Die straf- und bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit der Diensteanbieter sozialer Netzwerke im Internet. Timo Handel
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Der EuGH verneint hingegen die Eigenschaft von Gmail als elektronischer Kommunikationsdienst.64 Bei der Nachrichtenübertragung innerhalb eines sozialen Netzwerks liegt darüber hinaus kein Fall des Austauschs zwischen Servern verschiedener Provider vor. Die zwischen den Nutzern eines sozialen Netzwerks ausgetauschten Nachrichten verbleiben grundsätzlich innerhalb des sozialen Netzwerks. Sie verlassen dieses erst, wenn sie durch den Nutzer unter Nutzung eines Network- und Accessproviders über das soziale Netzwerk abgerufen werden, wobei die Übermittlung allein an das jeweilige Endgerät des Nutzers zum Abruf bzw. zur Anzeige im Browser oder einer App erfolgt.
Vorliegend kann die Frage der Anwendbarkeit des TKG auf die Individualkommunikationsdienste sozialer Netzwerke im Ergebnis jedoch offenbleiben, da bereits die übrigen Bestandteile eines sozialen Netzwerks, insb. die Profile, Gruppen und Fan-Seiten das soziale Netzwerk (auch) als Telemedium qualifizieren. Denn mit diesen Funktionen wird deutlich, dass der Dienst des sozialen Netzwerks gerade nicht „ganz“ der Übertragung von Signalen dient. Zudem folgen die hier zu untersuchenden Strafbarkeitsrisiken des Diensteanbieters fast ausschließlich aus den übrigen Funktionen sozialer Netzwerke, die eine Massenkommunikation durch öffentliches Zugänglichmachen von Informationen ermöglichen.
cc. Keine telekommunikationsgestützten Dienste i.S.d. § 3 Nr. 25 TKG
Keine Telemedien i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 TMG sind zudem telekommunikationsgestützte Dienste i.S.d. § 3 Nr. 25 TKG. Bei diesen handelt es sich um Dienste, die keinen räumlich und zeitlich trennbaren Leistungsfluss auslösen, sondern bei denen die Inhaltsleistung noch während der Telekommunikationsverbindung erfüllt wird. Hiervon sind Dienste erfasst, mittels derer im Wege einer Individualkommunikation eine inhaltliche Leistung von dem Diensteanbieter an den Nutzer erbracht wird.65 In erster Linie handelt es sich um sog. Mehrwertdienste, also Dienste, die im Wege der Telekommunikation eine Leistungserbringung zum Gegenstand haben (z.B. Auskunftsdienste i.S.d. § 3 Nr. 2a TKG).66 Diese können sowohl kostenlos (z.B. entgeltfreie Telefondienste i.S.d. § 3 Nr. 8a TKG) als auch kostenpflichtig sein (z.B. Premium-Dienste i.S.d. § 3 Nr. 17c TKG), wobei die Abrechnung der Gebühren regelmäßig über die Telefonrechnung erfolgt (z.B. mittels 0900er-Rufummer).67
Die Diensteanbieter sozialer Netzwerke erbringen jedoch gerade keine inhaltliche Leistung im Wege einer solchen Individualkommunikation gegenüber ihren Nutzern. Sie stehen vielmehr jedem Nutzer zum allgemeinen Abruf bereit und sind mithin keine telekommunikationsgestützten Dienste i.S.d. § 3 Nr. 25 TKG.
dd. Kein Rundfunk i.S.d. § 2 RStV bzw. § 2 MStV
Schließlich sind Telemedien i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 TMG kein Rundfunk. Für die Abgrenzung maßgeblich ist allein der einfachgesetzliche Rundfunkbegriff, was aus dem Verweis des § 1 Abs. 1 Satz 1 TMG auf § 2 RStV, seit 7.11.2020 durch § 2 MStV ersetzt, aber nicht zeitgleich in § 1 Abs. 1 Satz 1 TMG geändert, deutlich wird.68
Rundfunk ist gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 RStV ein linearer Informations- und Kommunikationsdienst; er ist die für die Allgemeinheit und zum zeitgleichen Empfang bestimmte Veranstaltung und Verbreitung von Angeboten in Bewegtbild oder Ton entlang eines Sendeplans unter Benutzung elektromagnetischer Schwingungen. Dem entspricht die neue Legaldefinition in § 2 Abs. 1 Satz 1 MStV weitgehend. Danach ist Rundfunk ein linearer Informations- und Kommunikationsdienst; er ist die für die Allgemeinheit und zum zeitgleichen Empfang bestimmte Veranstaltung und Verbreitung von journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten in Bewegtbild oder Ton entlang eines Sendeplans mittels Telekommunikation. Letztlich wurde in der Definition nur das Mittel der Verbreitung, also die „Benutzung elektromagnetischer Schwingungen“, durch die „Verbreitung [...] mittels Telekommunikation“ neu gefasst. Dass es sich um „journalistisch-redaktionell gestaltet[e] Angebot[e]“ handeln muss, verlangte bereits der RStV mit seinem § 2 Abs. 3 Nr. 4. Sowohl nach § 2 Abs. 1 Satz 2 RStV als auch § 2 Abs. 1 Satz 2 MStV schließt der Rundfunkbegriff Angebote ein, die verschlüsselt verbreitet werden oder gegen besonderes Entgelt empfangbar sind.
Soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter und YouTube werden zum individuellen Einzelabruf bereitgehalten und sind – mit Ausnahme der z.T. über sie verbreiteten Live-Streams69 – nicht zum zeitgleichen Empfang im Sinne einer Linearität in Form einer Ein-Punkt-zu-Mehrpunkt-Übertragung bestimmt. Kennzeichnendes Merkmal des Rundfunks ist aber gerade die Linearität, die bei einem individuellen Einzelabruf bzw. -zugriff gerade nicht vorliegt.70 Soweit im Rahmen eines sozialen Netzwerks lineare Live-Streams veranstaltet werden, erreichen diese in aller Regel nicht die nötige journalistisch-redaktionelle Gestaltung und werden nicht entlang eines Sendeplans veranstaltet.71 Ein solcher erfordert, die auf Dauer angelegte, vom Veranstalter bestimmte und vom Nutzer nicht veränderbare Festlegung der inhaltlichen und zeitlichen Abfolge von Sendungen (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 MStV). Für ein Rundfunkprogramm ist dabei gerade die vorherige Auswahl und Zusammenstellung zeitlich geordneter Inhalte nach einem solchen Sendeplan erforderlich (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 1 RStV/§ 2 Abs. 2 Nr. 1 MStV).72 Dafür ist die bloße Zusammenreihung von „Einzelsendungen ohne jeden inneren Zusammenhalt“ nicht ausreichend.73 Ein „planmäßig ablaufendes Gesamtprogramm“74 und damit Rundfunk liegen in aller Regel nicht vor.75
ee. Ergebnis zur Qualifizierung sozialer Netzwerke als Telemedien
Bei sozialen Netzwerken handelt es sich um elektronische Informations- und Kommunikationsdienste. Sie bestehen jedenfalls nicht „ganz“ in der Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze und erbringen keine inhaltlichen Leistungen im Rahmen einer Individualkommunikation. Zudem werden sie – bis auf einzelne Funktionen – zum individuellen Einzelabruf bereitgehalten. Soziale Netzwerke sind daher als Telemedien i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 TMG zu qualifizieren.
c. Eigene und fremde Telemedien des Diensteanbieters
Der Begriff des Diensteanbieters i.S.d. § 2 Satz 1 Nr. 1 TMG setzt weiter voraus, dass der Diensteanbieter „eigene“ oder „fremde“ Telemedien im vorgenannten Sinne zur Nutzung bereithält oder den Zugang zur Nutzung vermittelt. Die Differenzierung zwischen „eigenen“ und „fremden“ Telemedien hat im Rahmen der Legaldefinition des Diensteanbieters nur eine klarstellende Funktion dahingehend, dass „man auch Diensteanbieter fremder Telemedien sein kann“.76 Bereits ausreichend für die Qualifizierung als Diensteanbieter ist es, dass es dem Nutzer ermöglicht wird, Telemedien zu nutzen.77 Auswirkungen hat die Differenzierung erst im Rahmen des vom TMG ausdifferenzierten abgestuften Haftungsregimes der §§ 7ff. TMG.78
Die Anbieter sozialer Netzwerke sind daher nicht nur Diensteanbieter für das eigene Telemedium, also die Plattform des sozialen Netzwerks, sondern auch für die Nutzerprofile etc., welche für den Diensteanbieter des sozialen Netzwerks grundsätzlich fremde Telemedien darstellen.79
d. Bereithalten oder den Zugang zur Nutzung vermitteln
Der Begriff des Diensteanbieters i.S.d. § 2 Satz 1 Nr. 1 TMG erfordert zudem, dass der Diensteanbieter das eigene oder fremde Telemedium „zur Nutzung bereithält oder den Zugang zur Nutzung vermittelt“.
Das Vorliegen dieser Tatbestandsvoraussetzungen ist funktionell zu ermitteln, sodass derjenige Diensteanbieter ist, der die Herrschaft über die betroffenen Telemedien hat, indem er über Inhalt und Abrufbarkeit bzw. Verfügbarkeit des Dienstes entscheiden kann.80 Es handelt sich danach um denjenigen, der nach außen als Anbieter des Dienstes auftritt.81 Ob der Diensteanbieter eigenen oder fremden Datenspeicher bzw. eigene oder fremde Server nutzt, ist unerheblich.82
Die Vermittlung des Zugangs zur Nutzung liegt mit der Schaffung einer „unmittelbare[n] Verbindung zwischen dem Nutzer und dem Diensteanbieter“