Handbuch des Verwaltungsrechts. Группа авторов

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Handbuch des Verwaltungsrechts - Группа авторов страница 44

Жанр:
Серия:
Издательство:
Handbuch des Verwaltungsrechts - Группа авторов

Скачать книгу

Gemeinschaftsrecht entgegen zu treten, um es indirekt für den Einfluss des deutschen Verwaltungsrechts offen zu halten. Mehr noch, sein Standpunkt könnte auch der Denkströmung zuzuordnen sein, die das „Eindringen“ des Gemeinschaftsrechts in das wiederaufzubauende verwaltungsrechtliche System ablehnte.[103]

      24

      Werdendes europäisches Verwaltungsrecht

      Dagegen steht etwa der zum selben Zeitpunkt veröffentlichte Beitrag von Ernst Wohlfarth, dem späteren Generaldirektor des Juristischen Dienstes im Ministerrat,[104] aus dem Juristen-Jahrbuch 1962/63. Unter dem Titel „Anfänge einer europäischen Rechtsordnung und ihr Verhältnis zum deutschen Recht“ äußerte sich Wohlfahrt gezielt dazu, dass die nationalen Verwaltungsrechtsordnungen sich unter dem EWG-Vertrag verändern würden. Er erkannte das Problem auseinanderfallender Verwaltungspraxis, sprach aber auch zahlreiche Fragen, wie die zur Errichtung einer gemeinschaftseigenen Verwaltung als noch unbeantwortet an. Gleichwohl zeichneten sich „die Umrisse eines werdenden europäischen Verwaltungsrechts [...] schon ab“.[105]

      25

      Landwirtschaftsrecht als unerkanntes Referenzgebiet

      Doch auch in der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft war man zu diesem Zeitpunkt, ohne Erfahrung als Praktiker und dessen Sonderwissen, auf die Entwicklung aufmerksam geworden, wie das sehr früh europäisierte, praxisrelevante Teilrechtsgebiet des Landwirtschaftsrechts zeigt.[106] Im Jahr 1963 beschreibt Volkmar Götz, seinerzeit Habilitand in Frankfurt, später Professor in Göttingen, wie das „1962 in über einhundert Verordnungen des Rates und der Kommission der EWG geschaffene Recht der europäischen Agrarmarktorganisationen [...] neue Aspekte der EWG-Rechtsordnung“ hervortreten lässt und ein „ausgedehntes Netzwerk europäischen Wirtschaftslenkungsrechts“ neben die bisherigen Kernbereiche, die Zollunion der EWG und den Kohle- und Stahlsektor der EGKS, tritt. Der Rat handele als europäisches Gesetzgebungsorgan, während die Kommission mit Durchführungsverordnungen konkretisiere.[107] In einem kurz darauf erschienenen Folgebeitrag schichtet Götz anhand einzelner Verordnungen ab, welche Aufgaben in die unmittelbare Verwaltungskompetenz der Kommission fallen und für welche Aufgaben nationale Umsetzungsgesetzgebung notwendig ist, die die Grundlagen für ein nationales Verwaltungshandeln im Sinne des dezentralen Vollzugs schafft.[108] Die Entwicklung im Landwirtschaftsrecht ließ später, Mitte der 1970er Jahre, einen Rechtsberater der Kommission fragen, ob es aufgrund der gewachsenen Agrarmarktordnung, der Regelungsfülle und des unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Vollzugs nicht langsam an der Zeit sei, ein allgemeines europäisches Verwaltungsrecht zu entwickeln.[109] Götz selbst bilanziert 1986, am Ende des hier behandelten Zeitabschnitts, dass vom EuGH entwickelte allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts nationales Recht nicht verdrängten, sondern als unmittelbar anwendbare Maßstabsnormen auf die Anwendung dieses Rechts beim Vollzug des Gemeinschaftsrechts einwirkten.[110]

