Das Geheimnis der alten Mamsell. Eugenie Marlitt
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Читать онлайн книгу Das Geheimnis der alten Mamsell - Eugenie Marlitt страница 14
Der ehrliche Bursche hatte die vormittägige Szene von der Küche aus mit angehört und zum Teil auch gesehen; er war sehr in Versuchung gewesen, hervorzuspringen und mit seinen derben Fäusten den Sohn des Hauses ebenso zu schütteln, wie die zarte Gestalt des aufrührerischen Kindes hin und her geschüttelt wurde. Jetzt saß er da in der Gesindestube und schnitzelte an seinem defekten Ausgehstock herum, wobei er leise und zwar sehr ungeschickt und unmelodisch pfiff. Er war ja aber auch gar nicht bei der Sache; seine Blicke huschten rastlos und verstohlen hinüber nach dem schweigenden Kinde ... Das war gar nicht mehr das Gesicht der kleinen Felicitas! Sie saß dort wie ein gefangener Vogel, aber wie ein Vogel, dem die Wildheit in der Brust brennt und der voll unversöhnlichen Grolles der Hände denkt, die ihn gefesselt haben ... Auf ihren Knieen lag der Robinson, den Heinrich auf eigene Gefahr hin von Nathanaels Bücherbrett geholt hatte, aber sie warf keinen Blick hinein. Der Einsame hatte es gut auf seiner Insel, da gab es doch keine bösen Menschen, die seine Mutter leichtsinnig und liederlich schalten; da lag der funkelnde Sonnenschein auf den Palmenkronen, auf den grünen Wogen des fetten Wiesengrases – und hier brach das Gotteslicht gedämpft, als trübe Dämmerung durch die engvergitterten Fenster, und nirgends, weder draußen in der schmalen Gasse noch hier im ganzen Hause, erquickte ein grünes Blatt das Auge ... Ja, drin im Wohnzimmer, da stand freilich ein Asklepiasstock im Fenster – die einzige Blume, die Frau Hellwig pflegte, aber Felicitas konnte diese regelmäßigen, wie aus kaltem Porzellan geformten Blütenbüschel, die starren, harten Blätter nicht leiden, die stocksteif und ungerührt dahingen, mochte auch der Luftzug durchstreichen, soviel er wollte – was gab es denn Schöneres, als draußen die leichtbeweglichen, grünen Zungen an Büschen und Bäumen mit ihrem unaufhörlichen Rauschen und Flüstern?
Die Kleine sprang plötzlich auf. Droben auf dem Dachboden, da konnte man weit hinaus in die Gegend sehen, da war sonnige Luft – wie ein Schatten glitt sie die gewundene steinerne Haupttreppe hinauf.
Das alte Kaufmannshaus war eigentlich nach gewissen Begriffen degradiert worden. Vor langen Zeiten war es ein Edelsitz gewesen. Es hatte auch noch etwas Ehrgeiziges in seiner Physiognomie – wenn auch nicht in dem Maße, wie die Türme, die alles unter sich lassen und, wenn es ginge, am liebsten auch den Himmel als alleiniges Eigentum auf ihre Spitze spießen möchten – aber es zeigte doch hier und da dies Emporstreben in dem Turmansatze des Erkers und vor allem in den mächtigen Schornsteinen, die sich in jenen Zeiten so nötig machten, wo noch die Wildbraten in ihrer natürlichen Größe und Urwüchsigkeit auf den Bratspießen adeliger Küchen steckten ... Das blaue Blut, das die Herzen der ehemaligen ritterlichen Bewohner klopfen gemacht, war längst versiegt, ja, in den letzten Stadien war es ihm ergangen, wie dem alten Hause auch – es war degradiert worden.
Die vordere, nach dem Marktplatz gewendete Front des Hauses hatte sich allmählich in etwas modernisiert, die Hintergebäude dagegen, drei gewaltige Flügel, standen noch in keuscher Unberührtheit, wie sie aus der Hand ihres Schöpfers hervorgegangen waren. Da gab es noch jene langen, hallenden Gänge mit schiefen Wänden und tief ausgetretenem Estrich, in denen selbst bei strahlendem Mittagssonnenscheine eine traumähnliche Dämmerung webt, und die es einer sagenhaften Ahnfrau so leicht machen, in grauer Schleppe, mit verblichenem Antlitz und schattenhaft gekreuzten Händen umherzuspuken. Da waren noch jene unvorhergesehenen, unter dem leisesten Tritte kreischenden Hintertreppchen, die plötzlich am Ende eines Korridors auftauchen, um drunten vor irgend einer unheimlichen, siebenfach verriegelten Thür zu münden – jene abgelegenen, scheinbar zwecklosen Ecken mit einem einsamen Fenster, durch dessen runde, bleigefaßte Scheiben fahle Lichtsäulen auf den zerbröckelnden Backsteinfußboden fallen. Der Staub, der hier auf die Köpfe der Vorüberwandelnden herabrieselte, war historisch; er hatte als jugendliche Holzfaser irgend eines Balkens oder als neuer Mörtel die hochgehenden Wogen des blauen Blutes mit angesehen.
