Erinnerungen aus galanter Zeit. Giacomo Casanova

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Erinnerungen aus galanter Zeit - Giacomo Casanova

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Tage der Morgen angebrochen, als Lucia mit strahlendem Gesicht, mit dem Lächeln des Glücks auf ihrem schönen Munde und mit ihrem schönen in der reizendsten Unordnung niederwallenden Haar auf mein Bett zueilt; aber plötzlich bleibt sie stehen, ihre Züge nehmen den Ausdruck der Traurigkeit und Besorgnis an, und da sie mich bleich, eingefallen und betrübt sieht, so fragt sie teilnahmsvoll: »Was fehlt Ihnen?«

      »Ich habe die Nacht nicht schlafen können.«

      »Und warum nicht?«

      »Weil ich gesonnen bin, Ihnen einen Plan mitzuteilen, der für mich sehr betrübend ist, von dem ich aber hoffe, daß er mir Ihre Achtung verschaffen wird.«

      »Wenn er Ihnen meine Achtung verschaffen soll, so muß er Sie vielmehr heiter stimmen. Aber sagen Sie mir, Herr Abbé, warum Sie mich heute wie eine Dame behandeln, während Sie mich noch gestern geduzt haben. Was habe ich Ihnen getan? Ich werde Ihnen Ihren Kaffee holen; und wenn Sie ihn getrunken, sollen Sie mir alles sagen.«

      Sie entfernt sich und kommt wieder; ich trinke meinen Kaffee, und da sie mich immer noch ernst sieht, sucht sie mich zu erheitern, bringt mich zum Lachen und freut sich darüber. Nachdem sie alles wieder an seinen Platz gesetzt, schloß sie die Tür, weil es windig war, und da sie kein Wort von dem, was ich ihr sagen würde, verlieren wollte, bat sie mich sehr naiv, ihr ein Plätzchen an meiner Seite einzuräumen. Ich tat, was sie wollte, denn ich fühlte fast kein Leben mehr in mir. Nachdem ich ihr einen getreuen Bericht meines Zustandes gegeben, in welchen mich ihre Reize versetzt, und ihr alle Schmerzen geschildert, welche mir der Widerstand gegen den lebhaften Wunsch, ihr Beweise meiner Liebe zu geben, verursacht, stellte ich ihr vor, daß ich meine Qualen nicht mehr ertragen könne und mich zu der Bitte an sie genötigt sehe, sich nicht mehr vor meinen Augen zu zeigen. Der Wert, welchen ich auf diese Sache legte, die Wahrheit meiner Leidenschaft, der Wunsch, daß das von mir gewählte Mittel ihr als die großartige Anstrengung einer vollkommenen Liebe erscheinen möge, alles dies verlieh mir eine besondere Beredsamkeit. Ich suchte ihr besonders begreiflich zu machen, welche schrecklichen Folgen ein anderes als das von mir vorgeschlagene Betragen haben könnte und wie unglücklich wir beide dann sein würden. Als ich meine lange Rede beendet und Lucia meine Augen von Tränen benetzt sah, entblößte sie sich, um mir diese zu trocknen, ohne zu bedenken, daß sie dadurch zwei Halbkugeln ans Licht brachte, deren Schönheit imstande war, auch den erfahrensten Piloten Schiffbruch leiden zu lassen. Nach einigen Augenblicken einer stummen Szene sagte das reizende Mädchen mit traurigem Tone, meine Tränen betrübten sie und sie hätte nie geglaubt, daß ich ihretwegen welche vergießen würde.

      »Alles, was Sie mir sagen, fügte sie hinzu, beweist mir, daß Sie mich sehr lieben; aber ich weiß nicht, weshalb Sie dies so trüb stimmt, während Ihre Liebe mir ein unendliches Vergnügen macht. Sie wollten mich aus Ihrer Gegenwart verbannen, weil Sie Ihre Liebe fürchten. Was würden Sie dann aber tun, wenn Sie mich haßten? Trifft mich eine Schuld, weil ich Ihnen gefalle? Und wenn die Liebe, die ich Ihnen eingeflößt, ein Verbrechen ist, so versichere ich Ihnen, daß ich nicht die Absicht gehabt, eins zu begehen, und daher können Sie mich mit gutem Gewissen auch nicht strafen. Ich kann Ihnen auch nicht verschweigen, daß ich mich sehr darüber freue, daß Sie mich lieben. Können wir den Gefahren, die ich wohl kenne, nicht trotzen? Ich wundere mich, daß dies mir unwissenden Person nicht schwer erscheint, während Sie, der, wie alle sagen, so gelehrt ist, sich so sehr davor fürchten. Ich wundere mich, daß die Liebe, die doch keine Krankheit ist, Sie krank machen kann und auf mich aber eine ganz entgegengesetzte Wirkung hervorbringt. Oder sollte ich mich täuschen und das, was ich für Sie fühle, etwas andres als Liebe sein? Als ich heute morgen zu Ihnen kam, war ich so heiter, wie Sie mich noch nie gesehen, weil ich die ganze Nacht von Ihnen geträumt; das hat mich jedoch nicht gehindert zu schlafen; nur bin ich fünf- oder sechsmal aufgewacht, um mich zu überzeugen, ob mein Traum wahr sei, denn ich träumte, daß ich bei Ihnen wäre; wenn ich sah, daß dies nicht der Fall, schlief ich rasch wieder ein, um wieder zu meinem Traume zu gelangen, und dies gelang mir auch. Hatte ich also heute morgen nicht Grund, heiter zu sein? Wenn, mein lieber Abbé, für Sie die Liebe eine Qual ist, so tut es mir leid; oder sollten Sie vielleicht bestimmt sein, nicht zu lieben? Ich werde alles tun, was Sie befehlen, nur werde ich, sollte auch Ihre Heilung davon abhängen, nicht aufhören, Sie zu lieben, weil dies nicht möglich ist. Wenn Sie aber, um gesund zu werden, mich nicht mehr lieben dürfen, so tun Sie, was in Ihrer Macht steht, denn ich will lieber, daß Sie leben und nicht lieben, als daß Sie vor zu großer Liebe sterben. Aber sehen Sie erst zu, ob Sie nicht ein andres Mittel finden, denn das, welches Sie mir vorgeschlagen haben, betrübt mich. Bedenken Sie sich, vielleicht gelingt es Ihnen, ein weniger schmerzliches zu finden. Geben Sie mir ein ausführbares an die Hand und vertrauen Sie auf Lucia.«

