Eigenständig im Alltag unterwegs (E-Book). Monika Luginbühl

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Eigenständig im Alltag unterwegs (E-Book) - Monika Luginbühl

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Alltag gibt es viele potenzielle Lernchancen – aber nur, wenn diese als solche erkannt und pädagogisch aufbereitet werden.

       Die Schaffung und Gestaltung von Lernprozessen hin zu mehr Selbstständigkeit gehört zu den wichtigsten sozialpädagogisch-agogischen Aufgaben. Nicht nur das Endresultat zählt, sondern insbesondere der Lernprozess – dieser sollte daher auch im Zentrum der Arbeit stehen.

       Damit Lernprozesse stattfinden, müssen sie gut geplant, sinnvoll rhythmisiert, in den Alltag integriert und unterstützend umgesetzt werden.

       Generell gilt: Je grösser der eigenständige Anteil an der Bewältigung einer Aufgabe, desto grösser das Erfolgserlebnis. Insbesondere Teilschritte und Hilfsmittel müssen im Lernprozess gut an die Kenntnisse und Fertigkeiten der Lernenden angepasst werden.

       Erfolgserlebnisse motivieren für mehr, und Motivation ist gleichzeitig der Schlüssel für die Erweiterung der eigenen Kompetenzen. Gut umgesetzte Lernsituationen im Alltag stärken die Selbstständigkeit und Eigenmotivation der Klient*innen entscheidend.

      Um das Potenzial im Alltag zu nutzen, muss zunächst der pädagogische Wert dieser Alltags-Lernsituationen erkannt und explizit gemacht werden. Denn damit Lernsituationen ihre Wirkung entfalten können, muss ihnen genügend Zeit eingeräumt werden. Wer die Erweiterung der Alltagskompetenzen anhand von pädagogisch aufbereiteten Lernsituationen nicht als Prinzip, sondern als optionalen Zusatz einstuft, wird im Berufsalltag womöglich immer wieder an der Ressourcenfrage scheitern. Es braucht daher eine bewusste Entscheidung eines Teams respektive einer Institution, solche Alltagskompetenzen aktiv und innovativ zu fördern und die Qualität der eigenen sozialpädagogisch-agogischen Arbeit – neben anderen Zielen wie etwa Coping-Strategien im Umgang mit Stress – auch an der Erweiterung der Alltagskompetenzen der Klient*innen zu messen. Durch die sichtbaren, konkreten Erfolge im Alltag können zudem weitere Synergien für die übergeordneten (Förder-)Ziele der Klient*innen entstehen.

      Damit das im Alltag gut gelingt, braucht es Arbeit auf unterschiedlichen Ebenen: Es geht sowohl um das Erkennen und Nutzen von vorhandenen Arbeitsfeldern als auch um das Initiieren von Denk- und Diskussionsprozessen im Team und in der Institution. Im ganz Praktischen geht es zudem um das Auswählen und Gestalten von geeigneten Lernsituationen. Wann immer möglich sollte die Schwerpunktsetzung zudem partizipativ mit den Klient*innen geschehen. Wie Sie das auf einfache Weise tun können, zeigen wir Ihnen im Folgekapitel. Unser Modell SALSA unterstützt Sie in der Umsetzung einfach und praxisnah.

      4. Modell SALSA: Spezifische, alltagskompatible Lernsituationen systematisch finden und anleiten

      Wir haben für den Praxisalltag ein Modell entwickelt, mit dessen Hilfe Sie einfach und strukturiert geeignete Lernsituationen finden und gestalten können. Auf den folgenden Seiten erklären wir den Grundsatz des Modells. Unter den thematischen Kapiteln finden Sie jeweils die themenorientierte Umsetzung des Modells sowie im dritten Teil des Buches zusätzlich Beispiele für die Gestaltung von spezifischen Lernsituationen.

      Abbildung 1: SALSA-Modell (eigene Darstellung, Copyright Christa und Monika Luginbühl, CC BY-NC-ND 4.0)

      Um geeignete Lernsituation zu finden, müssen Sie zuerst die Rahmenbedingungen klären. Es lohnt sich, dass Sie sich hierfür genügend Zeit nehmen, denn die Wahl der Lernsituation ist entscheidend für den Erfolg Ihrer Klient*innen. Klären Sie die Rahmenbedingungen in den Schritten 1 und 2 des Modells.

