Das Geheimnis der alten Mamsell. Eugenie Marlitt

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Das Geheimnis der alten Mamsell - Eugenie Marlitt

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und lustige Weisen zu spielen. Die »Madame« hatte ihr Himmel und Hölle vorgestellt, aber das war alles umsonst gewesen, bis kein Mensch im Hause den Greuel mehr mit anhören konnte – da hatte Herr Hellwig seiner Frau den Willen gethan, und die alte Mamsell hatte hinauf gemußt unters Dach ... Dort wäre sie unschädlich, meinte Friederike stets, und man mußte ihr recht geben, denn man hörte nie auch nur einen Laut des verpönten Klavierspiels im Hause ... Der Onkel mußte jedenfalls sehr böse auf die alte Mamsell gewesen sein, denn er hatte nie von ihr gesprochen; und doch war sie seines Vaters Schwester und sah ihm so ähnlich ... Eine heiße Sehnsucht erfaßte die kleine Felicitas bei dem Gedanken an diese Aehnlichkeit – sie wollte hinauf in die Dachwohnung, aber da stand ja der finstere Johannes – das Kind schüttelte sich vor Angst – und die alte Mamsell steckte jahraus, jahrein hinter Riegeln und Schlössern.

      Am Ende eines langen abgelegenen Korridors, dicht an der Treppe, die aus den unteren Stockwerken herauf führte, war eine Thür. Nathanael hatte einmal, als sie da droben spielten, leise zu ihr gesagt: »Du, da droben wohnt sie!« dann hatte er, mit beiden Fäusten auf die Thür schlagend, laut geschrieen: »Alte Dachhexe, komm herunter!« und war in schleuniger Flucht die Treppe hinabgelaufen. Wie hatte da das Herz der kleinen Felicitas vor Angst und Schrecken geklopft! denn sie war keinen Augenblick im Zweifel gewesen, es müsse ein schreckliches Weib mit einem großen Messer in der Hand hervorstürzen und sie bei den Haaren fassen ...

      Es fing an, leise zu dämmern. Drüben am Rathause huschte der letzte goldene Schein der Herbstsonne um das Giebelkreuz, und auf der großen Wanduhr drin im Zimmer schlug es langsam und rasselnd fünf – sie hatte genau so eintönig und langsam jene drei Schläge herabgerasselt, nach welchen ihr ehemaliger Besitzer, der sie lange Jahre hindurch pünktlich und mit liebevoller Vorsicht bedient, hinausgetragen worden war.

      Bis dahin war es ziemlich still im ganzen Hause geblieben; aber jetzt wurde die Thür des Wohnzimmers plötzlich geöffnet, und harte, feste Schritte schollen durch die Flur. Felicitas zog ängstlich den Vorhang an sich heran, denn Frau Hellwig näherte sich dem Zimmer des Onkels. Das erschien dem Kinde wunderbar neu; es war nie vorgekommen, daß die große Frau bei Lebzeiten ihres Mannes je diese Schwelle betreten hatte ... Sie kam ungewöhnlich rasch herein, schob leise den Nachtriegel vor und blieb dann einen Augenblick mitten im Zimmer stehen. Es war ein Ausdruck unsäglichen Triumphes, mit welchem diese Frau ihre Blicke langsam durch den so lange streng gemiedenen Raum gleiten ließ.

      Ueber Hellwigs Schreibtisch hingen zwei schöngemalte Oelbilder, ein Herr und eine Dame. Die letztere, ein stolzes Gesicht, aus dessen Augen aber Geist und Lebenslust sprühte, war in jener Tracht, welche so unschön die altgriechische nachzuahmen sucht. Die kurze Taille, die ein weißer leuchtender Seidenstoff umschloß, wurde noch verkürzt durch einen roten, golddurchwirkten Gürtel; Brust und Oberarme, fast zu üppig geformt und nur sehr wenig bedeckt, harmonierten in ihrer herausfordernden Schönheit durchaus nicht mit dem anspruchslosen, züchtigen Veilchenstrauße, der im Gürtel steckte ... Es war Hellwigs Mutter.

      Vor dieses Bild trat die Witwe jetzt; sie schien sich einen Moment daran zu weiden. Dann stieg sie auf einen Stuhl, hob es von seiner gewohnten, langjährigen Stell und schlug vorsichtig, ohne großes Geräusch einen neuen Nagel inmitten der zwei alten, an welchen sie das männliche Brustbild, Hellwigs Vater, hing. Es blickte jetzt einsam hernieder, während die Witwe den Stuhl verließ und, das weibliche Porträt in der Hand, aus dem Zimmer ging ... Felicitas' gespanntes Ohr folgte ihren Schritten durch die Hausflur, über die erste Treppe – sie stieg immer höher in dem widerhallenden Treppenhause – wahrscheinlich bis in den Bodenraum.

