Das Unsichtbare sichtbar machen. Mirjam Eiswirth
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Chris
» Dem Diabetes zum Trotz: auf die schönen Dinge im Leben schauen. «
Chris ist 30 Jahre alt, frisch gebackener Diabetiker und steckt mitten in der Ausbildung zum Erzieher. Zusammen mit seiner Frau kümmert er sich um ihren gemeinsamen sieben Monate alten Sohn.
Eine neue Diagnose weckt alte Erinnerungen
Die Diagnose Diabetes ist für Chris noch ganz neu: Er hat erst gut einen Monat vor unseren Gesprächen erfahren, dass er selbst Typ-1-Diabetes hat. Die Erkrankung kannten er und seine Familie aber schon von seinem zwei Jahre jüngeren Bruder, der im Alter von 20 Jahren im Koma gestorben ist. Chris erzählt: „Mein Bruder kam nie richtig mit seinem Diabetes zurecht, er hat oft einfach nicht gespritzt und musste immer wieder ins Krankenhaus. Es war für uns alle schlimm, nur danebenstehen und zusehen zu können. Als mein Bruder 20 war, ist es dann passiert. Wir waren alle zu Hause, ich habe in meinem Zimmer Videospiele gespielt. Plötzlich habe ich meinen Vater schreien gehört. Ich bin sofort zu meinem Bruder ins Zimmer gelaufen und da lag er ganz bleich und still im Bett. Das war ein riesiger Schock für uns alle.“ Auch wenn das nun fast zehn Jahre her ist, hat Chris es als eine der größten Herausforderungen erlebt, seiner Mutter von seiner eigenen Diabetesdiagnose zu erzählen: „Das war ein schwerer Schlag für sie und hat all die Erinnerungen an meinen kleinen Bruder wieder aufgewühlt. Aber sie weiß, dass ich gut auf mich aufpasse und alles tun werde, was ich kann, damit mir nichts passiert.“
» Mein Sohn macht mich zu einem besseren Menschen. Ich will für ihn ein Vorbild sein, auf das er stolz sein kann. « |
Ganz schön viel Neues auf einmal
Deswegen lernt Chris jetzt alles, was er als Typ-1-Diabetes-Neuling über seinen Körper wissen sollte: messen und spritzen, Kohlenhydrate berechnen, Faktoren anpassen – und entscheiden, wie viel er essen muss, wenn der Zucker zu tief, wie viel er spritzen muss, wenn der Zucker zu hoch ist. Nach ein paar Tagen im Krankenhaus wird seine Einstellung im Moment ambulant angepasst. „Ich habe einen genauen Plan: Abends um neun spritze ich mein Langzeitinsulin, morgens immer sechs Einheiten fürs Frühstück. Da versuche ich, immer das Gleiche zu essen. Mittags und abends esse ich, was ich will, berechne die Kohlenhydrate und spritze dann dafür. Im Moment soll ich eine Einheit für 10 g Kohlenhydrate spritzen. Wenn ich also eine Portion Nudeln mit 90 g Kohlenhydraten esse, brauche ich neun Einheiten. Manchmal esse ich nur eine Scheibe Brot, dann brauche ich nur zwei Einheiten.“ Bei der Berechnung hält er sich an seine Kohlenhydratliste aus dem Krankenhaus und eine App, in der er viele Lebensmittel findet. „Noch toller wäre, wenn ich einfach meinen Teller fotografieren könnte und die App mir dann sagt, wie viele Kohlenhydrate drauf sind“, meint Chris. „Aber das kommt bestimmt in der Zukunft irgendwann, hoffentlich bald.“
Regelmäßige Termine in der Ambulanz
Noch läuft natürlich nicht alles ganz rund und Chris geht alle zwei Wochen mit seinem Blutzuckertagebuch in die Ambulanz, um eine Therapieanpassung zu besprechen. „Gestern Abend zum Beispiel war ich drei Stunden nach dem Abendessen bei 70 mg/dl (3,9 mmol/l) und habe mich ein bisschen zittrig gefühlt. Also habe ich einen Schokoriegel gegessen und war dann später wieder auf 150 mg/dl (8,3 mmol/l). Ich glaube, da bräuchte ich eigentlich weniger Insulin.“ Gerade sind all die neuen Informationen und Veränderungen eben noch ganz schön viel. Um das Basalinsulin abends nicht zu vergessen, stellt Chris sich einen Wecker, oft erinnert ihn auch seine Frau daran. Er versucht auch, weniger oder gar keinen Zucker zu essen – die zwei Würfelzucker im Tee hat er schon gegen Süßstoff ausgetauscht. Und er trinkt weniger Alkohol, vor allem weniger Bier und Cider, auch wenn ihm das fehlt.
