24/7. Jonathan Crary
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In einem erweiterten Sinne aber wurde der Vertrag, der vorgibt, jedem, ob vermögend oder nicht, Schutz zu bieten, schon lange gebrochen. Im Werk Franz Kafkas sind Verhältnisse allgegenwärtig, in denen Hannah Arendt die Abwesenheit von Räumen oder Zeiten für Ruhe und Erholung erkannte. Das Schloss, »Der Bau« und andere Texte vermitteln immer wieder ein Gefühl von Schlaflosigkeit und erzwungener Wachsamkeit, einhergehend mit modernen Formen der Isolation und Entfremdung. In Das Schloss kehrt sich das ältere Modell von königlichem Schutz um: Die nervöse Achtsamkeit und ermüdende Wachheit des Landvermessers bezeichnet hier seine Unterlegenheit und Bedeutungslosigkeit für die schläfrigen Beamten der Schlossverwaltung. »Der Bau«, die Geschichte einer kreatürlichen Existenz, reduziert auf ein zwanghaft-ängstliches Streben nach Selbsterhaltung, ist in der modernen Literatur eine der trostlosesten Darstellungen des Lebens in einer von jeglichem Miteinander abgeschnittenen Einsamkeit. Es ist ein düsteres Bild menschlichen Lebens ohne Gemeinschaft oder Zivilgesellschaft, in denkbar größter Entfernung zu den kollektiven Lebensformen der damals aufgebauten Kibbuzim, die Kafka so faszinierten.
Die verheerende Realität des Fehlens von Schutz und Sicherheit für jene, die sie am nötigsten haben, wurde erschreckend deutlich bei der Chemiekatastrophe im indischen Bhopal. Am 1. Dezember 1984, kurz nach Mitternacht, tötete hochgiftiges Gas aus einem undichten Vorratstank Zehntausende von Bewohnern der umliegenden Stadtviertel, die meisten von ihnen im Schlaf. Tausende weitere Opfer starben in den folgenden Wochen und Monaten, eine noch größere Zahl trug bleibende gesundheitliche Schäden davon. Bhopal hat die Kluft zwischen wirtschaftlicher Globalisierung und der Möglichkeit von Sicherheit und Nachhaltigkeit für menschliche Gemeinschaften schonungslos aufgedeckt. In den folgenden Jahrzehnten hat die beständige Ablehnung jeder Verantwortung durch Union Carbide und die Verweigerung jedweder Gerechtigkeit für die Betroffenen deutlich gemacht, dass die Katastrophe kein Zufall war und dass die Opfer der wirtschaftlichen Aktivitäten nicht zählten. Gewiss hätte das Unglück bei Tage nicht minder schreckliche Folgen gehabt. Dass es aber bei Nacht geschah, unterstreicht die besondere Schutzlosigkeit des Schlafenden in einer Welt, in der traditionelle soziale Sicherungen verschwunden oder abgebaut sind. Eine ganze Reihe grundlegender Voraussetzungen für den Zusammenhalt sozialer Beziehungen verbindet sich in der Frage des Schlafs – in der Wechselseitigkeit von Vulnerabilität und Vertrauen, von Exponiertheit und Fürsorge. Entscheidend ist die Bedeutung des Schutzes anderer für eine wiedererwachende Sorglosigkeit des Schlafs, für einen periodischen Zeitraum der Freiheit von Ängsten und ein zeitweiliges »Vergessen des Schmerzes«.20 Mit der zunehmenden Zerrüttung des Schlafs könnte deutlicher werden, dass die für den Schlafenden so wichtige Einsamkeit nichts wesentlich anderes ist als die angesichts deutlicherer und akuterer Formen gesellschaftlichen Leidens notwendige Geborgenheit.
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