Neue Theorien des Rechts. Группа авторов
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Die im Anschluss an diese Konzeptionen im Kapitel Politik des Rechts vorgestellten Autorinnen und Autoren bringen die blinden Flecke eines scheinbar unpolitischen Rechts zum Ausdruck, indem sie u.a. die gesellschaftlichen Kämpfe um Anerkennung[15] ins Zentrum ihrer Thematisierung stellen. Sie insistieren |7|darauf, dass das Recht kein neutrales Vermittlungsmedium ist, sondern immer auch eine »Technologie der Macht«, welche die gesellschaftlichen Institutionen und Subjekte erst produziert, die sie nur zu regulieren vorgibt. Weil jedoch zugleich eine instrumentalistische Auffassung abgelehnt wird, drehen sich die Auseinandersetzungen stets um das Verhältnis von rechtlicher Eigendynamik und Heteronomie. Die Konfliktizität des Rechts wird dabei insbesondere von der prozeduralen Rechtstheorie Rudolf Wiethölters (Andreas Fischer-Lescano und Gunther Teubner), den Critical Legal Studies (Günter Frankenberg), post-materialistischen Ansätzen (Sonja Buckel), der Rechtssoziologie Pierre Bourdieus (Soraya Nour) und der feministischen Rechtstheorie (Sarah Elsuni) analysiert, während die Arbeiten Michel Foucaults zur Gouvernementalität (Thomas Biebricher) die Frage aufwerfen, ob sich nicht längst eine »Biopolitik«, d.h. eine Machtform, die das Leben verwaltet, in den Nischen des formalen Rechts eingenistet hat oder sogar zu dessen verborgenem Fundament geworden ist.
Wenn man die Fiktion von Einheit und Homogenität der Gesellschaft aufgibt, tauchen neue Probleme auf: Wie können Koexistenz und Kooperation unterschiedlicher Sprach- und Lebensformen funktionieren? Die Frage nach Bedingung der Einheit wird ersetzt durch die Frage nach Bedingungen von Vielfalt. Problematisch wird ein Fundamentalismus, der behauptet, über die einzig richtige Lesart für den Text seiner Kultur zu verfügen. Denn er privilegiert seine eigenen Assoziationen und Kontexte, wodurch andere Lesarten unsichtbar werden. Die Tendenz zur Ausschließlichkeit und Absolutsetzung eigener Maßstäbe und Lesarten muss in einen friedlichen Wettstreit von Argumenten überführt werden, ohne dass schon zu sehen ist, wie dies geschehen kann. Hier stößt man auf das grundsätzliche Problem der Inkommensurabilität. Bei der Kollision unterschiedlicher Lebensformen oder sozialer Teilsysteme findet man zwar häufig eine Schnittmenge von Gemeinsamkeiten, aber eben nicht immer. Wenn eine solche Grundlage für die Verständigung nicht vorhanden ist, muss die Suche danach durch äußere Zwänge in Gang gesetzt werden. Hier stellt sich die Frage, was das Recht für die Lösung des Problems der Unverträglichkeit oder Inkommensurabilität leisten kann. Dies bildet den Kern des dritten Buchkapitels – Fragmentierung des Rechts – in welchem rechtsökonomische (Johan Horst), medientheoretische (Gianna Schlichte und Johannes Haaf) sowie neurowissenschaftlich (Malte-Christian Gruber) inspirierte Ansätze im Vordergrund stehen. Hier geht es um die Beschreibung und normative Einhegung gesellschaftlicher Fragmentierungsprozesse, die nicht nur Politik und Recht sondern in einem weitergehenden Sinn alle gesellschaftlichen Großbereiche, Kunst, Wirtschaft, Religion, Wissenschaft etc. gleichermaßen betreffen.
Eine ähnliche, aber in Transnationalisierungstendenzen eingebundene Fragestellung haben diejenigen Theoriemodelle, die abschließend im Kapitel transnationaler Rechtspluralismus vorgestellt werden. Gerade systemtheoretische Arbeiten haben den Blick für die Radikalität weltgesellschaftlicher Ausdifferenzierungsprozesse geschärft. So richten sich die Analysen in dieser Tradition auch |8|zunehmend auf das Weltrecht aus, wie am Beispiel der transnationalen Rechtsprozesse (Felix Hanschmann und Tim Wihl) deutlich wird, deren Herausforderung für die Rechtstheorie darin liegt, dass sich in ihnen offenbar gesellschaftliche Fragmentierungsprozesse mit operativen »Interlegalitäten« im Weltrecht verbinden[16]. Interlegalität bedeutet dabei mehr als nur eine statische Vielfalt gegeneinander abgegrenzter normativer Ordnungen, wie sie in der klassischen Rechtssoziologie von Eugen Ehrlich, Santo Romano, Maurice Hauriou, Georges Scelle und Georges Gurvitch beschrieben wurden[17]. Das wäre nur eine Strategie der Ontologisierung sozialer Beziehungen. Stattdessen thematisieren die zeitgenössischen Ansätze eine dynamische Vielfalt von normativen Operationen. In diesen regen sich parallele Normsysteme unterschiedlicher Herkunft wechselseitig an, greifen ineinander und durchdringen sich, ohne in einer gemeinsamen Metasprache oder gar in gemeinsamen Werten und Prinzipien kulminieren zu können. Das »Recht in globaler Unordnung«[18] ist vielmehr ein heterarchisches Gebilde. Dies abzubilden ist Ziel der Konzeptionen des globalen Rechtspluralismus, dessen Verwobenheiten mit der imperialen Lebensweise des Globalen Nordens (Miriam Saage-Maaß und Carolijn Terwindt) und den postkolonialen Realitäten (Maxim Bönnemann und Max Pichl) in den beiden abschließenden Beiträgen des Bandes aufgezeigt werden.