      Diese wahre, naive und natürliche Rede überzeugte mich, wie sehr die Beredsamkeit der Natur der der philosophischen Bildung überlegen ist. Ich drückte das himmlische Mädchen zum ersten Male in meine Arme und sagte: »Ja, teure Lucia, du kannst dem Leiden, welches mich verzehrt, die süßeste Erleichterung bringen; gib deinen göttlichen Mund, welcher mir versichert, daß du mich liebst, meinen glühenden Küssen hin.«

      So verbrachten wir eine Stunde in einem köstlichen Schweigen, welches nur durch die von Lucia von Zeit zu Zeit wiederholten Worte: »O mein Gott, ist es wahr, daß ich nicht träume?« unterbrochen wurde.

      Ich hörte nicht auf, ihre Unschuld zu achten, und vielleicht gerade deshalb, weil sie sich ganz und ohne den geringsten Widerstand hingab. Endlich aber, sich sanft aus meinen Armen losmachend, sagte sie mit dem Ausdruck der Unruhe: »Mein Herz fängt an zu sprechen, ich muß gehen«, und stand augenblicklich auf.

      Als sie sich etwas in Ordnung gebracht, setzte sie sich, und einige Augenblicke später kam ihre Mutter, welche mir über mein gutes Aussehen und meine frische Farbe Komplimente machte und sodann zu ihrer Tochter sagte, sie möchte sich zur Messe ankleiden. Nach einer Stunde kam Lucia wieder und sagte, das Wunder, welches sie bewerkstelligt, mache sie ganz glücklich und sie sei stolz darauf; denn mein jetziger Zustand der Gesundheit überzeuge sie mehr von meiner Liebe als der erbarmenswerte, in welchem sie mich heute morgen gefunden.

      »Wenn dein vollkommenes Glück«, fügte sie hinzu, »nur von mir abhängt, so genieße, ich habe dir nichts abzuschlagen.«

      Als sie mich zwischen Trunkenheit und Furcht schwankend verlassen hatte, bedachte ich, daß ich am Rande eines Abgrundes stände und daß ich einer übernatürlichen Kraft bedürfte, um nicht in ihn hineinzufallen. Ich blieb während des ganzen Septembers in Pasean, und die elf oder zwölf letzten Nächte meines dortigen Aufenthalts brachte ich im ruhigen und freien Besitze Lucias zu, die, nachdem sie sich überzeugt, daß ihre Mutter schlafe, zu mir kam und in meinen Armen die köstlichsten Stunden verbrachte. Meine Glut, weit entfernt, abzunehmen, vermehrte sich durch meine Enthaltsamkeit, die zu bekämpfen sie alles mögliche tat. Sie konnte, so schien es mir, die Süßigkeit der verbotenen seltenen Frucht nur dann recht kosten, wenn sie diese nicht völlig pflücken ließ, und die Wirkung einer beständigen Berührung war zu stark, als daß ein junges Mädchen zu widerstehen vermocht hätte. Auch tat Lucia alles mögliche, um mich auf falsche Fährte zu führen, indem sie mir sagte, ich hätte schon die äußersten Gunstbezeigungen genossen, und ich erreichte das Ende meines dortigen Aufenthalts, ohne so süßen Versuchungen gänzlich zu unterliegen. Bei meiner Abreise von Pasean versprach ich ihr, im nächsten Frühjahr wiederzukommen. Als ich aber später wiederkam, hörte ich zu meinem Schrecken, daß Lucia mit dem Läufer des Grafen entflohen, nachdem durch ihre Körperbeschaffenheit ihre Verführung offenbar. Ich war nicht mehr stolz auf meine Selbstbeherrschung, sondern schämte mich ihrer. Untröstlich machte mich der Gedanke, daß ich das Mädchen vielleicht ins Elend gejagt. Erst nach einundzwanzig Jahren sollte ich sehen, was ich angerichtet: Als ich mich in Amsterdam aufhielt, besuchte ich eines Tages eine Musikhalle. Mein Begleiter nannte einmal laut meinen Namen, da stellte sich eines jener unseligen Geschöpfe vor mich hin, rief mich mit trauriger Stimme an, und trotz des schlechten Lichtes erkannte ich Lucia: sie war zur gemeinen Matrosendirne geworden, verdorben durch Laster und Krankheit, ein Gegenstand des Ekels.

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