Wo es irgend möglich gewesen, hatte der Steinmetz das Wappen des Erbauers des Hauses, eines Ritters von Hirschsprung, angebracht. Die steinernen Thür-und Fenstereinfassungen, ja selbst einzelne Quadern des Fußbodens zeigten den majestätischen Hirsch, wie er, die Vorderläufe hochhebend, zum grausigen Sprunge über einen Abgrund ansetzte. Auf den Thürpfosten einer der großen Staatsstuben im Vorderhause befanden sich auch die Bildnisse des Erbauers und seiner Ehegesponsin, langgestreckte Gestalten in Barett und Schneppenhaube. Der ehrenfeste Ritter blickte mit unvergänglich herausforderndem Stolze in die Welt, aus der längst sein Staub und seine »für ewig« besiegelten und verbrieften Ansprüche hinweggeweht waren.
Felicitas stand droben an der Mündung der Treppe und sah mit großen, verwunderten Augen in eine halboffene Thür, die sie nicht anders als verschlossen kannte ... Wie sehr mußte die Ausführung ihres Racheaktes alles Denken der sonst so peinlich pünktlichen Hausfrau in Anspruch genommen haben, daß sie darüber Schloß und Riegel vergessen konnte! ... Hinter der Thür lag ein scheinbar endloser Korridor, der über eines der Hintergebäude hinlief, und in welchen verschiedene Thüren mündeten. Eine derselben stand offen und ließ in eine Rumpelkammer mit einem sehr hochliegenden Mansardenfenster sehen. Sie war vollgepfropft mit altem Gerümpel, und da seitwärts an einem Rokokoarmsessel lehnte auch das Bild der Frau Kommerzienrätin. Es war nicht einmal gegen eine schützende Wand gekehrt; Staub und Spinnen durften sich nun ungestört des Gesichts bemächtigen, das dem Maler in der stolzen Ueberzeugung gesessen hatte, es werde für Kind und Kindeskinder bis in die fernste Zeit ein Gegenstand hoher Verehrung sein.
Die großen, hervortretenden, etwas lüsternen Augen hatten, so nahe gesehen, etwas Furchterregendes für das Kind – es wandte sich ängstlich ab, aber in dem Momente fuhr es wie ein Stich durch das kleine Herz und das Blut brauste nach dem Kopfe – den mit Seehundsfell überzogenen Koffer dort am Boden kannte ja die kleine Felicitas ganz genau! ... Scheu, mit angehaltenem Atem – schlug sie den Deckel zurück – da lag obenauf ein hellblaues Wollkleidchen, dessen Säume und Bündchen zierliche Stickerei zeigten. Ach ja, das hatte ihr Friederike eines Abends ausgezogen, und dann war es verschwunden, und die kleine Felicitas mußte dafür ein abscheuliches, dunkles Kleid anlegen.
Immer tiefer und heftiger wühlten die kleinen Hände, – was kam da alles zum Vorschein, und wie stürmte es in der Kinderseele bei diesem Wiedersehen! ... All diese Gegenstände, so elegant, als sollten sie den vornehmen Körper einer kleinen Prinzessin umhüllen, hatte die tote Mutter in den Händen gehabt. Felicitas erinnerte sich mit peinlicher Schärfe des süßen Gefühls, wenn die Mama sie angekleidet und mit ihren samtweichen, zarten Fingern berührt hatte ... Ach, hier tauchte auch das buntscheckige Kätzchen auf, das einst der ganze Stolz des Kindes gewesen! Es war auf eine kleine Tasche gestickt. – Halt, da steckte auch etwas drin, aber es war kein Spielzeug, wie das Kind anfänglich meinte, es war ein hübsches Petschaft von Achat, auf dessen silberner Platte derselbe majestätische Hirsch sich bäumte, den das Mauerwerk des Hellwigschen Hauses bis zum Ueberdruß zeigte. Unter dem Wappen stand in feinen, flüchtigen Zügen M. v. H.... Das hatte gewiß der Mama gehört, und das Kind hatte einst die räuberische kleine Hand danach ausgestreckt. –
Höher und höher wuchs die Flut der Erinnerungen und auf manche fiel ein Strahl des gereiften Verständnisses. Jetzt begriff sie jene Momente, wo sie, aus dem ersten Schlafe aufschreckend, den Vater im goldblitzenden Wams und die Mutter mit den aufgelösten blonden Locken an ihrem Bettchen stehen sah – sie waren aus der Vorstellung heimgekommen ... und da war auch jedesmal auf die arme Mama geschossen worden, und das Kind hatte so ahnungslos in das totenbleiche Gesicht gesehen; es wußte aber noch, daß es an solchen Abenden stets stürmisch, wie in atemloser Hast, an das Mutterherz emporgerissen worden war ...
Stück um Stück der neuentdeckten Schätze wurde gestreichelt und geliebkost und dann sorgsam in den Koffer zurückgelegt, und als der Deckel alles wieder verschloß, da schlang das Kind seine Arme um den kleinen, vielgereisten Kasten und legte das Köpfchen darauf – sie waren ja alte Kameraden, zwei, die zusammengehörten in der weiten Welt, welche nicht so viel Heimatboden für das Spielerskind hatte, als auch nur sein kleiner Fuß bedeckte .. Jetzt sah das erst so wildtrotzige