Handbuch des Aktienrechts. Hans-Peter Schwintowski
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3.2 Entwicklung
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Mit dem AktG 1965, das trotz zahlreicher Änderungen noch heute die Basis unseres Aktienrechts darstellt, sollte weniger ein grundsätzlicher struktureller Neubeginn eingeläutet, als eine sichtbare Distanzierung von der Gesetzgebung des Dritten Reichs markiert und die auf Privateigentum beruhende freiheitliche Wirtschaftsordnung unterstrichen werden.[16] Demnach basiert das AktG 1965 in vielen Punkten auf dem AktG 1937 und dessen Vorstufen. Die Reform von 1965 war beseelt vom Idealbild des Klein- und Belegschaftsaktionärs, vom deutschen Privataktionär, der sich für sein Unternehmen interessiert. Sie wurde von der Vorstellung geleitet, dass der einzelne Aktionär der Wächter der Interessen seiner Mitaktionäre sein könne und das Aktienrecht daher vom Aktionär als dem wirtschaftlichen Eigentümer der AG ausgehen müsse.[17] Heute (2016), 50 Jahre später, sieht die Welt angesichts der globalisierten Finanzmärkte und des institutionalisierten Anteilsbesitzes anders aus. Wie hat die Gesetzgebung seither reagiert?
Das Aktiengesetz hat seit 1965 zahllose Änderungen erfahren,[18] unter anderem ist das aktienrechtliche Rechnungswesen seit dem 1.1.1986 (Inkrafttreten des BiRiLiG) in seinen wesentlichen Teilen Bestandteil des HGB, das nach diesem Zeitpunkt insbesondere in Bezug auf die Rechnungslegung der Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen geändert worden ist.[19] Auch zahlreiche weitere Änderungen des HGB sind, meist im Zusammenhang mit übergreifenden Artikelgesetzen, erfolgt, zuletzt durch das Kapitalgesellschaften- und Co-Richtlinie-Gesetz (KapCoRiLiG) vom 24.2.2000.
3.2.1 Wiedervereinigung
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Mit dem am 3.10.1990 erfolgten Beitritt der neuen Bundesländer (ehemalige DDR) zum GG wurden diese Teil der BRD (Art. 1 Einigungsvertrag – EVertr. – vom 31.8.1990).[20] Gleichzeitig trat das GG in diesen Ländern sowie in dem Teil des Landes Berlin, in dem es bislang nicht galt, in Kraft (Art. 3, 4 EVertr.). Außerdem wurde in diesen Gebieten das im bisherigen Bundesgebiet gültige Bundesrecht wirksam, soweit es nicht in seinem Geltungsbereich auf bestimmte Länder oder Landesteile der BRD beschränkt war und soweit nicht durch den EVertr. etwas anderes bestimmt wurde (Art. 8 EVertr.).[21] Hierzu gehörte das Gesellschaftsrecht im weiteren Sinne, also insbesondere AktG, GmbHG, HGB, GWB, UmwG, KWG, KAGG, VAG und HypBankG.[22] Außerdem gehörte hierzu das gesamte Steuerrecht, also insbesondere EStG, KStG, UStG und UmwStG, und zwar mit Wirkung ab dem 1.1.1991.