D. Didaktische Konzeption
Die in die genannten Schwerpunktbereiche eingeteilten Texte suchen einerseits, konzise und verständlich die jeweilige Logik des theoretischen Arguments nachvollziehbar zu machen. Andererseits sollen sich auch für Leserinnen und Leser, die mit dem Argument bereits vertraut sind, noch neue Einsichten für eine produktive Beschäftigung mit den vorzustellenden Texten ergeben können.
Der Aufbau der Beiträge folgt einem weitgehend einheitlichen Schema. In einer eher lexikalisch gehaltenen Einleitung werden sodann Genese, wichtigste Referenzpersonen und der Gegenstand der Abgrenzungsbewegung der einzelnen Konzeptionen kurz skizziert. Dies wird ergänzt durch Kurzinformationen zum ideengeschichtlichen Hintergrund der jeweiligen Theorieströmung. Im darstellenden Teil widmen sich die Texte der Rekonstruktion der Kernaussagen der |9|Theorien. Es wird die Behandlung des jeweiligen Schwerpunktthemas durch die Theoriemodelle aufgezeigt und dargestellt, wo die Kritik ansetzt. Durch Verweise auf andere Beiträge des Buches werden Querverbindungen sichtbar gemacht. Ergänzt werden die Beiträge durch gezielte Literaturhinweise, die den Zugang zu den jeweiligen Theoriekonzeptionen erleichtern sollen.
Die Autorinnen und Autoren haben sich bemüht, die Komplexität von Texten und Theorien angemessen so zu reduzieren, dass Ecken und Kanten der Referenztexte nicht nivelliert werden. Die Beiträge dieses Buches eignen sich daher sowohl für diejenigen, die sich einen ersten Überblick über neue Theoriebildungen im Recht verschaffen wollen, als auch als Grundlage einer vertieften Auseinandersetzung für diejenigen, die bereits auf Vorkenntnisse zurückgreifen können. Ob dieses Buch einen Unterschied machen wird, entscheidet sich darum nicht an den Idiosynkrasien und dem gutem Willen der Autorinnen und Autoren, auch nicht am Wissensstand der Adressatinnen und Adressaten, sondern daran, ob die Texte Leserinnen und Leser finden werden, die bereit sind, die Antworten der neuen Theorien des Rechts auf Grundfragen des Rechts der Weltgesellschaft kritisch nach- und gegenzudenken.
|11|Erster Teil: Trennung und Verknüpfung von Recht und Politik
|13|Demokratischer Positivismus: HabermasHabermas, Jürgen und MausMaus, Ingeborg
Peter Niesen und Oliver Eberl
Jürgen HabermasHabermas, Jürgen und Ingeborg MausMaus, Ingeborg gehören zur zweiten Generation der Kritischen TheorieKritische Theorie der Frankfurter Schule. In Abgrenzung zur ersten Generation um Theodor W. AdornoAdorno, Theodor W. und Max HorkheimerHorkheimer, Max und Autoren der dritten Generation wie Christoph Menke wenden sich beide Autoren gegen die von MarxMarx, Karl und BenjaminBenjamin, Walter inspirierte Fundamentalkritik des modernen positiven Rechts, indem sie auf dessen freiheitsfreundliche und Demokratie-ermöglichende Eigenschaften verweisen. Im Kontrast auch zu den Theorien der Juristen Franz L. NeumannNeumann, Franz L. und Otto Kirchheimer, die einen rechtstheoretischen Brückenkopf der ersten Generation der Kritischen TheorieKritische Theorie bildeten, beziehen sich beide affirmativ auf das doppelte Autonomieideal der Aufklärung, insbesondere in den Theorien von Rousseau und Immanuel KantKant, Immanuel, und damit auf eine – zu radikalisierende – Tradition des liberaldemokratischen Rechtsstaats[19]. Beide Ansätze beanspruchen, eine stabile Balance zwischen Ansprüchen auf liberale Grundrechte und politische Teilhabe zu erreichen. Private und politische Autonomie (HabermasHabermas, Jürgen) oder Freiheitsrechte und VolkssouveränitätVolkssouveränität (MausMaus,