Das Geheimnis der alten Mamsell. Eugenie Marlitt

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Das Geheimnis der alten Mamsell - Eugenie Marlitt

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teuren Privatstunden noch für dich zu bezahlen? ... Sie wird sich hüten. Das ist alles vorbei, hat sie gesagt ... Du kannst nun wieder dahin gehen, wo du hergekommen bist – nachher wirst du das, was deine Mutter war, und dann machen sie es mit dir auch so« – er legte die Hände gegen die Wange, machte die Pantomime des Schießens und schrie: »Puff!«

      Die Kleine sah ihn mit weitgeöffneten Augen an. Er sprach von ihrem Mütterchen – das war ja noch nicht geschehen, aber was er sagte, klang so unverständlich.

      »Du kennst doch meine Mama gar nicht!« sagte sie halb fragend und ungewiß; es schien, als ob sie den Atem anhielt.

      »O, ich weiß viel mehr von ihr, als du!« erwiderte er und setzte nach einer Pause hinzu, während sein Blick heimtückisch unter der gesenkten Stirn hervorschielte: »Gelt, du weißt noch nicht einmal, was deine Eltern waren?«

      Die Kleine schüttelte das Köpfchen mit einer lieblich unschuldigen Bewegung, aber zugleich hefteten sich ihre Augen wie ängstlich flehend an seine Lippen – sie kannte die Art und Weise des Knaben viel zu gut, um nicht zu wissen, daß jetzt etwas kommen müsse, was ihr wehe thun sollte.

      »Spielersleute waren sie!« schrie er mit hämischer Betonung. »Weißt du, solche Leute, wie wir sie auf dem Vogelschießen gesehen haben – sie machen Kunststücke, Purzelbäume und solches Zeug und gehen nachher mit dem Teller herum und betteln.«

      Die Schiefertafel fiel auf den Boden und zerbrach in kleine Stücke. Felicitas war aufgesprungen und stürzte wie toll an dem verblüfften Knaben vorüber hinaus in die Küche.

      »Er lügt, gelt, er lügt, Friederike?« rief sie in schneidenden Tönen und faßte den Arm der Köchin.

      »Das kann ich gerade nicht sagen, aber übertrieben hat er,« entgegnete Friederike, deren hartes Herz beim Anblick des furchtbar aufgeregten Kindes ein menschliches Rühren empfand. »Gebettelt haben sie nicht; freilich – das ist wahr – Spielersleute sind sie gewesen –«

      »Und sehr schlechte Kunststücke haben sie gemacht!« ergänzte Nathanael, indem er an den Herd trat und forschend in Felicitas' Gesicht sah – sie weinte ja noch nicht; ja, sie sah ihn so »unverschämt wild« an mit ihren heißen, funkelnden Augen, daß er in eine förmliche Wut geriet.

      »Greuliche Kunststücke haben sie gemacht!« wiederholte er. »Deine Mutter hat Gott, den Herrn, versucht, und deshalb kommt sie auch nie in den Himmel, sagte die Mama.«

      »Sie ist ja gar nicht gestorben!« stieß Felicitas hervor. Ihr kleiner, blasser Mund zuckte fieberisch, und ihre Hand umschloß krampfhaft die Rockfalten der Köchin.

      »O, freilich, du dummes Ding, längst, längst – der sel'ge Papa hat dir's nur nicht gesagt ... Drüben im Rathaussaale ist sie bei einem Kunststücke von den Soldaten erschossen worden.«

      Das gequälte Kind stieß ein herzzerreißendes Jammergeschrei aus; Friederike hatte bei Nathanaels letzten Worten bestätigend mit dem Kopfe genickt – er hatte also nicht gelogen.

      In diesem Augenblicke kehrte Heinrich von seinem Ausgange zurück. Nathanael machte sich aus dem Staube, als die breitschultrige Gestalt des Hausknechts auf der Schwelle erschien ... Heimtückische Naturen haben stets eine unüberwindliche Scheu vor einem geraden, ehrlichen Gesichte. Auch der Köchin schlug das Gewissen – sie hantierte emsig bei ihrem Herde.

      Felicitas schrie nicht mehr. Sie hatte die hochgehobenen, verschränkten Arme gegen die Wand geworfen und ihre Stirn darauf gepreßt, aber man hörte, wie sie gegen ein heftiges Schluchzen ankämpfte.