3.2.2 Änderungsgesetze und ihre Gründe im Überblick
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Abgesehen von den genannten Entwicklungen, war der gesetzgeberische Reformeifer im Gesellschaftsrecht von 1965 bis Anfang der 90er Jahre eher begrenzt. Es war die Zeit der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien der EU, die stark vom deutschen Recht beeinflusst waren, und deren Umsetzung daher keine grundstürzenden Änderungen des Aktiengesetzes erforderte. Es war auch die Zeit des Mitbestimmungsgesetzes von 1976 in der sozialliberalen Koalition unter Helmut Schmidt. Da der Gesetzgeber sich ansonsten eher zurücknahm, war es aber auch eine Phase richterlicher Rechtsfortbildung vor allem unter den Senatspräsidenten Robert Fischer (1963–1968) und Walter Stimpel (1971–1985), wobei die Gesellschaftsrechtswissenschaft, jedenfalls in der Form ihres „Arbeitskreises Gesellschaftsrecht“, beachtlichen konzeptuellen Einfluss auf die Rechtsprechungsentwicklung nahm.[23]
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Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts änderte sich das Reform-Szenario.[24] Der Gesetzgeber trat wieder auf den Plan.[25] Die zweite Hälfte der „Pentekontaetie“ seit 1965, also die Zeit von 1990 bis 2015, sind oft als die Jahre der „Aktienrechtsreform in Permanenz“ bezeichnet worden.[26] Wie kam es zu dieser plötzlichen gesetzgeberischen Aktivität? Dem AktG 1965 wurden damals „Kapitalmarktferne“ und „Starrheit“ vorgeworfen. Die Zahl der AGs in Deutschland war 1990 auf ca. 2 600 gesunken. Man sprach von der „Krise der AG“. Die Aktiengesellschaft war eindeutig am Leitbild der großen Publikumsgesellschaft orientiert, sie war die Rechtsform der Bayers und BASFs. Die Kleinen sollten in die GmbH gehen. Die christlich-liberale Koalition unter Helmut Kohl machte sich Sorgen um die im internationalen Vergleich niedrige Eigenkapitalausstattung der deutschen Unternehmen – besonders im Mittelstand (besonders in der GmbH und GmbH &Co KG). Deutschland schien für die Globalisierung schlecht gerüstet. Die Stärkung des Finanzplatzes Deutschland, die Bekämpfung der Bankenmacht und der Deutschland-AG wurden zum politischen Befreiungsprogramm. Weitere Herausforderungen entstanden durch den Trend weg von der Fremdfinanzierung hin zur Eigenkapitalaufnahme über die Börsen, die Zunahme von Streubesitz und ausländischen institutionellen Investoren, die Internationalisierung der Finanzmärkte und die in diesem Rahmen aufflammende Corporate Governance Diskussion (genauer zu diesen Aspekten noch in Abschnitt 4 und 5).
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Man konstatierte damals:[27]
– | Eine Verschiebung weg von der Fremd- und Innenfinanzierung und dem Hausbankensystem hin zur Eigenkapitalfinanzierung über die Börsen. Das Interesse am „Going Public“ erwachte. |
– | Deutsche Unternehmen befanden sich bis dahin zumeist im Kontrollbesitz von Großaktionären (Familien, Banken, Versicherungen, wechselseitige Beteiligungen). Diese sog. Deutschland-AG, die Festung Deutschlands, brach langsam auf. |
– | Die Banken trennten sich von renditeschwachen Beteiligungen und versuchten im M&A-Geschäft höhere Margen zu erzielen.[28] |
– | Unter der Globalisierung wurden die Finanzmärkte international, das Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht blieben weitgehend national. Der Anteil insbesondere ausländischer institutioneller Anleger an deutschen Gesellschaften nahm zu. |
– | Die ausländischen Anleger erwarteten die ihnen gewohnten Regelungsmuster auch vom deutschen Aktienrecht. Die Corporate Governance-Diskussion nach anglo-amerikanischen Vorbildern kam mit Macht in Deutschland an. Das Shareholder-Value-Denken kam in Mode. |
– | Die ausländischen institutionellen Anleger setzten die Vorstände unter Druck, diese wandten sich wiederum an die Wirtschaftsverbände und die Politik und drängten auf Reformen.[29] |
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Durch das Gesetz vom 22.7.1993 zur Durchführung der 11. Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts (Zweigniederlassungsrichtlinie)[30] wurden wichtige Regelungen vor allem für die grenzüberschreitende Zweigniederlassung getroffen. Das Gesetz vom 26.7.1994 über den Wertpapierhandel und zur Änderung börsenrechtlicher und wertpapierrechtlicher Vorschriften (Zweites Finanzmarktförderungsgesetz)[31] brachte neben detaillierten Regelungen in Bezug auf den Erwerb eigener Aktien durch die Gesellschaft vor allem die Herabsetzung des Mindestnennbetrags der Aktien auf 5 DM.[32] Das Gesetz vom 2.8.1994