Handbuch des Strafrechts. Robert Esser
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2. Objektives Willkürverbot
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Wiewohl es dem Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG entsprungen ist, fußt auch das strafrechtliche Willkürverbot vor allem im Rechtsstaatsprinzip.[125] Denn der in Art. 3 Abs. 1 GG enthaltene Gleichheitssatz wird in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in strafrechtlichen Fällen vom hergebrachten Willkürmaßstab verselbstständigt und von dem sonst üblichen konkreten Vergleich zweier Normadressaten gelöst.[126] Es geht also nicht darum, ob verschiedene Sachverhalte gleich oder ungleich behandelt werden, sondern ob eine Entscheidung, insbesondere die Auslegung einer Strafnorm durch den Richter, als solche und für sich allein betrachtet, schlechthin nicht mehr verständlich ist.[127] Dabei führt freilich nicht jeder Fehler in der Rechtsanwendung bereits zu einer Verletzung des verfassungsrechtlichen Willkürverbots. Auslegung und Anwendung einfachgesetzlicher Vorschriften obliegen den zuständigen Fachgerichten und sind der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen.[128] Sind aber Rechtsauslegung und -anwendung eklatant fehlerhaft und drängt sich bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Prinzipien der Schluss auf, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruhen, greift der objektive Willkürschutz ein.[129] Auch dies zeigt, dass die Annahme von Willkür nicht auf eine für die Anwendung von Art. 3 Abs. 1 GG notwendige Vergleichsgruppe, sondern auf den konkreten Anwendungsfall und auf rechtsstaatliche Maximen bezogen ist.[130]
3. Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege
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Auch das vom Bundesverfassungsgericht in Bezug auf die Einräumung von Aussageverweigerungsbefugnissen aus beruflichen Gründen erstmals entwickelte Postulat der Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Strafrechtspflege[131] hat seinen maßgeblichen Geltungsgrund im Rechtsstaatsprinzip.[132] Nach Ansicht des Gerichts ist die Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege erforderlich, um der materiellen Gerechtigkeit als wesentlichem Bestandteil der Rechtsstaatlichkeit zum Durchbruch zu verhelfen. Darüber hinaus verpflichteten die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und des Gewaltmonopols den Staat, die Sicherheit seiner Bürger und deren Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit der staatlichen Institutionen zu schützen.[133] Auch die Gleichbehandlung aller im Strafverfahren Beteiligten und die gleichmäßige Verwirklichung und Durchsetzung bestehender Normen erforderten grundsätzlich die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruches.[134] Daneben ergibt sich aus institutioneller Sicht der Einrichtung der Strafrechtspflege das Gebot ihres Funktionierens, also der effizienten wie effektiven Aufgabenausübung.[135]
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Das Prinzip der Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege steht in einem delikaten Spannungsverhältnis zu den Freiheitsrechten des Beschuldigten.[136] In einem Rechtsstaat darf die Ausübung von Strafgewalt nie um ihrer selbst oder allein um ihrer Effektivität willen geschehen.[137] Sie kann vielmehr nur in Abwägung mit kollidierenden Belangen verstanden und umgesetzt werden. Das Gebot der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege hat dem aus der Schutzpflichtendogmatik entwickelten Untermaßverbot zu folgen und darf keinesfalls als ein Optimierungsgebot verstanden werden.[138] Deshalb darf der Topos von der Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege nicht zur Relativierung grundrechtlicher Verbürgungen und rechtsstaatlicher Justizförmigkeit eingesetzt werden.[139] Von vornherein unübersteigbar ist die absolute Mindestgewährleistung des Art. 1 Abs. 1 GG.[140] Aber auch in anderen grundrechtsrelevanten Konstellationen müssen materielles Strafrecht und Strafverfolgung die verfassungsmäßig verbürgten Rechte des Betroffenen wahren und sich an das Konzept der Formalisierung des Strafverfahrens halten.[141]
