Compliance-Handbuch Kartellrecht. Jörg-Martin Schultze
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1.2 Praxisbeispiele für Kartellabsprachen
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Nicht zuletzt wegen der äußerst weiten Erfassung von rechtswidrigen Abreden kommen Kartelle in sehr verschiedenen Ausprägungen daher, ihre Erscheinungsformen lassen sich nicht generalisieren: Kartelle können sehr ausgeklügelte Melde- und Überwachungsmechanismen enthalten und über lange Jahre im Geheimen praktiziert werden (siehe z.B. die sogleich dargestellten Praxisbeispiele zum Bildröhren-Kartell oder dem Kartell der „Schienenfreunde“), sie können aber auch nur aus einer kurzfristigen bilateralen Absprache bestehen, die sogar offen in einem Vertrag festgehalten wird (siehe dazu das Praxisbeispiel zu Telefónica und Portugal Telecom). Manche Kartelle geben sich klangvolle Namen wie „Schienenfreunde“, andere bezeichneten sich gar als „Gartenbauclub“, in dem sich die Kartellanten unter Code-Namen wie „Spargel“ und „Mini-Zucchini“ identifizieren.135 Obgleich Kartelle an ganz verschiedenen Orten und Gelegenheiten geschlossen werden, so z.B. auf Golfplätzen,136 in Flughafen-Hotels,137 Schlosshotels,138 im Rotlichtmilieu139 oder in Chatrooms,140 hat die Vielzahl dieser rechtswidrigen Vereinbarungen ihren Ursprung aber im wenig spektakulär anmutenden Umfeld von Verbandssitzungen,141 Messen, Kundenbesuchen oder sonstigen eher unverfänglichen Zusammenkünften zwischen Wettbewerbern.
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Ein klassisches Praxisbeispiel für ein hochorganisiertes Kartell liefert eine Kommissionsentscheidung 2012 zum sog. Bildröhren-Kartell:
Die Kommission verhängte im Dezember 2012 gegen sieben internationale Hersteller von Bildröhren für Fernsehgeräte und Computerbildschirme wegen der Beteiligung an zwei Kartellen ein Rekordbußgeld in Höhe von EUR 1,47 Mrd.142 Die beiden Kartelle gehören zu den am besten organisierten Kartellen, die die Kommission bisher untersucht hat. Fast zehn Jahre lang trafen die Unternehmen Preisabsprachen, teilten Märkte und Kunden untereinander auf und beschränkten ihre Produktion. Auf weltweit abgehaltenen sog. Green(s) Meetings der obersten Führungsebene (die so bezeichnet wurden, weil im Anschluss häufig ein Golfspiel stattfand) wurde die Ausrichtung der Kartelle ausgehandelt. Vorbereitung und Umsetzung wurden auf niedrigerer Ebene bei sog. Glass Meetings vierteljährlich, monatlich oder sogar wöchentlich diskutiert. Die Kartellanten überwachten die Umsetzung der Kartellabsprachen, indem sie u.a. die Einhaltung der Kapazitätsbeschränkungen bei Betriebsstättenbegehungen überprüften. Dass sich die Unternehmen des Kartellverstoßes bewusst waren, zeigen Warnhinweise, die die Kommission in den Unterlagen fand, z.B.: „Es wird zur Geheimhaltung aufgefordert, da eine Offenlegung gegenüber Kunden oder der Europäischen Kommission äußerst schädlich wäre.“ Das Kartell wurde durch einen Kronzeugenantrag des taiwanesischen Unternehmens Chungwa aufgedeckt.
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Dass sich klassische Kartelle auch Jahre später nicht überlebt haben, zeigt unter anderem das 2020 mit einem Bußgeld von EUR 154 Mio. abgeschlossene Pflanzenschutzmittelkartell des Bundeskartellamts:143
Das Bundeskartellamt kam im Januar 2002 zu dem Schluss, dass sieben Agrargroßhändler zwischen 1998 und März 2015 jeweils im Frühjahr und Herbst ihre Preislisten für Pflanzenschutzmittel miteinander abgestimmt haben. Grundlage der Abstimmung war eine gemeinsame Kalkulation der Großhändler, die weitgehend einheitliche Preislisten für Einzelhändler und Endkunden zur Folge hatte. Vor allem in den ersten Jahren übernahmen einige Unternehmen die abgestimmte Preisliste dann einfach für die eigene Preissetzung, indem sie faktisch nur noch ihr Firmenlogo über die fertige Liste setzten. In der Anfangszeit des Kartells trafen sich die Unternehmen mehrmals im Jahr, um sich auf (rabattfähige Brutto-)Listenpreise zu verständigen – in den späteren Jahren erfolgte die Abstimmung überwiegend schriftlich und telefonisch. Die vier führenden Großhändler im Markt – zwei genossenschaftlich organisierte Großhändler und zwei sog. Private – übernahmen grundsätzlich die Vorabstimmung der Kalkulation dieser Preisangaben. Im Anschluss erfolgte die weitere Abstimmung unter den Großhändlern in zwei Lagern, einerseits unter den genossenschaftlich organisierten Großhändlern und andererseits unter den sog. Privaten, den nicht-genossenschaftlich organisierten Großhändlern. Das Ergebnis dieser Abstimmung, die Kalkulationsschemata sowie die fertig berechneten (rabattfähigen Brutto-)Preislisten, wurde dann allen Unternehmen jeweils zur Frühjahrs- und Herbstsaison zur Verfügung gestellt. Bis zum Jahr 2008 hatten bis auf einen betroffenen Großhändler dann alle Unternehmen teilweise auch die darauf zu gewährenden Rabattspannen sowie teilweise Netto-Netto-Preise (Abgabepreise gegenüber Einzelhändlern ohne weitere Rabattierung) für zentrale Produkte abgesprochen.
