Menschenspuren im Wald. Peter Wohlleben

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Menschenspuren im Wald - Peter Wohlleben

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richtig aufgeräumt aussieht.

      Kann das bloße Nichtstun ein Wirtschaftsziel sein? Dazu komme ich gleich, doch es gibt noch einen anderen Grund, diese Waldform an den Anfang zu setzen: Da es keine echten, vom Menschen völlig unbeeinflussten Wälder mehr in Mitteleuropa gibt, stellt das Reservat die naturnächste Waldform und damit einen Referenzwert für die ökologische Waldwirtschaft dar. Hier lassen sich ungestörte Prozesse vom Werden und Vergehen beobachten, hier haben die letzten Urwaldarten ein Refugium. Wie sehr Forstwirtschaft dieses Ökosystem verändert, lässt sich nur durch vergleichende Forschung herausfinden, und das ist der besondere Wert dieser Schutzgebiete. Wenn im Folgenden andere Wirtschaftsformen vorgestellt werden, dann können Sie diese vor Ihrem geistigen Auge neben die Reservate stellen und sehen, wie sehr sie von der Natur entfernt sind.

      Wo der Mensch nicht eingreift, finden unzählige Pflanzen- und Tierarten geeignete Lebensräume.

      Waldreservate funktionieren wie Urwälder. Sie lagern etwa zehn Tonnen Biomasse pro Jahr und Hektar in Form von lebenden und toten Bäumen sowie Humus ein. Ein Teil dieses Materials wird wieder von Pilzen und Bakterien gefressen und veratmet, doch die Hälfte verbleibt dauerhaft im Ökosystem. So bindet der Wald nach Jahrhunderten über 150 000 Tonnen Kohlendioxid pro Quadratkilometer. Die lebende und tote organische Substanz ist voller Wasser, welches an heißen Tagen an die Luft abgegeben wird und diese deutlich kühlt. Zudem haben die Bäume selbst in Trockenperioden immer Zugang zu genügend Feuchtigkeit für ihre Wurzeln. Viele Tierarten sind auf solch konstante Bedingungen angewiesen. Laufkäfer des Urwalds etwa brauchen eine bestimmte Luftfeuchtigkeit. Werden auch nur einzelne Bäume gefällt, so wird die Luft etwas trockener und die Käfer verschwinden. Selbst die Zusammensetzung der Spinnenarten verändert sich in dem Augenblick, wenn Holz geerntet wird. Die nachgelagerte Nahrungskette der Vögel und Säugetiere beeinträchtigt dies zwangsläufig auch – wie genau, das ist noch nicht erforscht.

      Neben der Artenvielfalt geht es aber auch um die Bäume selbst. Von Natur aus wachsen die jungen im Dämmerlicht unter den Kronen der ausgewachsenen Exemplare jährlich nur wenige Millimeter. Ein zwei Meter hoher Baum kann durchaus schon 100 Jahre alt sein, und diese Langsamkeit ist das Geheimnis, warum diese Wesen so lange leben können. Nur bei einem extrem gebremsten Jugendwachstum können sie später ein Alter von mehreren Hundert Jahren erreichen. Das Holz wird dicht und zäh und ist widerstandsfähig gegen Pilzbefall. Zudem bleibt stets genug Energie übrig, um sich gegen Parasiten zu wehren und eine heftige Krankheit zu überstehen. Solche Geruhsamkeit und solche Bedacht sind in Wirtschaftswäldern gar nicht gefragt und auch schädlich für die Rendite. Wer will schon nach 100 Jahren nur bleistiftdicke Stämme ernten? Wo Bäume bereits nach 80 Jahren ins Sägewerk wandern sollen, legt man auf diese Prozesse keinen Wert. Für die Tierarten, die Buchen oder Eichen erst ab Baumalter 200 besiedeln können, sieht die Sache schon ganz anders aus. Der Mittelspecht etwa benötigt solche alten Recken, hat in forstwirtschaftlichen Fragen aber leider kein Mitspracherecht. Dabei lassen sich Reservate auch anderweitig nutzen, wovon ich ab Seite 85 noch erzählen werde.

      Jeder Knoten am Zweig steht für ein Lebensjahr.

      Kahlschlagswirtschaft: die härteste Form der Waldbewirtschaftung

      Haben Sie schon mal einen Wald von oben gesehen? Auf Luftbildkarten im Internet sieht er oft wie ein Flickenteppich aus. Und auch vom Waldweg aus scheinen die Grenzen zwischen den verschiedenen Parzellen häufig wie mit dem Lineal gezogen zu sein. Fein abgegrenzt wachsen hier die Baumarten, oft je Teilstück nur eine einzige in einheitlichem Baumalter. Solche Wälder stammen aus den Zeiten der Kahlschlagswirtschaft, die gerade leider wieder auflebt. Sie ist die Methode der Wahl für Kontrollfanatiker und stammt aus Zeiten, in denen der Wald völlig ausgeplündert war und wieder aufgebaut werden sollte (siehe Foto auf Seite 15).

