Recht auf Sterben – Recht auf Leben. Ivo W. Greiter

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Recht auf Sterben – Recht auf Leben - Ivo W. Greiter

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in Österreich also bald möglich sein, sich mit Hilfe eines Dritten (nicht durch einen Dritten) selbst zu töten. Dieser Schritt stellt einen Paradigmenwechsel in Österreich dar. Zuvor wurde heftig darum gestritten, ob die Beihilfe zum Selbstmord unter Strafe gestellt bleiben solle oder nicht. Hitzige Debatten wurden geführt, viele Für und Wider ins Treffen geführt, die Bevölkerung schien gespalten.

      Schließlich musste der Verfassungsgerichtshof eine Entscheidung treffen. In seinem Erkenntnis hob er die bisherige Bestimmung zur Mithilfe beim Tod eines Sterbewilligen im Text des § 78 des österreichischen Strafgesetzes („wer ihm am Selbstmord Hilfe leistet, ist … zu bestrafen“) als verfassungswidrig auf.

      Bis zu diesem Erkenntnis des VfGH lauteten die Bestimmungen des Strafgesetzbuches wie folgt:

      „Mitwirkung am Selbstmord

      § 78. Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.“

      Die Wortfolge „oder ihm dazu Hilfe leistet“ wurde demnach aufgehoben.

      Der Gesetzgeber hat nun bis 31. Dezember 2021 Zeit, Gesetze zu erlassen, die die Voraussetzungen für die straffreie Hilfe genau formulieren.

      Die Verfassungsrichter haben es sich nicht leicht gemacht, hat doch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bereits seit Jahren das Recht auf Beendigung des eigenen Lebens als Menschenrecht anerkannt:

      Doch was ist eigentlich „Beihilfe zum Selbstmord“ im Sinne des Urteils des Verfassungsgerichtshofes? Ein konkretes Beispiel soll dies veranschaulichen: Ein Dritter durfte jetzt und früher nicht selbst Hand anlegen, um eine tödliche Spritze zu verabreichen. Er darf künftig aber eine tödliche Spritze vorbereiten. Die Spritze muss sich der Sterbewillige aber selber geben, die Tötung muss er selbst vollziehen. Der Dritte darf auch eine tödliche Tablette besorgen. Aber die Tablette einnehmen muss der Sterbewillige selbst.

      Im Rahmen der Sterbehilfe gibt es vier unterschiedliche Ausgangsfälle:

      a. Aktive Sterbehilfe: Das ist die absichtliche Herbeiführung oder Beschleunigung des Todes durch den Begleiter. Beispiel: Der Begleiter verabreicht dem Sterbewilligen eine tödliche Spritze. Also der Begleiter tötet. Das bleibt nach wie vor strafbar. Daran ändert auch das Urteil des Verfassungsgerichtshofs nichts.

      b. Sterbehilfe als Beihilfe zum Selbstmord: Der Begleiter leistet Hilfe zur Selbsttötung. Beispiel: Bereitstellung des tödlichen Medikaments in einem Glas Wasser. Der Sterbewillige trinkt selbst und bewusst das tödliche Wasser. Ausschließlich solche Fälle wurden durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs ab 1. Jänner 2022 straffrei gestellt.

      c. Indirekte Sterbehilfe: Der Arzt oder der Begleiter verabreicht schmerzlindernde Mittel unter Inkaufnahme der Lebensverkürzung. Beispiel: Verabreichung von Morphium zur Schmerzlinderung oder Schmerzunterdrückung. Das Leben kann dadurch auch verkürzt werden.

      d. Passive Sterbehilfe: Diese geschieht durch Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen. Beispiel: Verzicht auf künstliche Ernährung, Verzicht auf künstliche Beatmung, Verzicht auf einen Herzschrittmacher. Wenn der Sterbewillige diesen Verzicht will, sind sowohl der Arzt als auch der Begleiter des Sterbewilligen daran gebunden. Diese Wünsche werden oft durch eine Patientenverfügung des Sterbewilligen nachgewiesen und sind unbedingt zu erfüllen.

