Strafrecht für die Polizei. Bijan Nowrousian
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Dieser Vorgang heißt Subsumtion. Man subsumiert einen konkreten Lebenssachverhalt unter eine Norm.
Gibt es zu jedem Tatbestandsmerkmal ein Sachverhaltselement, tritt die Rechtsfolge ein. Wenn nicht, tritt sie nicht ein.
Im Strafrecht bedeutet dies: Gibt es zu jedem Tatbestandsmerkmal eines Strafgesetzes ein Sachverhaltselement (und liegen keine Ausnahmen vor, die sich aus anderen Normen ergeben, dazu später mehr), hat sich der Beschuldigte strafbar gemacht.
Um nun richtig zu subsumieren, muss der Reihe nach für jedes einzelne Tatbestandsmerkmal untersucht werden, ob es durch ein Sachverhaltselement erfüllt ist.
Mögliche tatsächliche Entsprechungen zu den Tatbestandsmerkmalen des § 303 StGB sind im Fall nun:
Sache: Es gibt den Briefkasten.
Fremdheit der Sache für B: Der Briefkasten gehörte S.
Zerstören: B hat den Briefkasten vollständig demoliert.
Das Ergebnis ist also: Zu allen Tatbestandsmerkmalen gibt es ein Sachverhaltselement. Die Rechtsfolge kann also eintreten.
Dazu ein weiteres Beispiel zur Übung:
Fall 2:
Der B will seinem Erzfeind O eine Abreibung verpassen. Er geht zu ihm und schlägt ihm ins Gesicht. O erleidet dadurch eine Beule an der Stirn. Strafbarkeit des B?
Einschlägige Norm ist § 223 I StGB, Körperverletzung: „Wer eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird (…) bestraft.“
Tatbestandsmerkmale sind:
•Andere Person•Körperlich misshandeln oder•An der Gesundheit schädigen
Sachverhaltselemente im Fall sind:
Andere Person = O
Körperlich misshandeln = Schlag ins Gesicht
An der Gesundheit schädigen = Beule
Es gibt also zu jedem Tatbestandsmerkmal der Norm ein Sachverhaltselement. B hat mithin alle Tatbestandsmerkmale des § 223 I StGB erfüllt.
b.Deliktsaufbau
Um die Frage, ob eine Person sich strafbar gemacht hat, abschließend bejahen zu können, reichen die Tatbestandsmerkmale, die sich in dem konkreten Straftatbestand finden, indes alleine nicht aus. Die Liste der erforderlichen Tatbestandsmerkmale auf der „wenn“-Seite, damit dass „dann“, also die Rechtsfolge der Strafbarkeit, tatsächlich eintritt, ist vielmehr noch etwas zu verlängern – etwa um Aspekte wie den Vorsatz. Was noch dazukommen muss und wie mithin ein vollständiger Deliktsaufbau für einen vollendeten (vorsätzlichen) Straftatbestand aussieht, soll nun Thema sein.
Der Deliktsaufbau sei an folgendem Fall illustriert:
Der B, der in einem Mehrfamilienhaus mit Garage mit Stellplätzen für alle Bewohner lebt, ist wütend und will sich abreagieren, indem er ein Auto durch Tritte verbeult.
•Variante 1: Er tritt heftig gegen sein Auto.•Variante 2: Er will heftig gegen sein Auto treten, verwechselt dies aber mit dem Auto eines Nachbarn, das vom gleichen Typ ist und die gleiche Farbe hat. Er tritt daher Beulen in das Auto des Nachbarn.•Variante 3: B tritt heftig gegen das Auto von Nachbar N, der ihm am Vortag erzählt hatte, der Wagen sei nach einem Unfall nur noch wenig wert und solle in drei Tagen abgeschleppt und verschrottet werden, weswegen B sich an ihm, so er denn müsse, „abreagieren“ könne.•Variante 4: B fasst seinen Entschluss, ein Auto zu zerbeulen, weil er ständig Stimmen hört, die es nicht gibt, er aber für real hält und die ihm dies befehlen.
Hat B sich jeweils wegen Sachbeschädigung gemäß § 303 StGB strafbar gemacht?
Variante 1:
Das Tatobjekt ist hier zwar eine Sache, aber keine für B fremde Sache. B erfüllt schon die Tatbestandsmerkmale des § 303 StGB nicht. B ist nicht strafbar.
Variante 2:
B erfüllt hier die Tatbestandsmerkmale des § 303 StGB. B weiß und will dies aber nicht, denn er denkt, die zerstörte Sache sei seine eigene. Ihm fehlt also das Wissen um das Tatbestandsmerkmal „fremd“.
B fehlt damit der Vorsatz dafür, eine fremde Sache zu zerstören. Auch hier ist B nicht strafbar, ihm fehlt der Vorsatz.
Die Notwendigkeit des Vorsatzes ergibt sich dabei nicht aus § 303 StGB. Sie ergibt sich – für alle Straftatbestände, falls nicht ausnahmsweise auch die fahrlässige Begehung strafbar ist – aus § 15 StGB.
Variante 3:
B erfüllt auch hier die Tatbestandsmerkmale des § 303 StGB. B weiß und will dies auch, da er diesmal auch wusste, dass die Sache fremd ist. B handelte also auch vorsätzlich.
N hat B aber die Zerstörung erlaubt. B darf daher – ausnahmsweise – eine fremde Sache beschädigen. B handelt mit Einwilligung des Nachbarn als Eigentümer der beschädigten Sache und daher nicht rechtswidrig. Denn mit der Einwilligung des N liegt eine Rechtfertigung dafür vor, dass B den Tatbestand verwirklicht. Für eine Strafbarkeit fehlt mithin die Rechtswidrigkeit.
Variante 4:
B erfüllt wieder die Tatbestandsmerkmale des § 303 StGB und weiß und will dies auch. N hat ihm dies auch nicht erlaubt, sodass B auch rechtswidrig handelt.
B ist sein Handeln aber nicht vorzuwerfen, weil er umgangssprachlich „nicht zurechnungsfähig“ (korrekt: „schuldunfähig“) handelt. B handelt nicht schuldhaft. Für eine Strafbarkeit fehlt also hier die Schuld.
Ein vollständiger Straftatbestand besteht also aus…
…dem objektiven Tatbestand (= Tatbestandsmerkmale der jeweiligen Norm),
…dem subjektiven Tatbestand (= Vorsatz),
…der Rechtswidrigkeit (= keine Rechtfertigung) und
…der Schuld (= keine Schuldunfähigkeit).
Gemeint ist damit jeweils Folgendes:
Objektiver Tatbestand: Erfüllt der Täter die jeweiligen Tatbestandsmerkmale des einschlägigen Straftatbestands?
Subjektiver Tatbestand (Vorsatz): Will der Täter die Merkmale des Straftatbestands erfüllen?
Rechtswidrigkeit: Handelt der Täter dabei ohne Rechtfertigungsgründe (Notwehr, Einwilligung pp.)?
Schuld: Ist der Täter schuldfähig?
Das Ganze lässt