Erinnerungen aus galanter Zeit. Giacomo Casanova
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Erinnerungen aus galanter Zeit - Giacomo Casanova страница 2
In dem ersten Kapitel seiner Erinnerungen erzählt Casanova lang und breit von dem Stammbaum seiner Familie, die aus Spanien stamme und dann nach Venedig kam. Er kennt eine ganze Reihe seiner Vorfahren genau, und sie sind alle gut katholisch, spanische und italienische Christen. Ich aber glaube kein Wort davon. Ich meine vielmehr: in den Adern dieses Mannes rollte in guter Mischung alles Blut, das die Kultur Europas schuf, germanisches, romanisches und jüdisches. Und so ward in ihm der große ›Europäer‹, der Weltmann, der ein rastloser Ahasver war, ein wahrheitssuchender Faust und – vor allem – ein Leben und Liebe schenkender und trinkender Don Juan. Don Juan freilich ist die stärkste Seite in des großen Abenteurers Wesen. Und darum mußte diese gekürzte Ausgabe seiner Erinnerungen sich hauptsächlich mit diesem Casanova beschäftigen. Eine literarisch-amüsante, künstlerisch geschmückte Auslese von Casanovas galanten Abenteuern besteht bis jetzt in deutscher Sprache noch nicht; alle bisherigen Ausgaben der ›Erinnerungen‹, die Anspruch auf literarische Bedeutung haben – so vor allem die vierzehn, bändige ausgezeichnete des Georg Müllerschen Verlags in München –, sind »vollständig«, aber für viele Tausende unerschwinglich. Von dem überflüssigen Ballast historischer Details ist die vorliegende Ausgabe befreit worden, die genußreicher Unterhaltung dienen soll. Dabei ist aber nicht etwa beabsichtigt, Casanova als reinen Erotiker hinzustellen: er zeigt sich hier als der wahrheitsliebende und schönheitsdurstige Sittenschilderer eines Zeitalters, dessen Esprit in ihm seinen glänzendsten Interpreten fanden.
Die Bilder des Marquis von Bayros scheinen mir am besten geeignet, dem Geiste des lebensfrohen Venetianers gerecht zu werden.
Miramar, im Juni 1911
Hanns Heinz Ewers
1
Bettina
Weiß Gott, was die Menschen oft zusammenführt. Hätte ich als Kind nicht an starkem Nasenbluten gelitten, nimmermehr hätte mein Auge Bettina erblickt, Bettina, die dem Knaben die ersten Äußerungen der Liebe entlockte. Dieses Nasenbluten schwächte meinen noch unentwickelten Körper überaus, so daß ich unfähig war, mich mit irgend etwas zu beschäftigen, und ganz blödsinnig aussah. Da auch der Hokuspokus einer Hexe von Murano, zu der mich meine gute Großmutter brachte, nicht imstande war, mich davon zu heilen, hörte endlich meine Mutter und mein Vormund, der Herr Grimani, auf den Rat eines Arztes, welcher eine Heilung meines Übels nur bei Luftveränderung hoffen ließ, und brachten mich nach Padua in Pension. Meine Pensionsmutter war eine alte Slavonierin, deren ganzes Wesen mich, der ich von Schönheit und Höflichkeit doch noch gar keine Ahnung hatte, anwiderte. Aber das wäre noch das wenigste gewesen: nachts fraß mich das Ungeziefer fast lebendigen Leibes, und da sich in der paduanischen Luft mit meiner Gesundheit auch ein derber Hunger einstellte, den die Kost der Slawonierin niemals stillen konnte, magerte ich entsetzlich ab. Wohl wußte ich mir manchmal Eßbares zur Genüge zu verschaffen: durch Beutezüge im Hause meiner Wirtin, die verzweifeln wollte, weil sie den Dieb nicht entdecken konnte. Auch nutzte ich mein Amt als Dekurio der Schule aus, die ich besuchte. Ich war durch Fleiß und Kenntnisse zu diesem Amte gelangt, wobei mir oblag, die Aufgaben meiner dreißig Mitschüler zu prüfen, zu korrigieren und mit der gebührenden Zensur zu übergeben. Nichts lag näher, als daß sich meine Freßlust mit allem Eßbaren von den Faulen bestechen ließ, und auch, daß ich bald mein Amt mit aller Ungerechtigkeit ausübte, was die besseren Schüler bald nicht mehr ertrugen und dem Lehrer anzeigten. Bei der Untersuchung erkannte mein Lehrer den