Umsatzsteuerrecht. Christian Möller
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• | H zahlt € 19 USt, weil er als Hersteller einen Wert von € 100 schafft (hier wird zur Vereinfachung unterstellt, dass H keinerlei steuerpflichtige Eingangsleistungen bezogen hat). |
• | Die Wertschöpfung auf der zweiten Stufe beläuft sich ebenfalls auf € 100, weil G für € 100 netto kauft und für € 200 netto verkauft. Seine USt-Zahllast beträgt zutreffend ebenfalls € 19 (€ 38 USt-Schuld aus dem Verkauf an E abzüglich des Vorsteuerabzugs von € 19 aus dem Ankauf von H). |
• | Auf der Stufe des E ist die Wertschöpfung doppelt so groß, nämlich (€ 400 – € 200 =) € 200. Folgerichtig beträgt die USt-Zahllast des E € 38 (€ 76 USt-Schuld aus dem Verkauf an V abzüglich des Vorsteuerabzugs von € 38 für den Ankauf von G). |
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Der Begriff der Mehrwertsteuer darf nicht zu Missverständnissen verleiten. Jeder Unternehmer hat den vollen Nettowert der von ihm erbrachten Leistung zu versteuern. Erst der Vorsteuerabzug führt zu einer Zahllast nur in Höhe des geschaffenen Mehrwertes. Ein Vorsteuerabzug ist regelmäßig möglich, aber nicht immer (vorausgesetzt ist etwa eine ordnungsgemäße Rechnung, s. dazu Rn 739 ff). Der Begriff „Mehrwertsteuer“ bezeichnet damit, wenn man den Vorsteuerabzug berücksichtigt, die typische Wirkung der Umsatzsteuer.[11]
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Indem bei jedem Steuerpflichtigen im Ergebnis nur der von diesem geschaffene Mehrwert besteuert wird, wird die Umsatzsteuer fraktioniert erhoben: Jeder Unternehmer zahlt an das Finanzamt nur den USt-Betrag, der der Wertschöpfung auf seiner Stufe in der Leistungskette entspricht. Die Addition der Teilbeträge (im Einführungsfall: € 19 + € 19 + € 38) ergibt die Gesamtbelastung (im Einführungsfall: € 76), die der Konsument – indirekt als Teil des Kaufpreises – trägt.
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Die Erhebung der Umsatzsteuer als Allphasen-Steuer und die damit verbundene Fraktionierung der Umsatzsteuer bedeutet eine Erschwernis für die Unternehmer. Eine Einphasen-Steuer, der nur Umsätze an private Verbraucher unterliegen („Einzelhandelssteuer“), würde Umsätze in der Unternehmerkette von der Umsatzsteuer befreien und damit einen erheblichen Verwaltungsaufwand beseitigen. Andererseits würde sie die Unternehmer dazu zwingen, sich über die Frage zu informieren, in welcher Eigenschaft ein Leistungsempfänger auftritt und entsprechend Umsatzsteuer auf den Verkaufspreis aufzuschlagen oder davon abzusehen. Außerdem kann die fraktionierte Erhebung der USt Steuerhinterziehungen vermeiden oder die Schäden daraus reduzieren.[12] Will etwa im Ausgangsfall der Einzelhändler E die USt auf seinen Ausgangsumsatz hinterziehen, wird er kaum den Vorsteuerabzug auf den Eingangsumsatz geltend machen, um Nachfragen des Finanzamtes nach dem Verbleib des Fahrrades zu vermeiden. Beim Fiskus kommt damit immerhin ein Teil der geschuldeten USt an (die nicht zum Abzug gebrachte Vorsteuer des E).
§ 1 Einleitung › C. Charakteristika der Umsatzsteuer › III. Allgemeine Verbrauchsteuer
III. Allgemeine Verbrauchsteuer
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Die Einordnung der Umsatzsteuer als Verkehrsteuer oder als (allgemeine) Verbrauchsteuer bereitet Schwierigkeiten.