      Kahlschläge, um die Wälder vor Ausplünderung zu bewahren? Was schizophren klingt, war damals übliche Praxis. Ein Beispiel: Ein Forstbetrieb wirtschaftet mit Fichten. Seine Fläche beträgt 100 Hektar (= ein Quadratkilometer), die Bäume erntet er nach 100 Jahren Wachstum. Im Idealfall entspricht jeder einzelne Hektar einem Jahrgang. Wenn er nun jedes Jahr den ältesten Hektar Fichten kahl schlägt und diese Fläche wieder aufforstet, dann ist dies in Bezug nur auf die Holzmenge exakt nachhaltig. Die übrigen 99 Hektar wachsen weiter vor sich hin, im kommenden Jahr ist das nächste Feld dran. So eine Wirtschaftsweise lässt sich einfach kontrollieren, und der Fachbegriff dafür lautet »Altersklassenwald«, weil jeder Jahrgang an Bäumen fein säuberlich getrennt von den anderen aufwächst.

      Hier trennt eine schmale Fichtenparzelle zwei Kahlschläge. Die Bäume sind alle gleich alt.

      Abgesehen von der Kontrolle hat das Modell aber nur Nachteile. Mit einem funktionierenden Waldökosystem hat so eine Plantage nichts mehr zu tun, eher schon mit einem überdimensionalen Maisfeld. Ein bis drei Baumarten, alle gleich dick (oder besser dünn), gleich hoch, gleich jung – da gibt es für die meisten heimischen Tierarten, die auf alte Bäume und viel Totholz angewiesen sind, wenig zu holen. Dazu passt die industrielle Ernte der Stämme mit Großmaschinen, und auch in Bezug auf Spritzmittel trifft der Vergleich mit der Landwirtschaft zu. Die riesigen Monokulturen sind anfällig gegen Fraß der Raupen einiger weniger Schmetterlingsarten, weshalb in jedem Sommer Hunderte von Quadratkilometern mit Insektiziden besprüht werden – Tendenz steigend.

      Im Laufe der Zeit hat sich zwar die optimale Quadratform verändert, aber noch immer ist der Wald in sichtbare Altersklassen aufgeteilt.

      Nach einem Kahlschlag liegt der Waldboden in der prallen Sonne und erwärmt sich stark. Dadurch werden Pilze und Bakterien besonders aktiv und bauen innerhalb weniger Jahre den größten Teil des Humus ab. Wie ein Strohfeuer verpuffen die Nährstoffe, die kurzfristig zu einem starken Wachstum von Stickstoffzeigern wie Brombeeren oder Brennnesseln führen. Das führt zu einem geringeren Holzzuwachs des künftigen Walds, der zudem noch unter Wassermangel leiden wird: Humus ist ein enorm wichtiger Speicher für Feuchtigkeit. Selbst wenn die Fläche eines Tages wieder von Bäumen bedeckt ist, dauert es bis zu 500 Jahre, bis der Humusvorrat wieder annähernd aufgefüllt ist. Doch bis dahin wurde die Fläche ja fünfmal kahl geschlagen …

      Nach dem Kahlschlag begünstigt das Strohfeuer der Nährstoffe das Wachstum der Brombeeren.

      Leider wird diese Praxis bis heute ausgeübt. Zwar ist die Kahlschlagsgröße in vielen Bundesländern beschränkt, doch statt diese harten Eingriffe ganz zu verbieten, setzt man auf die Einsichtsfähigkeit der Besitzer. Und selbst wenn diese rücksichtsvoll sind, holen die Sünden der Vergangenheit sie oft ein. Gerade Nadelholzplantagen sind extrem anfällig für Stürme, sodass rund 50 Prozent dieser Hölzer durch »Naturkatastrophen« anfallen. Und ob ein Sturm oder der Besitzer eine Kahlfläche verursacht, ist in den Auswirkungen für die Natur völlig egal. Helfen würde eine Rückkehr zu heimischen Waldgesellschaften, die überwiegend aus stabilen Laubbäumen wie Buche oder Eiche bestehen. Das Ganze dann als Plenterwald bewirtschaftet, wo urwaldähnlich alle Altersgruppen an Bäumen innig gemischt und kahlschlagsfrei wachsen, und Mensch und Natur könnten wirklich zufrieden sein.

      Dauerwald: urwaldfern, aber

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