      Schritt 1: Grundhaltung reflektieren

      Seien Sie sich im Klaren, mit welchem Menschenbild, welcher Grundhaltung und welchen Grundwerten Sie Ihren Beruf ausüben. Gehen Sie beispielsweise bei allen Klient*innen davon aus, dass es Lernpotenzial gibt? Wo sehen Sie dieses? Wie steht es mit Ihren Berufsambitionen: Wollen Sie Erfolge bei Ihren Klient*innen sehen? Und was werten Sie dabei als Erfolg? Fordern und fördern Sie Ihre Klient*innen oder überfordern Sie sie manchmal? Sind Sie oft im Zeitstress und greifen dadurch (zu) schnell helfend ein? In welchen Situationen sind Sie besonders stolz auf Ihren Beruf, wann macht er Ihnen richtig Spass, und wann finden Sie ihn besonders schwierig? Wer hat in Ihrem Team welche Stärken, und wie können Sie diese bei der Bearbeitung verschiedener Lernfelder sinnvoll nutzen? Wie gehen Sie selbst mit hauswirtschaftlichen Themen um? (Siehe auch Annex 1 mit einer Checkliste zur Bearbeitung dieser Fragen, S. 333.)

      Schritt 2: Lernfelder erkennen

      Nicht jede eigentlich sinnvolle Lernsituation ist im jeweiligen institutionellen Kontext auch umsetzbar. Es gibt institutionelle Organisationsabläufe, die Lernfelder eher begünstigen oder hemmen. Ist beispielsweise die Küche zentral organisiert, wird es schwierig mit dem Kochen ganzer Menüs. Sie könnten aber trotzdem einen Geburtstagskuchen auf der Gruppe backen. Als potenzielles Lernfeld könnten Sie initiieren, dass jede Gruppe einmal wöchentlich selbst kocht und das dafür notwendige Budget erhält. Analysieren Sie, welche Ressourcen Sie nutzen können, sowohl auf institutioneller Ebene wie auch auf Ebene der Gruppe und individueller Ebene des*der Klient*in. Nutzen Sie vorhandene Optionen, erweitern Sie diese, wo es der institutionelle Rahmen einfach zulässt, seien Sie punktuell visionär und diskutieren Sie ganz neue Organisationsformen und Prozesse. Wichtig ist dabei: Ihre Klient*innen wachsen nur an den Lernsituationen, die sie auch umsetzen – denken Sie also nicht hauptsächlich in Zukunftsszenarien, sondern packen Sie konkret dort an, wo Sie bereits heute Lernchancen ermöglichen können. (Siehe auch Annex 2 mit einer Checkliste zur Bearbeitung dieses Themenfelds, S. 334.)

      Lernen im Alltag kann auf zwei Arten geschehen. Implizit, sozusagen «by the way» machen wir jeden Tag neuen Erfahrungen. Diese können auch als Lernerfahrungen gesehen werden, da sie unsere früheren Erfahrungen bestätigen oder auch infrage stellen. Bei Letzterem müssen wir neue Strategien finden, um die Situation zu bewältigen. Diese Momente sind wichtig, um potenzielle Lernfelder und Lernchancen zu erkennen. Daneben gibt es aber auch agogische Lernsituationen, in denen Lernmöglichkeiten bewusst und gezielt kreiert werden, um die Klient*innen zu fördern. Wir sprechen hier von angeleiteten Lernsituationen, welche die Klient*innen dazu befähigen sollen, auch in variablen Situationen handlungsfähig zu bleiben. Dies betrachten wir auf den folgenden Seiten genauer.

      Schritt 3: Lernsituationen auswählen

      Damit Sie Ihre Klient*innen zu einem Lernerfolg führen können, muss die gewählte Lernsituation alltagskompatibel sein. Erwarten Sie beispielsweise, dass Ihr Klient nach einem anstrengenden Arbeitstag am Abend noch viel Motivation für eine Lernsituation an den Tag legt, die seiner Arbeit ähnelt, wird es schwierig. Überlegen Sie sich, wann Sie welche Lernsituationen im Tages- und Wochenablauf Ihrer Klient*innen einbauen. Beziehen Sie dabei die Klient*innen in die Entscheidungsfindung mit ein; dieser partizipative Prozess ist ein wesentlicher Faktor für die intrinsische Motivation. Klären Sie zudem die dafür erforderlichen Finanz-, Zeit- und Betreuungsressourcen. In individuellen Lernsituationen dürfen zum Beispiel nicht die gesamten Ressourcen, die der Gruppe zustehen, für eine Einzelperson verwendet werden. Behalten Sie bei der Planung von individualisierten Lernsituationen daher die Gruppendynamik gut im Blick. Denken Sie daran, dass pädagogisch umgesetzte Lernsituationen immer mehr Zeit in Anspruch nehmen, als wenn Sie die Aufgabe selbst erledigen. Und auch wenn das Endresultat wichtig ist, steht bei der pädagogischen Umsetzung der Weg dorthin, also der eigentliche Lernprozess, im Hauptfokus und muss entsprechend hoch gewichtet werden. (Siehe auch Annex 3 mit einer Checkliste zur Bearbeitung dieses Themenfelds, S. 335.)

      Exkurs: Grundsätzliche Überlegungen

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