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Dass Kartelle nicht nur als geheime Absprachen, sondern auch offen in Verträgen geschlossen werden können, belegt bereits das 2013 abgeschlossene Kommissionsverfahren gegen Telefónica und Portugal Telecom:
Die Kommission verhängte am 23.1.2013 gegen die Telekommunikationsanbieter Telefónica aus Spanien und Portugal Telecom Bußgelder in Höhe von insgesamt EUR 79,2 Mio. Die Parteien hatten im Rahmen der Auflösung eines gemeinsamen Joint Ventures in Brasilien vertraglich vereinbart, ab September 2010 bis Ende 2011 in ihren jeweiligen Heimatmärkten Spanien und Portugal nicht miteinander in Wettbewerb zu treten.144 Der Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV wurde im Februar 2011 beendet, nachdem die Kommission auf Hinweis der spanischen Wettbewerbsbehörde ein Kartellverfahren eingeleitet hatte. Das hohe Bußgeld erging, obwohl das Wettbewerbsverbot letztlich nur für vier Monate in Kraft war.145
1.3 Risikofaktoren für und Aufdeckung von Kartellabsprachen
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Klassische Kartellabsprachen werden nur selten „zufällig“ oder bei Gelegenheit einer Compliance-Schulung aufgedeckt. Dies liegt schon daran, dass diese Absprachen für viele Mitarbeiter im Unternehmen nicht zwingend visibel sind, da sie auf Ebene der Geschäftsführer oder in den oberen Managementstufen vereinbart wurden. Zudem handelt es sich oft um Verhaltensweisen, die seit Jahren praktiziert werden, sodass der einzelne Mitarbeiter sie nicht unmittelbar hinterfragt. Eine große Zahl von Kartellen weist Berührungen zu Verbandsaktivitäten auf. Zum Teil, weil sie in diesen institutionalisierten Zusammentreffen ihren Ursprung haben, zum Teil weil die Verbandstreffen eine gute Gelegenheit bieten, sich mit Wettbewerbern auszutauschen. Um gut organisierte Kartellabsprachen in einem Unternehmen aufzudecken, wird es regelmäßig eines internen Audits bedürfen (siehe dazu ausführlich unter Rn. C 149ff.). In der Praxis hat es sich dabei als hilfreich erwiesen, ungewöhnlich starren Absatz- und Preisdaten besonders kritisch nachzugehen. Abhängig von den Gegebenheiten auf dem betroffenen Markt ist unter Umständen auch der Einsatz von ökonomischen Analyse-Instrumenten sinnvoll (siehe dazu unter Rn. C 263ff.).
2. Verbotener Informationsaustausch
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Der Austausch sog. strategischer Informationen zwischen Wettbewerbern ist verboten. Dies gilt, weil die Kartellbehörden davon ausgehen, dass die strategisch relevanten Informationen nach ihrem Austausch von einem rational handelnden Unternehmen als Grundlage für eine Verhaltensanpassung genutzt werden, ihr Austausch also zu einer abgestimmten Verhaltensweise zwischen Wettbewerbern führt.146 Dahinter steht der Grundsatz, dass sich jedes Unternehmen selbstständig im Wettbewerb behaupten und ohne Abstimmung mit Wettbewerbern agieren muss. Infolgedessen ist jede Fühlungnahme zwischen Wettbewerbern, durch die eine Koordinierung des Verhaltens an Stelle eines mit Risiken verbundenen Wettbewerbs tritt, aus kartellrechtlicher Sicht in hohem Maße kritisch.147
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Anders als im Bereich der Hardcore-Kartelle haben Unternehmensmitarbeiter