser flüstern: »Komm, Fee, mein Kind, ich hab' es so gern, wenn du bei mir bist ...!«

      Horch, was war das für ein Hämmern draußen? Es scholl mißtönig durch den hochgewölbten Raum, wo doch die vielen Menschen kaum zu flüstern wagten. Felicitas hob verstohlen den grünen Vorhang und sah hinaus in die Flur ... Schrecklich! die Gestalt des Onkels war verschwunden; dort der schwarze Deckel lag auf seinem lieben Gesichte und hielt ihn für immer unerbittlich fest in der ausgestreckten Stellung. Wenn er nur ein wenig die Hand hob, stieß sie überall an harte, fest zusammengefügte Bretter ... und dort klopfte der Mann abermals und rüttelte an dem Deckel, ob er auch fest säße, ob ihn nicht die Hand da drin zurückstoßen könne, – da drin in der tiefen Dunkelheit des engen Kastens, da drin, wo man nicht atmen konnte, wo man so furchtbar allein war ... Die Kleine schrie laut auf vor Entsetzen.

      Aller Augen richteten sich verwundert auf das Fenster, aber Felicitas sah nur die großen, grauen, deren Blick sie vorhin so tief erschreckt hatte. Er blickte strafend herüber; sie verließ das Fenster und flüchtete sich hinter den großen, dunklen Vorhang, der das Zimmer in zwei Hälften teilte. Dort kauerte sie sich nieder und blickte furchtsam nach der Thür, wo er gewiß eintreten und sie scheltend hinausführen würde.

      In ihrem Verstecke sah sie nicht, wie draußen die Träger den Sarg auf die Schultern nahmen, wie der Onkel sein Haus verließ für immer. Sie sah nicht den langen, schwarzen, unheimlichen Zug, der dem Verstorbenen folgte, wie der letzte Schatten auf dem nun vollendeten Lebenswege ... Dort an der Ecke hob ein Luftzug alle die prächtigen weißen Atlasbänder, die am Sarge niederhingen – sie flatterten hoch auf; war es der letzte Gruß des Geschiedenen für das verlassene Kind, das eine zärtlich besorgte Mutter dem trüben Sumpfe der väterlichen Laufbahn entrissen hatte, um es unwissentlich an einen öden, unwirtbaren Strand zu werfen?

      Kapitel 7

      Das Stimmengemurmel in der Flur war plötzlich verstummt – und es folgte tiefe Stille. Felicitas hörte, wie die Hausthür geschlossen wurde; aber sie wußte nicht, daß damit das Drama in der Hausflur zu Ende sei. Noch wagte sie sich nicht aus ihrem Winkel hervor. Sie saß auf dem kleinen, gepolsterten Lehnstuhle, den der Onkel ihr am letzten Weihnachtsabend geschenkt, und das Köpfchen ruhte auf ihren beiden Händen, die sich auf dem Tische kreuzten. Ihr Herz klopfte nicht mehr so ängstlich, aber hinter der kleinen, gesenkten Stirn hämmerte es, und die Gedanken reihten sich in fieberhafter Schnelligkeit aneinander. Sie dachte auch an die kleine, alte Dame, deren Bouquet draußen auf den Steinfliesen lag und wahrscheinlich von den unachtsamen Leuten zertreten wurde ... Das war also die »alte Mamsell« gewesen, jene Einsame hoch droben unter dem Dache des Hinterhauses, der stete Zankapfel zwischen der Köchin und Heinrich! Nach Friederikes Aussage hatte die alte Mamsell Furchtbares auf dem Gewissen – sie sollte schuld sein an ihres Vaters Tode. Die haarsträubende Geschichte hatte der kleinen Felicitas stets Furcht und Entsetzen eingeflößt; aber jetzt war das vorbei ... Die kleine Dame mit dem guten Gesichte und den Augen voll sanfter Thränen eine Vatermörderin! Da hatte Heinrich sicher recht, wenn er beharrlich den dicken Kopf schüttelte und ebenso konsequent den geistreichen Satz aufstellte, das müsse anders zusammenhängen!

      Vor Jahren hatte die alte

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