Handbuch des Verwaltungsrechts. Группа авторов
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Staats- und Völkerrechtswissenschaft
Dieser Befund verändert sich graduell, wenn Ausgangspunkt der Beobachtungen das Öffentliche Recht insgesamt ist, also auch die Vertreter des Staats- und Völkerrechts umfassender berücksichtigt werden. Bereits in den Beratungen des Parlamentarischen Rates war den Mitgliedern, besonders den Architekten der Außenverfassung, Carlo Schmid[25] und Hermann von Mangoldt,[26] zwar bewusst, dass die völkerrechtlichen Regelungen nicht der staatlichen Lage entsprachen. Sie wurden jedoch „auf Zuwachs“ in das Grundgesetz aufgenommen, in der Hoffnung, die Souveränität über die inneren und äußeren Angelegenheiten in einem überschaubaren Zeitraum wiederzuerlangen. Die völkerrechtlichen Regelungen sollten bezeugen, dass das deutsche Volk entschlossen sei, „mit einer europäischen Tradition zu brechen, die in der ungehemmten Entfaltung der Macht des Nationalstaates den eigentlichen Beweger der Geschichte und ihren letzten Sinn sah.“ Denn nur wenn das deutsche Volk seine volle Entscheidungsfreiheit, die Souveränität, wiedererlangen würde, wäre es in der Lage, sich politisch, ökonomisch und konstitutionell in ein geeintes Europa einzubringen.[27] Über ein Konstrukt wie die zu diesem Zeitpunkt nicht mehr ferne Montanunion wurde nicht diskutiert, dafür aber die Möglichkeit der Übertragung von Hoheitsrechten vorgesehen. In der Diskussion des späteren Art. 24 GG spielten die Bedingungen der Übertragung eine Rolle, so dass Schmid davor warnte, den günstigen politischen Eindruck dieser Norm nicht durch die Aufnahme zu vieler Kautelen zu verwischen. Der Wunsch Deutschlands solle deutlich zum Ausdruck kommen, dass durch „übernationale Administrationen“ „letzten Endes ein einiges Europa“ entstände.[28] Wie noch zu zeigen sein wird,[29] ist die verfassungsrechtliche Kompetenz für Hoheitsrechtsübertragungen der zentrale, erste Bezugspunkt auch für die Verwaltungsrechtswissenschaft zu Europa. Denn die „übernationalen Administrationen“ assoziieren das in das 19. Jahrhundert zurückreichende Internationale Verwaltungsrecht[30] und bringen Kollisionsprobleme zwischen den beteiligten Rechtsordnungen hervor, die in der nationalen Rechtsordnung vom Verwaltungsrecht adressiert werden.
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Mentalreservation
Die folgenden Überlegungen werden auch zeigen, dass dieser Prozess nicht allein von Rechtstatsachen, ihrer Kenntnis und kognitiver Verarbeitung, sondern auch von mentalen Dispositionen abhängt. Das psychologische Moment der Abwehr des in das deutsche Verwaltungsrecht „eindringenden“ Gemeinschaftsrechts war durchaus verbreitet und erklärt das zögerliche Hinwenden zum Neuen, vor allem auch unter der älteren Juristengeneration. Dieses noli me tangere ist mehr als eine emotionale Bauchentscheidung einzelner Wissenschaftler, sondern ist im Kontext des rechtsstaatlichen Zusammenbruchs seit 1933, des Wiederaufbaus, des Abstreifens der Besatzungsherrschaft 1955 und der Verfeinerung des verwaltungsrechtlichen Systems zu sehen. Auf diesen Kontext wirkt nun eine europäische Kraft – von außen – zunächst besonders durch Rechtsprechung, später auch durch Rechtsetzung ein,[31] die rechtswissenschaftlich, handwerklich und dogmatisch nicht auf der Höhe der Zeit zu sein scheint und die nationalen Verwaltungsrechtsordnungen auf mittlerem Niveau nivelliert.[32]
III. Akzessorietät zur Verfassungsdebatte
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Konkretisiertes europäisches Verfassungsrecht
Der Grund für die periphere Aufmerksamkeit, die die Verwaltungsrechtswissenschaft den Europäischen Gemeinschaften oder sogar der EMRK unmittelbar auch über die 1950er Jahre hinaus schenkte, ist ihre bis in die 1970er Jahre reichende Akzessorietät zur Verfassungsdebatte. Die Hauptthese dieses Beitrages lautet, dass die Vertreter der Verwaltungsrechtswissenschaft sich erst dem Gemeinschaftsrecht und der „Europäisierung“ innerlich wie rechtspraktisch zuwendeten, nachdem die Mehrheit der Verwaltungsrechtswissenschaftler einen neuen „verfassungsrechtlichen“ Bezugspunkt für ihr Fach im Gemeinschaftsrecht ausmachen konnte. Erst als sich in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre eine Perspektive für einen rechtsstaatlichen Rahmen in den Gemeinschaften selbst zeigte, namentlich europäische Grundrechte gewährleistet wurden und rechtsanwendungsfähige Konkretisierungen eines europäischen Rechtsstaatsprinzips[33] entstanden, ließ die von Beginn an beobachtete Europäisierung des deutschen Verwaltungsrechts sich unter dem modifizierten Leitmotiv „Verwaltungsrecht als konkretisiertes europäisches Verfassungsrecht“ verarbeiten und über eine systematische Funktionsteilung zwischen europäischem und nationalem Verwaltungsrecht nachdenken.[34] Dass die deutsche Verwaltungsrechtswissenschaft dem berühmten Leitmotiv vom „Verwaltungsrecht als konkretisiertes Verfassungsrecht“[35] überwiegend folgte, zeigt bereits die Debatte über Maßstab und Inhalt rechtsstaatlicher Bindung bei den ersten Schritten in der Montanunion,[36] die in der Erlanger Staatsrechtslehrertagung 1959 ein größeres Forum fand[37] und deren rechtsdogmatischer Kern die Bemühungen um die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts waren.[38]
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Verfassungsdebatte
Der Kontext dieser These ist als „Verfassungsdebatte“ bezeichnet, womit zum einen das im nationalen Recht maßgebende Verhältnis von Verwaltungs- und Verfassungsrecht aufgegriffen wird, das im Europarecht sein funktionales Äquivalent auf den ersten Blick im Verhältnis von einem europäischen Verwaltungsrecht zum Recht der Verträge, dem Primärrecht, hat. Zum anderen meint „Verfassungsdebatte“ den bis heute unentschiedenen Deutungskonflikt über den Status des Gemeinschafts- und Unionsrechts. Der Konflikt kreist um die Frage, aus welcher Quelle sich die europäische Hoheitsgewalt speist und wie sich der autonome Gestaltungsanspruch des europäischen Integrationsverbandes rechtfertigt.[39] Aus verwaltungsrechtlicher Perspektive wird man hinzufügen müssen, dass auch die Leitbilder von Verwaltung in einer Industriegesellschaft des 20. Jahrhunderts dafür prägend sind, welchen Standpunkt die Beteiligten hatten und haben.
I. Eigenverwaltung der Montanunion – die teilnehmenden Beobachter
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