      26

      Supranationale Wirtschaftsverwaltung

      In die Aufbaujahre der Gemeinschaften fiel auch die Staatsrechtslehrertagung 1964 in Kiel. Joseph H. Kaiser[111] und Peter Badura berichteten über die „Bewahrung und Veränderung demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen in den internationalen Gemeinschaften.“ In seinem bis in die Gegenwart beachteten Referat geht Peter Badura der Frage nach, ob demokratische und rechtsstaatliche Verfassungsstruktur durch die Internationalisierung der öffentlichen Gewalt modifiziert werde. Er stellt zunächst die Inhalte und Formen der internationalen Verwaltungen dar, die nichtstaatliche und -nationale öffentliche Gewalt in Europa ausüben, worunter er ausdrücklich auch die der europäischen Wirtschafts- und Militärverwaltung nennt. Badura nimmt also die Kategorisierung des internationalen Verwaltungsrechts auf,[112] verlässt diese jedoch und diagnostiziert etwas Neues. Die Montanunion wie die Wirtschaftsgemeinschaft seien su pranationale Wirtschaftsverwaltung.[113] Die von der EWG ausgeübte öffentliche Gewalt sei bis auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs materiell Regierung und Verwaltung, die in rechtsetzenden und vollziehenden Akten verwirklicht werden würden.[114] Im weiteren Argumentationsverlauf, der sich der demokratischen Legitimation jener europäischen öffentlichen Gewalt zuwendet, kommt Badura zu dem Ergebnis, dass die „Aufgaben und Befugnisse der europäischen Wirtschaftsverwaltung […] somit nicht über das hinaus[gehen], was der moderne Staat für seine Wirtschaftspolitik in Anspruch nimmt und nehmen darf. Das Problem der bürgerlichen Freiheit in der europäischen Wirtschaftsverfassung erweist sich als ein Aspekt der allgemeineren Frage, wie Freiheit im Wohlfahrtsstaat möglich ist.“[115] Das Referat wirkt im zweiten Teil wie eine Wiederaufnahme der Diskussion in Erlangen,[116] nur mit durchweg europarechtsfreundlichen Standpunkten, die die beim Rechtsschutz diskutierten, verwaltungsrechtlichen Probleme, wie sie etwa Carl Hermann Ule aufgeworfen hatte,[117] mit der Erkenntnis löste, dass „den ohne weitere Anfechtungsmöglichkeit entscheidenden deutschen Gerichten die Gerichtsbarkeit über Akte der europäischen öffentlichen Gewalt fehlt“ und insoweit die supranationale an die Stelle der nationalen Rechtsprechung getreten sei.[118] Wenn die drei Gemeinschaften gegenüber den Mitgliedstaaten und Bürgern „selbständige Hoheitsbefugnisse in Gestalt eigener Zuständigkeiten zur Rechtsetzung, zu Regierung und Verwaltung und zur Rechtsprechung“ haben, dann wäre es nur konsequent, diesem Hoheitsträger auch ein eigenes Verwaltungsrecht zu verordnen. Schließlich liegt in der ungeformten Handlungsmacht der Gemeinschaften deren rechtsstaatliches Strukturproblem – diesen Schritt geht Badura jedoch nicht.

      27

      

      „Emanzipation des Gemeinschaftsrechts“

      Die Kieler Staatsrechtslehrertagung wird als Wendepunkt in der Wahrnehmung des Gemeinschaftsrechts in der Staatsrechtslehre und damit auch in der Verwaltungsrechtswissenschaft gedeutet. Hans Peter Ipsen hat dafür das Bild der „Kieler Welle“ erfunden,[119] das sich festgesetzt hat und mit ihm seine These, dass diese Staatsrechtslehrertagung „eine Entwicklungsbewegung zur Emanzipation des Gemeinschaftsrechts aus einer grundgesetzintrovertierten Haltung“,[120] eine Zäsur gewesen sei, ab der sich die deutsche Wissenschaft des Öffentlichen Rechts dem Gemeinschaftsrecht zugewandt habe.[121] Die Referate und deren Rezeption mögen so empfunden oder auch im wissenschaftlichen Eigeninteresse so gedeutet worden sein. An dieser Stelle der Überlegungen ist jedoch deutlich, dass bereits mit Gründung der Montanunion vereinzelt verwaltungsrechtliche Kernfragen formuliert worden waren, dass die Erlanger Staatsrechtslehrer 1959 sich, wenn auch mit anderem Zungenschlag, ausführlich mit „Europa“ beschäftigt hatten und dass Anfang der 1960er Jahre eine größere thematische Durchdringung einsetzte.[122] Hinzu kommt, dass sich auch nach 1964 eine literarische Befassung mit dem Gemeinschaftsrecht in der Breite empirisch nicht nachweisen lässt.[123]

      28

      Deutungsdominanz

      So sagt die Deutung der „Kieler Welle“ möglicherweise mehr über ihren Schöpfer, Hans Peter Ipsen, aus, als über den Europäisierungszustand der Verwaltungsrechtswissenschaft insgesamt. Ipsen beginnt in dieser Zeit, seine bereits gefestigte Stellung in der Staatsrechtslehre weiter auszubauen und eine debattenbeherrschende Deutungsdominanz in allen Fragen des Europarechts, besonders seines gleichberechtigten Selbststandes neben nationalem öffentlichen Recht und Völkerrecht aufzubauen.[124] Auf der Staatsrechtslehrertagung in Graz 1966 referierte er selbst zum Spezialthema „Verwaltung durch Subventionen“. Für die Bereiche der Grundstoffindustrie, des Agrar- und des Verkehrsmarktes unterstreicht Ipsen eine vollständige Determinierung durch das Gemeinschaftsrecht. Er fügt an einer Stelle seines Referats eine als „europarechtlich[e] ‚Tortenverzierung‘“ bezeichnete, über drei Seiten reichende Fußnote hinzu, in der er vertieft darauf eingeht, auf welchen Rechtsgrundlagen und wie sich der Integrationsgrad der jeweiligen Märkte gestaltet und wie die Kontrolle der Gemeinschaftsorgane, vor allem der Kommission, erfolgt. Das deutsche Subventionsrecht

Скачать книгу