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Demensprechend ist das Grundgesetz auch nicht offen für die Etablierung eines neben das allgemeine Strafrecht tretenden besonderen „Feindstrafrechts“, wonach der Rechts- und Verfassungsordnung feindselig gegenüberstehenden Straftätern, etwa Terroristen, der Schutz der Grundrechte vorenthalten werden könnte.[142] Art. 18 GG macht exemplarisch deutlich, dass das Grundgesetz auch den „Verfassungsfeind“ nicht „hors de la loi“ stellt,[143] sondern allenfalls die in einem rechtsstaatlichen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht auszusprechende Verwirkung bestimmter Grundrechte kennt.[144] Will der Rechtsstaat seine Kernidentität wahren, darf er sich unter keinen Umständen, auch nicht gegenüber seinen „Feinden“, der Last entledigen, Grundrechtseingriffe nach Maßgabe des Übermaßverbots zu rechtfertigen und hierbei bestimmte äußere Grenzen zu beachten.[145] Ohnehin stünde der mit einem „Feindstrafrecht“ verbundene Abbau fundamentaler Beschuldigtengarantien im Widerspruch zur Menschenwürde.[146] Aus vergleichbaren Gründen wäre auch ein „Gesinnungsstrafrecht“ verfassungswidrig.[147] Nicht unbedenklich ist daher die 2015 neu geschaffene Strafnorm des § 89a Abs. 2a StGB,[148] die lediglich auf die terroristische Absicht bei der – im Übrigen grundrechtlich verbürgten – Ausreise aus dem Staatsgebiet abstellt.[149]
III. Demokratieprinzip
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Das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 1, 2 GG und die aus ihm im Verbund mit dem Rechtsstaatsprinzip entwickelten Grundsätze des Parlamentsvorbehalts[150] und der Wesentlichkeitstheorie[151] gelten ohne jede Einschränkung auch für die staatliche Strafgewalt. Es ist primär der unmittelbar demokratisch legitimierte Gesetzgeber, der aufgrund der sich wandelnden Wertvorstellungen in der Gesellschaft diejenigen individuellen oder kollektiven Rechtsgüter herausfiltern muss, die zum jeweiligen Zeitpunkt als so elementar angesehen werden, dass sie eines besonderen Schutzes durch das Strafrecht bedürfen.[152] Dabei ist der Gesetzgeber nicht durch vorpositive Wertungen gebunden.[153] Auch die strafrechtliche Rechtsgutslehre ist für den Gesetzgeber beim Erlass von Strafvorschriften nicht zwingend. Vielmehr kommt der Legislative bei der Einschätzung und Prognose der dem Einzelnen oder der Allgemeinheit drohenden Gefahren sowie der Strafwürdigkeit eines bestimmten Verhaltens ein erheblicher Entscheidungs- und Beurteilungsspielraum zu.[154]
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Das Demokratieprinzip befreit den Gesetzgeber allerdings nicht von den sonstigen verfassungsrechtlichen Bindungen. Das Strafrecht ist schon aufgrund seiner Freiheitsrelevanz kein beliebiges Instrument sozialer Steuerung, sondern eine rechtsstaatlich sensible Entscheidung über das rechtsethische Minimum des gesellschaftlichen Zusammenlebens.[155] Gerade wegen der besonderen Eingriffstiefe des Strafrechts etabliert das Grundgesetz mit dem nulla poena-Grundsatz in Art. 103 Abs. 2 GG eine Reihe von spezifischen rechtsstaatlichen Ausformungen, die sich nicht nur an den Rechtsanwender, sondern auch an die Legislative wenden. Darüber hinaus bleibt der Gesetzgeber bei der Schaffung von Straftatbeständen auf die objektive Werteordnung der Verfassung, die materiellen Grundrechte und das Verhältnismäßigkeitsprinzip verpflichtet.[156] Lediglich die sozial wichtigsten Interessen und Werte, die die freiheitliche demokratische Grundordnung ausmachen, bedürfen des strafrechtlichen Schutzes.[157] Dies gilt gerade auch in Fällen, in denen Strafvorschriften verfassungskonform ausgelegt werden.[158]
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Keine Ausprägung des Demokratieprinzips, sondern vielmehr ein lediglich historisch begründbarer basisdemokratischer Gedanke gegen den früheren Inquisitionsprozess gemeinrechtlicher Prägung schlägt sich hingegen in der Mitwirkung von Laien an der Strafjustiz in Gestalt der Schöffen- und Schwurgerichte nieder.[159] Angesichts der verfassungsrechtlichen Verfestigung des demokratischen Rechtsstaats, der den Zugang zum Richterberuf nicht mehr ständisch beschränkt, sieht das