„Mein Kind macht mich zu einem besseren Menschen“
Vater zu werden, hat für ihn alles verändert, sagt Chris, schon bevor die Diagnose Diabetes kam: „Mein Sohn macht mich zu einem besseren Menschen. Ich will für ihn ein Vorbild sein, auf das er stolz sein kann. Ich will ihm zeigen, dass er mit harter Arbeit viel erreichen kann und dass man sich Ziele setzen und die dann auch verfolgen sollte. Natürlich mache ich mir jetzt Sorgen um meine und auch seine Gesundheit. Darüber, ob ich Spätfolgen bekomme, vielleicht blind werde, ein Bein verliere oder sogar im Schlaf sterbe wie mein Bruder. Aber im Alltag komme ich eigentlich gut klar, und für mich ist das Glas immer eher halb voll als halb leer. Sollte er irgendwann auch Diabetes bekommen, dann kann ich ihn immerhin super unterstützen. Ich will mich auf die guten Dinge in meinem Leben konzentrieren und das Beste daraus machen.“
Mit Hoffnung in die Zukunft
Deswegen macht Chris jetzt eine Ausbildung zum Erzieher – mit Kindern zu arbeiten macht ihm Spaß, und er findet es spannend, bei seinem kleinen Sohn in Echtzeit die Entwicklungen zu beobachten, von denen in seinen Lehrbüchern die Rede ist. Seine Freizeit verbringt er am liebsten mit seiner Familie und abends spielt er gerne mit Freunden im Pub Darts und Pool. Und wenn ihm das Jonglieren mit Kohlenhydraten und Korrekturfaktoren in Fleisch und Blut übergegangen ist, dann hätte Chris gerne irgendwann eine Insulinpumpe und einen Sensor, denn: „Das wäre schon praktisch, mich nicht immer stechen und spritzen zu müssen, mit einer Pumpe wäre ich viel flexibler. Aber eines nach dem anderen. Erst mal müssen meine Faktoren stimmen und ich muss die Grundlagen verstehen.“
Connor
» Insulin, Sport und Essen sind meine Medizin. «
Connor ist ein 23 Jahre junger Architekt aus Ayre und arbeitet in Glasgow. Diabetes hat er seit seinem elften Lebensjahr. Drei Jahre später bekam er als einer der ersten in seiner Region eine Insulinpumpe. Heute genießt er die Freiheit, die ihm Pumpe und Sensor ermöglichen. Er treibt viel Sport und achtet mittlerweile auch intensiv auf seine Ernährung. Vor allem die Kohlenhydrate hat er dabei im Blick.
Ungewollter Abnehm-„Erfolg“
Der Weg zur Diagnose für Connor war lang: „Damals bin ich mit meiner Mutter immer zu wöchentlichen Abnehm-Treffen gegangen und habe mich zum Spaß auch jede Woche gewogen. Ich war der erfolgreichste Abnehmer der Gruppe, ohne irgendwas dafür zu tun.“ Statt den unerwarteten Erfolg genießen zu können, fühlte sich Connor aber dabei vor allem erschöpft, abgeschlagen und schrecklich durstig.
„An dem Wochenende vor meiner Diagnose war ich dann mit einer Gruppe von der Schule in den Bergen: campen und wandern. In der Nacht bin ich plötzlich aufgewacht und war so durstig, dass ich einen ganzen Liter Saft heruntergekippt habe. Danach bin ich aufgestanden. Ich habe den nächsten Bach gesucht und aus dem Bachlauf getrunken. Am nächsten Tag habe ich dann alle ständig um ihr Wasser angebettelt, weil ich so einen Durst hatte. Keine Ahnung, wie ich diese Wanderung dann überhaupt noch geschafft habe.“
» Ich habe anfangs gar nicht begriffen, dass Diabetes bleibt. « |
„Ich dachte, ich könnte mich selbst heilen“
Nach dem Wochenende brachte Connors