      Das Erkenntnis des VfGH bezieht sich nur auf die Beihilfe zum Selbstmord (Punkt b). Alle anderen Punkte (a, c und d) bleiben davon unberührt.

      Ausschließlich die Strafe für die Hilfeleistung beim Selbstmord wurde beseitigt. Eine Verleitung zum Selbstmord im Sinne des § 78 des Strafgesetzbuches bleibt jedoch weiterhin strafbar. Denn die Entscheidung, sich selbst zu töten, genießt nur dann Grundrechtsschutz, wenn diese Entscheidung auf einer freien und unbeeinflussten Entscheidung fußt. Diese Voraussetzung ist bei einer Verleitung zum Selbstmord nicht gegeben. Ebenso bleibt § 77 StGB („Tötung auf Verlangen“) von der Entscheidung des VfGH unbeeinflusst und damit weiterhin strafbar. In seinem Erkenntnis (den gesamten Text der Entscheidung finden Sie im Anhang des Buches) geht der österreichische Verfassungsgerichtshof unter den Ziffern II und III ausführlich darauf ein, warum die Tatbestände „Verleitung zum Selbstmord“ und der „Tötung auf Verlangen“ weiter strafbar bleiben sollen.

      Eine Klarstellung: In diesem Buch bedeuten die Worte Selbstmord, Suizid und Selbsttötung alle dasselbe. Auch die Bezeichnungen Sterbehilfe, assistierter Selbstmord, assistierter Suizid und assistierte Selbsttötung bedeuten dasselbe. Und auch Beihilfe, Mithilfe und Mitwirkung bedeuten dasselbe.

       Reaktionen auf das Urteil

      Persönlich habe ich große Bedenken bei der Beseitigung der Strafbarkeit an der Hilfeleistung am Selbstmord. Dies vor allem wegen der vielfältigen Möglichkeiten des Missbrauchs. Der Missbrauch ist eines der wesentlichsten Argumente für jene, die die straflose Beihilfe ablehnen. Viele befürchten auch, dass der Weg vom „freiwilligen“ Suizidentschluss zur organisierten Tötung nur ein kurzer ist, der kaum kontrolliert werden kann. Wegen dieser Unsicherheit hätten sich viele die Beibehaltung der Bestimmung über die Strafbarkeit der Beihilfe gewünscht.

      Zudem wurde durch diese Entscheidung ein Tabu beseitigt, wonach kein Mensch über das Leben eines anderen entscheiden darf. Es wird jetzt wesentlich von den zu erwartenden Gesetzen abhängen, ob der von vielen befürchtete Missbrauch bei der Beihilfe ausgeschlossen werden kann.

       Was für das Urteil spricht

      Es gibt durchaus Punkte, die für eine erlaubte Hilfe beim Selbstmord sprechen. Es geht dabei um Situationen, in denen der Wunsch zu sterben, und zwar meist möglichst schnell zu sterben, verständlich ist:

      •Wenn das Leben nur mehr auf eine hoffnungslose Verlängerung des Sterbevorganges hinausläuft,

      •wenn die Angst wächst, sich selbst nicht mehr töten zu können und auf Dritte angewiesen zu sein,

      •wenn der körperliche oder psychische Schmerz so groß ist, dass er nicht mehr bewältigbar scheint, wenn als einziger Ausweg nur mehr der Tod gesehen wird.

      Viele, die sich für den Tod auf Verlangen einsetzen, sind von bestem Willen und besten Absichten getragen. Sie können das eigene schmerzvolle Leben oder das eines Angehörigen nicht mehr ertragen und wünschen ihm einen schnellen erlösenden Tod, unabhängig davon, ob der Angehörige das tatsächlich will.

      Besonders

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