• | Verbrauchsteuern sind Abgaben, die den Verbrauch oder Gebrauch bestimmter Güter oder Dienstleistungen und damit die Einkommens- und Vermögensverwendung belasten.[13] Typische Verbrauchsteuern sind (unter Angabe des maßgeblichen Gesetzes): – Branntweinsteuer (Branntweinmonopolgesetz, BranntwMonG);[14] – Tabaksteuer (TabStG); – Kaffeesteuer (KaffeeStG); – Schaumweinsteuer (Gesetz zur Besteuerung von Schaumwein und Zwischenerzeugnissen, SchaumwZwStG); – Energiesteuer (EnergieStG); – Stromsteuer (StromStG). |
• | Verkehrsteuern knüpfen dagegen Steuerfolgen an die Übertragung von Gütern. Wichtige Beispiele für Verkehrsteuern sind: – Grunderwerbsteuer (GrEStG); – Versicherungsteuer (VersStG). |
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Die Einordnung der Umsatzsteuer hängt davon ab, ob man ihre rechtstechnische Ausgestaltung oder ihr Belastungsziel in den Vordergrund stellt.[15] Für die Qualifizierung der Umsatzsteuer als Verkehrsteuer spricht, dass sie meist an einen Akt des Rechtsverkehrs anknüpft. Dies gilt etwa für den Grundtatbestand der Umsatzsteuer in § 1 Abs. 1 Nr 1 UStG – die Lieferung oder sonstige Leistung eines Unternehmers im Rahmen seines Unternehmens, im Inland und gegen Entgelt. In Sonderfällen knüpft die Umsatzsteuer allerdings nicht an Rechtsgeschäfte an, sondern an Realakte. Beispiele dafür finden sich insbesondere im Bereich der unentgeltlichen Wertabgaben (§ 3 Abs. 1b, 9a UStG) sowie beim innergemeinschaftlichen Verbringen (§ 3 Abs. 1a UStG). Schon in der rechtstechnischen Ausgestaltung ist die Umsatzsteuer daher keine reine Verkehrsteuer.
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Was ihr Belastungsziel angeht, ist die Umsatzsteuer Verbrauchsteuer, weil sie durch das System des Vorsteuerabzugs ausschließlich den nichtunternehmerischen (privaten) Verbrauch belastet.[16] Die Einordnung als Verbrauchsteuer wird auch dem Europäischen Richtlinienrecht gerecht. Nach diesem ist die Mehrwertsteuer eine „allgemeine, zum Preis der Gegenstände und Dienstleistungen genau proportionale Verbrauchsteuer“ (Art. 1 Abs. 2 S. 1 MwStSystRL).
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Die praktische Bedeutung der Diskussion um die zutreffende Einordnung der Umsatzsteuer ist eher gering.[17] Immerhin taugt der Verbrauchsteuergedanke im Einzelfall als Interpretationshilfe. Dafür ist etwa auf eine Entscheidung des EuGH zu verweisen, die sich auf Prämien an Landwirte für die Aufgabe der Milchproduktion bezog. Bei solchen Prämien fehle es an einem eine Leistung erwerbenden Empfänger und damit an einem Verbrauch i. S. d. gemeinschaftlichen Mehrwertsteuersystems. Die Prämie unterliege damit – anders als von der deutschen Finanzverwaltung vertreten – nicht der Mehrwertsteuer.[18]
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Ungeachtet der vor allem wissenschaftlich geführten Diskussion um die zutreffende Qualifizierung der Umsatzsteuer steht fest, dass sie jedenfalls zwei wichtigen Vorschriften der AO nicht unterfällt, die jeweils eine „Verbrauchsteuer“ voraussetzen.
• | So gilt § 169 Abs. 2 Nr 1 AO, der u. a. für Verbrauchsteuern eine kurze Festsetzungsfrist von nur einem Jahr anordnet, nicht für die USt. Es gilt die Frist von vier Jahren gemäß § 169 Abs. 2 Nr 2 AO.[19] |
• | § 172 Abs. 1 S. 1 Nr 1 AO lässt die voraussetzungslose Änderung oder Aufhebung eines Steuerbescheides zu, der Verbrauchsteuern betrifft. Auch von dieser Regelung ist die USt nicht erfasst. Eine Änderung oder Aufhebung ist nur in den Grenzen des § 172 Abs. 1 S. 1 Nr 2 AO zulässig.[20] |