      Der durchdringende Schrei des Kindes war bis in die Hausflur gedrungen, Heinrich hatte ihn gehört; er sah noch, wie Nathanael hinter der Zimmerthür verschwand, und wußte sogleich, daß hier irgend eine Bosheit verübt worden war. Ohne ein Wort zu sagen, drehte er die Kleine von der Wand weg und hob das Gesichtchen empor – es war furchtbar entstellt. Bei seinem Anblicke brach das Kind abermals in ein lautes Weinen aus und stieß schluchzend die Worte hervor: »Sie haben mein armes Mütterchen totgeschossen – meine liebe, gute Mama!«

      Heinrichs breites, gutmütiges Gesicht wurde ganz blaß vor innerem Grimme – er schien einen Fluch zu unterdrücken.

      »Wer hat dir denn das gesagt?« fragte er und sah drohend nach Friederike hinüber.

      Das Kind schwieg; aber die Köchin begann den Hergang zu erzählen, wobei sie das Feuer schürte den eben begossenen Braten noch einmal begoß und allerlei unnötige Dinge verrichtete, um nicht in Heinrichs Gesicht blicken zu müssen.

      »Na, ich meine auch, Nathanael hätte es ihr just heute noch nicht zu sagen gebraucht,« schloß sie endlich, »aber morgen oder übermorgen nimmt sie die Madame doch ins Gebet, und da wird sie ganz gewiß nicht mit Handschuhen angefaßt – darauf kannst du dich verlassen!«

      Heinrich führte Felicitas in die Gesindestube, setzte sich neben sie auf die Holzbank und suchte sie zu beruhigen soweit er es in seiner ungelenken Redeweise vermochte. Er erzählte ihr schonend den schrecklichen Vorfall im Rathaussaale und sagte schließlich, daß ja die Mama, von der die Leute schon damals gesagt hätten, sie sähe aus wie ein Engel, nun auch droben im Himmel sei und jeden Augenblick ihre kleine Fee sehen könne. Dann streichelte er zärtlich das Köpfchen des Kindes, das aufs neue in krampfhaftes Weinen ausbrach.

      Kapitel 8

      Am anderen Morgen hallte das Ausläuten der Glocken feierlich über die Stadt. Die schmale, steile Gasse hinauf strömten die Andächtigen nach der hochgelegenen Barfüßerkirche. Samt und Seide und auch minder kostbare, aber doch sonntägige Stoffe wurden in die Kirche getragen, nicht allein zur Ehre Gottes, sondern auch um der Augen des lieben Nächsten willen.

      Aus dem stattlichen Eckhause am Marktplatze schlüpfte eine kleine, schwarz umhüllte Gestalt. Niemand hätte unter dem großen, plumpen Umhängetuche, das eine Nadel unter dem Kinne zusammenhielt, die feinen, graziösen Formen der kleinen Felicitas zu entdecken vermocht. Friederike hatte der Kleinen das häßliche, grobe Gewebe mit den wichtig betonten Worten umgelegt, daß die Madame ihr das schöne Tuch zur Trauer schenke; dann hatte sie die Hausthür geöffnet und dem hinauseilenden Kinde streng anbefohlen, ja nicht etwa, wie sonst, in den Familienkirchenstuhl zu gehen – es sei Platz für sie auf den Bänkchen der Schulkinder.

      Felicitas drückte das Gesangbuch unter den Arm und schritt hastig um die Ecke. Es war unverkennbar, sie strebte ungeduldig vorwärts zu kommen; aber da drüben schritten feierlich gemessenen Ganges drei schwarzgekleidete Gestalten, deren Anblick sofort ihre Schritte verlangsamte ... Ja, dort ging sie, die große Frau inmitten ihrer zwei Söhne, und alle Menschen, die vorüberkamen, neigten sich tief und respektvoll. Sie hatte zwar das ganze Jahr über fast für niemand einen guten Blick, und der Mund sprach oft unbarmherzig zu denen, die Hilfe suchten; und dort der kleinere Knabe an ihrer Linken schlug die Bettelkinder, die sich ins Haus wagten, und trat mit Füßen nach ihnen. Er log auch abscheulich und schwur dann heilig und teuer, daß er nicht gelogen habe – aber das schadete alles nicht. Sie gingen jetzt in die Kirche, setzten sich in den streng abgeschlossenen Kirchenstuhl, hinter vornehme Glasscheiben, und beteten zum lieben Gott, und er hatte sie lieb, und sie kamen in seinen Himmel: denn – sie waren ja keine Spielersleute.

      Die drei Gestalten verschwanden in der Kirchenthür. Das Kind folgte ihnen mit den ängstlichen Augen, dann huschte es vorüber, vorüber an all den offenen Thüren, aus denen bereits der Orgelklang scholl, und die einen Blick gewährten in das magische Düster der Kirchenhalle, über die dichtgedrängten Reihen der Andächtigen. An das trotzig empörte, heftig pochende Kinderherz aber, das da draußen vorübereilte,

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