jämmerlichen Zustand meines Unterhalts. Da er mir außerordentlich wohlwollte, setzte er es bei meiner Mutter durch, daß ich der Slawonierin genommen und in sein Haus gegeben wurde. Ach, der gute freundliche Priester Doktor Gozzi! Er liebte mich über alle Maßen und schenkte mir seine ganze Zuneigung, so daß ihn nach einem halben Jahre alle seine Schüler verließen. Er beschloß dann, ein kleines Kollegium zu errichten und junge Schüler in Pension zu nehmen. Aber erst in zwei Jahren brachte er es darin zu etwas, in der Zwischenzeit widmete er sich ganz mir, lehrte mich alles, was er wußte; auch das Violinspiel lernte ich bei ihm, welches mich später einmal in größter Not über Wasser halten sollte. Als ich nach zwei Jahren etwa, es war in der Fastenzeit des Jahres Siebzehnhundertsechsunddreißig, mit meinem Lehrer der Mutter einen Besuch abstattete, erregte ich, den alle vorher für blödsinnig gehalten hatten, durch meine Kenntnisse und Fertigkeiten, darunter nicht zuletzt meine poetischen Leistungen, die Bewunderung des ganzen Kreises meiner Angehörigen und ihrer Freunde, und der Doktor freute sich kindisch, als er sah, daß ihm das Verdienst dieser Umwandlung zugesprochen wurde. Unangenehm aber fiel meiner Mutter meine helle, blonde Perücke auf, welche in krassem Widerspruch stand mit meinem braunen Gesicht, den schwarzen Augen und Brauen. Sie fragte den Doktor, warum er mich nicht frisieren lasse? Als er antwortete, die Perücke erleichtere seiner Schwester meine Reinhaltung, erregte diese naive Ansicht allgemeines Gelächter, welches sich noch verdoppelte, als ich auf die Frage, ob seine Schwester verheiratet sei, statt seiner antwortete, Bettina sei das schönste Mädchen des ganzen Viertels und erst vierzehn Jahre alt. Da versprach meine Mutter dem Mädchen ein schönes Geschenk, wenn es mich in meinem wirklichen Haar gehen lasse, worauf der gute Doktor beteuerte, dies solle von jetzt ab geschehen. Ja, Bettina war reizend, heiter und eine große Romanleserin. Vater und Mutter waren unzufrieden mit ihr, weil sie sich zu viel am Fenster sehen ließ, und der Doktor wegen ihrer Neigung zum Lesen. Das Mädchen gefiel mir von Anfang an, ohne daß ich wußte weshalb, und sie war es, welche in mein Herz die ersten Funken einer Leidenschaft schleuderte, die später jede andere überwog. Die fünf Ellen Seidenzeug und das Dutzend Handschuhe, das Geschenk, welches meine Mutter der Kleinen sandte, weckten in ihr eine außerordentliche Zuneigung für mich, und sie nahm sich so sehr meiner Haare an, daß ich in noch nicht einem halben Jahre meine Perücke ablegen konnte. Sie kämmte mich alle Tage, und oft sogar im Bette, da sie, wie sie sagte, nicht Zeit hatte, abzuwarten, bis ich aufgestanden wäre. Sie wusch mir das Gesicht, den Hals, die Brust und erwies mir kindliche Liebkosungen, die ich für unschuldig hielt, und die mich gegen mich selbst aufbrachten, weil sie mich reizten. Ich war drei Jahre jünger als sie, so schien es mir, daß sie mich nicht ernsthaft lieben könne, und das verstimmte mich. Saß sie auf meinem Bette und sagte zu mir, ich würde fetter, wobei sie sich mit ihren Händen davon überzeugte, so versetzte sie mich in die höchste Aufregung, aber ich ließ sie ruhig machen, damit sie meine Gefühlserregung nicht gewahr würde, und wenn sie mir sagte, ich hätte eine sanfte Haut, so nötigte mich ihr Kitzeln, mich zurückzuziehen; ich war dann ärgerlich, daß ich nicht dasselbe gegen sie zu tun wagte, aber doch erfreut, daß sie nicht ahne, wie große Lust ich dazu habe. War ich angekleidet, gab sie mir die süßesten Küsse und nannte mich ihr liebes Kind; aber wie gern ich auch ihrem Beispiel folgen mochte, ich war doch noch nicht kühn genug dazu. Als später freilich meine Schüchternheit mich lächerlich machte, faßte ich Mut und gab ihr kräftigere zurück, als sie mir gegeben;