      Sie hatte die Thür nicht völlig hinter sich geschlossen, und als ihr letzter Schritt droben verhallt war, da erschien Heinrichs scheues Gesicht in der Spalte.

      »Na, da haben wir's, Friederike!« rief er mit gedämpfter Stimme, der man aber den Schrecken anhörte, in die Flur zurück. »Es war richtig der sel'gen Frau Kommerzienrätin ihr Bild!«

      Die alte Köchin riß die Thür weit auf und sah herein.

      »Ach, du meine Güte, wirklich!« rief sie, die Hände zusammenschlagend. »Herr Je, wenn das die stolze Frau wüßte, die drehte sich in der Erde um – und der sel'ge Herr erst! ... Na, sie war aber auch zu schrecklich angezogen – so bloß auf der Brust – ein Christenmensch mußte sich schämen!«

      »Meinst du?« entgegnete Heinrich, schlau mit den Augen blinzelnd. »Ich will dir was sagen, Friederike,« fuhr er fort und legte abzählend den Zeigefinger der Rechten gegen den linken Daumen. »Die alte Frau Kommerzienrätin hat's durchaus nicht leiden wollen, daß unser Herr die ›Madame‹ genommen hat – das kann ihr die Madame zum ersten nicht vergessen. Zum zweiten war sie eine fidele Frau, die gern was mitmachte und am liebsten da war, wo lustig aufgespielt wurde, und zum dritten – hat sie unsere Madame einmal eine herzlose Betschwester geschimpft ... Merkst du was?«

      Während Heinrichs Beweisführung war Felicitas aus ihrem Verstecke hervorgekommen. Das Kind fühlte instinktmäßig, daß es an dem rauhen, aber grundgutmütigen alten Burschen von nun an die einzige Stütze im Hause haben werde. Er hatte sie sehr lieb, und seinen stets wachsamen Augen dankte es die Kleine hauptsächlich, daß sie bis dahin in glücklicher Unwissenheit über ihre Vergangenheit geblieben war.

      »Na, Feechen, da bist du ja!« sagte er freundlich und nahm ihre kleine Hand fest in seine schwielige Rechte. »Ich hab' dich schon in allen Ecken gesucht ... Komm mit 'nüber in die Gesindestube; denn hier wirst du ja doch nicht mehr gelitten, armes Ding! ... wenn gar die alten Bilder fort müssen, nachher –«

      Er seufzte und drückte die Thür zu; Friederike war bereits eilig in die Küche zurückgekehrt, denn man hörte die Schritte der herabsteigenden Frau Hellwig.

      Felicitas sah sich scheu um in der Hausflur – sie war leer; da, wo der Sarg gestanden hatte, lagen zertretene Blumen und Blätter am Boden.

      »Wo ist der Onkel?« fragte sie flüsternd, indem sie sich widerstandslos von Heinrich nach der Gesindestube führen ließ.

      »Nu, sie haben ihn fortgetragen; aber du weißt ja doch, Kindchen, er ist nun im Himmel – da hat er's gut, besser als auf der Erde,« antwortete Heinrich wehmütig.

      Er nahm seine Mütze vom Nagel und ging fort, um einen Auftrag in der Stadt zu besorgen.

      In der Gesindestube herrschte bereits starke Dämmerung. Seit Heinrichs Weggange kniete Felicitas auf der Holzbank, die unter den eng vergitterten Fenstern weglief, und blickte unablässig in das Stückchen dunkelnden Himmels droben über den Giebelhäusern der schmalen, steilen Gasse, wo ja der Onkel nun sein sollte ... Sie fuhr erschrocken zusammen, als Friederike mit der Küchenlampe eintrat. Die alte Köchin stellte einen Teller mit Butterbrot auf den Tisch.

      »Komm her, Kind, und iß – da ist dein Abendbrot!« sagte sie.

      Die Kleine kam näher, aber sie rührte das Essen nicht an; sie griff nach ihrer Schiefertafel, die Heinrich aus des Onkels Zimmer herübergebracht, und fing an zu schreiben. Da kamen hastige Schritte durch die anstoßende Küche, und gleich darauf steckte Nathanael seinen blonden Kopf durch die offenen Thür. Felicitas zitterte, denn er war stets sehr ungezogen, wenn er sich mit ihr allein sah.

      »Ah, da sitzt ja Jungfer Fee!« rief er in einem Tone, den Felicitas so sehr an ihm fürchtete. »Hör mal, du ungezogenes Ding, wo hast du denn die ganze Zeit über gesteckt?«

      »In der grünen Stube,« antwortete sie, ohne aufzublicken.

      »Du, das probiere nicht noch einmal!« sagte er drohend. »Da hinein gehörst du jetzt nicht mehr, hat die Mama gesagt ... Was schreibst du denn da?«

      »Meine Arbeit für Herrn Richter.«

      »So

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