Im Reiche des silbernen Löwen I. Karl May

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Im Reiche des silbernen Löwen I - Karl May

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erst dann, als wir ihn erreicht hatten, die Stelle auf, an welcher sie in ihn eingedrungen waren. Von hier aus durften wir uns ohne allzu große Gefahr auf ihrer Fährte halten; der Sicherheit wegen aber stieg ich aus dem Sattel und ging, den andern vielleicht fünfzig Schritte voran, mitten auf der sehr gut ausgetretenen Spur weiter. Meine Schritte verursachten kein Geräusch, während meinem Auge und Ohre auf eine mich sicherstellende Entfernung hin nichts entgehen konnte. Es läßt sich denken, daß unser Vordringen ein langsames war, doch konnten wir dies nicht ändern. Möglich, daß für die Weißen große Gefahr im Verzuge war, aber wir konnten sie doch auch nicht dadurch retten, daß wir uns selbst preisgaben.

      So verging Stunde um Stunde; es wurde Nachmittag, und wenn ich bisher für die Gefangenen sehr gefürchtet hatte, so begann ich jetzt, wieder Hoffnung zu schöpfen. Wenn die Indianer so spät an ihren Lagerplatz gelangten, fanden sie heute keine Zeit mehr, die Bleichgesichter unter Einhaltung der gewohnten Gebräuche hinzurichten; sie mußten dies bis morgen hinausschieben, und am Abende und während der Nacht gab es dann Zeit und wohl auch Gelegenheit, den Mord zu verhindern. Am meisten hoffte ich von dem Umstande, daß die Comantschen von unserer Anwesenheit keine Ahnung hatten. Sie befanden sich auf ihrem Gebiete; sie wußten, daß dies jetzt von jedermann, der nicht zu ihnen gehörte, gemieden wurde, und so stand zu erwarten, daß sie strenge Sicherheitsmaßregeln für überflüssig halten würden.

      Wir hätten den Fluß eigentlich schon längst erreicht haben müssen, aber er bildete gerade hier einen weiten Bogen, auf dessen innerer Seite wir uns befanden, und erst gegen Abend mehrten sich die Anzeichen, daß wir uns dem Wasser näherten. Nun bewegten wir uns noch langsamer vorwärts als bisher, und das war gut, denn bald hörte ich eine rufende Stimme, welcher eine andere antwortete. Wir waren in der Nähe der Comantschen angekommen, und ich huschte zu meinen Gefährten zurück, um sie anhalten zu lassen und für uns ein Versteck zu suchen.

      Es war bald ein passender Ort gefunden, wo wir die Pferde und auch Perkins anbanden. Dieser Mann war uns, wie wohl eigentlich gar nicht erwähnt zu werden braucht, außerordentlich hinderlich; er erschwerte uns alles; wie aber hätten wir uns seiner erledigen können, ohne härter zu sein, als unumgänglich nötig war, oder ohne uns durch ihn in Gefahr zu bringen? Er hatte uns zwar seine Hilfe angeboten, und es war auch ganz möglich, daß er es ehrlich meinte; aber das dazu nötige Vertrauen konnten wir ihm doch unmöglich schenken. Als wir ihn und die Pferde gut untergebracht hatten, erkundigte sich Jim Snuffle:

      »Was thun wir nun, Sir? Wir haben jetzt unter den Bäumen grad noch den rechten Tagesschein, bei dem es sich vortrefflich spionieren läßt, ohne daß man von weitem gesehen werden kann. Wißt Ihr sicher, daß die Roten in der Nähe sind?«

      »Ja. Ich hörte zwei von ihnen, welche einander zuriefen.«

      »Sollte mich sehr wundern. Habt Ihr nicht vielleicht falsch gehört?«

      »Nein. Es waren menschliche Stimmen.«

      »Wahrscheinlich von Weißen!«

      »Nein. Gäbe es ja Weiße hier, so würden sie sich bei den gegenwärtigen Verhältnissen sehr hüten, so laut zu sein.«

      »Aber die Indianer pflegen doch auch nicht so zu brüllen, daß man es meilenweit hört!«

      »Von Brüllen und meilenweit ist auch gar keine Rede. Wenn die zwei einander zuriefen, so ist mir das ein sehr willkommenes Zeichen davon, daß sie sich sicher fühlen und keinen andern Menschen in der Nähe vermuten. Unser Werk wird uns dadurch wahrscheinlich sehr erleichtert.«

      »Well, gehen wir also an dieses Werk! Wollen wir sie beschleichen?«

      »Das müssen wir allerdings. Das Notwendigste ist ja, zu wissen, wo sie sich befinden; erst dann läßt sich sagen, ob man etwas wagen darf oder nicht.«

      »Schön! Machen wir uns also auf den Weg!«

      »Wir? Wen meint Ihr mit diesem Worte?«

      »Euch und mich natürlich. Mein alter Tim muß hier bei dem Gefangenen bleiben.«

      »Hm! Ich würde vorziehen, allein gehen zu können.«

      »Allein? Ich nicht mit? Traut Ihr mir vielleicht nichts zu?«

      »Davon ist keine Rede; aber es ist meine Angewohnheit, mit dem, was ich selbst und allein thun kann, keinen andern zu belästigen.«

      »Belästigen! Was für ein Wort! Glaubt getrost, daß ich im Beschleichen etwas leiste! So von hinten an einen Roten zu kommen, ohne daß er es ahnt, das ist für mich das höchste der Gefühle. Es würde mich ungeheuer kränken, von Euch zurückgewiesen zu werden. Ich gehe mit; mein Bruder bleibt da.«

      »No,« antwortete Tim, ganz wider Jims Erwarten.

      »Nicht? Was fällt dir ein! