Erinnerungen aus galanter Zeit. Giacomo Casanova

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Erinnerungen aus galanter Zeit - Giacomo Casanova

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zu lassen, meinetwegen nicht mit Cordiani zu brechen, den sie vielleicht mit denselben Mitteln eingefangen wie mich und der nun unglücklich sei. Sie antwortete: meine Ansichten beruhten auf einem falschen Schein, und erzählte mir nun eine lange Geschichte von Cordiani, der sie durch die Drohung, alles ihrem Bruder zu verraten, was sie mit mir getrieben, das er durch ein Loch in der Decke meines Zimmers, über welchem er schlief, hätte beobachten können. Sie habe ihn wohl in gebührenden Schranken halten können, aber doch sei sie gezwungen gewesen, ihm zuliebe nicht mehr an mein Bett zu kommen, ihn selbst aber öfters in ihrem Kabinett zu empfangen. So sei es auch in jener Nacht gewesen, als sie auf mein Zimmer hätte kommen wollen. Sie habe immer gehofft, Cordiani werde sie bald verlassen, und nach Mitternacht könne sie ihrem mir gegebenen Versprechen doch noch nachkommen. Aber Cordiani habe sie aufgehalten mit einem Plane, wonach er in der Karwoche mit ihr zu einem Onkel nach Ferrara fliehen wollte, wo sie sich so lange aufhalten könnten, bis sein Vater Vernunft annehme und ihr Lebensglück billige.

      »Mein Herz blutete«, fuhr sie fort, »wenn ich an dich dachte; aber ich habe mir keinen Vorwurf zu machen, und es ist nichts vorgekommen, was mich deiner Achtung unwert machen könnte. Hätte ich mich zu Opfern, welche nur der Liebe gebracht werden dürfen, entschließen wollen, so wäre es leicht gewesen, den Verräter nach einer Stunde aus meinem Kabinett zu entfernen; aber eher als dieses schreckliche Mittel hätte ich den Tod gewählt. Konnte ich mir denken, daß du draußen dem Winde und Schnee ausgesetzt seist? Wir waren beide zu beklagen, aber ich mehr als du. Es war so im Himmel beschlossen, um mich um meinen Verstand zu bringen, dessen ich mich nur noch in Zwischenräumen erfreue, und ich bin keineswegs sicher, nicht wieder von Krämpfen befallen zu werden. Man behauptet, ich sei besessen und ein böser Geist sei in mich gefahren; ich weiß davon nichts, wenn es aber wahr ist, bin ich die elendste Person auf der Erde.«

      Bettina schwieg und ließ ihren Tränen, ihrem Schluchzen und Seufzen freien Lauf. Ich war tief bewegt, obwohl ich fühlte, daß alles, was sie gesagt, zwar wahr sein könne, aber nicht glaubhaft sei: Forse era ver, mà non pero credibile a chi del senso suo fosse signore (Vielleicht war es wahr, aber dennoch nicht glaubhaft für jemand, der im Besitze seines Verstandes war). Nachdem ich ihre Tränen getrocknet, ließ sie ihre schönen Augen in den meinen ruhen, in denen sie die sichtlichen Spuren ihres Sieges zu entdecken glaubte; aber ich überraschte sie, indem ich auf einen Punkt kam, den sie aus List in ihrer Verteidigung unberührt gelassen hatte. Die Rhetorik gebraucht die Geheimnisse der Natur, gerade wie die Maler, die dieser nachzuahmen suchen. Das Schönste, was sie geben, ist falsch. Der verschmitzte Geist dieses Mädchens, der durch kein Studium gebildet war, gewährte ihr den Vorteil, für rein und kunstlos gehalten zu werden; sie wußte dies und verstand diese Kenntnis zu benutzen; aber mir hatte sie eine zu hohe Meinung von ihrer Geschicklichkeit beigebracht. Ich fragte sie, wie ich ihre graziöse Besessenheit, welche sich zur rechten Zeit einstellte, wohl für natürlich halten könnte. Da sah sie mich fest an, senkte dann die Augen und weinte. Das wurde mir lästig und ich fragte, was ich für sie tun könnte. – Wenn das mein Herz nicht sagte, so hätte sie nichts zu fordern. Später würde ich schon einmal bereuen, ihre Leiden, deren Ursache doch ich sei, für erdichtet gehalten zu haben. Mit diesen Worten erhob sie sich, um wegzugehn. Ich rief sie zurück, um ihr zu sagen, das einzige Mittel, meine Zärtlichkeit wiederzugewinnen, bestände darin, daß sie einen Monat keine Krämpfe bekomme und die Notwendigkeit, den schönen Pater Mancia zu rufen, vermeide.

      »Das«, sagte sie, »hängt nicht von mir ab; aber warum nennst du den Jakobiner schön? Solltest du argwöhnen?«

      »Durchaus nicht; ich argwöhne nichts, denn um etwas zu argwöhnen, müßte ich eifersüchtig sein; aber ich muß dir doch sagen, daß der Vorzug, den deine bösen Geister den Beschwörungen des schönen Mönchs vor denen des häßlichen Kapuziners gaben, zu Auslegungen Anlaß gibt, welche dir nicht zur Ehre gereichen. Halte es übrigens wie du willst.«

      Hierauf entfernte sie sich, und nach einer Viertelstunde kehrten die andern heim. Nach dem Abendbrote sagte mir die Magd, ohne daß ich sie befragte, daß Bettina sich mit einem starken Fieberschauer zu Bette gelegt und ihr Bett in die Küche neben das ihrer Mutter habe stellen lassen. Dieses Fieber konnte natürlich sein, aber ich zweifelte daran. Ich war überzeugt, daß sie sich nie entschließen würde, gesund zu sein, denn sie wurde mir dadurch einen zu starken Grund gegeben haben, auch ihre angebliche Schuldlosigkeit gegen Cordiani für falsch zu halten. Daß sie ihr Bett in die Küche neben das ihrer Mutter hatte stellen lassen, hielt ich ebenfalls für eine List. Aber andren Tags nahm das Fieber zu, sie begann wirklich irre zu reden, und am vierten Tage bekam sie die Pocken. Cordiani und die beiden Feltrini, welche diese Krankheit noch nicht gehabt hatten, wurden unverzüglich entfernt; aber ich, der nichts davon zu fürchten hatte, durfte bleiben. Das arme Mädchen wurde so sehr von dieser Pest befallen, daß am sechsten Tage kein Teil des Körpers ihre Haut sehen ließ. Ihre Augen schlossen sich. Mund und Kehle füllten sich so sehr mit Geschwüren, daß nur noch einige Tropfen Honig in ihre Speiseröhre gebracht werden konnten. Das Atmen war sie einzige Bewegung, welche noch an ihr wahrgenommen werden konnte. Ihre Mutter entfernte sich nie von ihrem Bette, und man fand mein Benehmen bewundernswürdig, als ich mit meinem Tisch und meinen Heften mich bei ihrem Bett niederließ. Das arme Mädchen gewährte einen schrecklichen Anblick; ihr Kopf war um ein Dritteil dicker geworden, von der Nase war nichts mehr zu sehen, und es war zu fürchten, daß sie die Augen verlieren würde, selbst wenn sie mit dem Leben davonkommen sollte. Was mich am meisten belästigte, was ich aber dennoch zu ertragen entschlossen war, das war der Geruch ihrer Ausdünstung. Am neunten Tage gab ihr der Pfarrer die Absolution, salbte sie mit dem heiligen Öl und sagte, daß er ihr Geschick in die Hände Gottes lege. Ihr Zustand verschlimmerte sich von Tag zu Tag, und trotz aller Scheußlichkeit verließ ich sie nicht. Das Herz des Menschen ist ein Abgrund, denn wer würde es wohl glauben: Bettina bezeigte mir in diesem schrecklichen Zustand die ganze Zärtlichkeit, die ich ihr nach ihrer Heilung einflößte. Als am dreizehnten Tage das Fieber aufhörte, machte ihr ein unausstehliches Jucken viel zu schaffen; kein Heilmittel hätte dies in dem Grade stillen können, nur die mächtigen Worte, die ich ihr unaufhörlich zurief: »Bettina, bedenke, daß du bald gesund werden wirst; wenn du dich aber kratzest, wirst du so häßlich bleiben, daß dich niemand mehr lieben wird.«

      Ich möchte alle Ärzte der Welt herausfordern, ein mächtigeres Mittel gegen das Jucken eines Mädchens aufzufinden, welches sich bewußt war, schön gewesen zu sein, und welches fürchten mußte, durch seine eigene Schuld häßlich zu werden, sobald es sich kratze. Endlich öffnete sie wieder ihre schönen Augen; aber sie mußte bis nach Ostern das Bett hüten. Ich bekam von ihr einige Pocken, von denen drei auf meinem Angesicht unauslöschliche Spuren zurückgelassen haben; aber diese gereichten mir bei ihr zur Ehre, denn sie waren ein Beweis meiner Teilnahme, und sie überzeugte sich, daß ich allein ihre Zärtlichkeit verdiene. Auch liebte sie mich in der Folge ohne alle Täuschung und ich liebte sie ebenso zärtlich, ohne daß ich daran gedacht hätte, die Blume zu pflücken, welche das Schicksal, unterstützt vom Vorurteil, der Ehe aufbewahrte. Aber welche jammervolle Ehe! Bettina heiratete später einen Schuhmacher namens Pigozzi, der sie so arm und unglücklich machte, daß ihr Bruder sie von ihm wegnehmen und für sie sorgen mußte. Als der gute Doktor fünfzehn Jahre später zum Erzpriester von Sankt Georg im Thale gewählt wurde, nahm er sie mit sich, und vor achtzehn Jahren besuchte ich sie; ich fand Bettina alt, krank und im Sterben. Sie hauchte unter meinen Augen ihren Geist aus im Jahre Siebzehnhundertsechsundsiebzig, vierundzwanzig Stunden nach meiner Ankunft.

      2

      Lucia

      Nachdem ich meine Studien auf der Universität in Padua beendet hatte, es war ein rechtes Sauf- und Raufleben, wie es die Studenten führen, kam ich nach Venedig zurück, wo ich auf Beitreiben meines Vormundes die vier ersten Weihen erhielt und so nun als junger Abbé in die beste Gesellschaft geführt wurde, besonders durch einen alten Senator, den Herrn von Malpiero. Dies war ein Greis, der keinen Zahn mehr im Munde hatte, weshalb er wegen seiner langsamen Eßweise stets allein aß, bis ich ihm riet, sich doch eine angenehme Tischgesellschaft dadurch zu verschaffen, daß er sich solche Personen auswähle, die

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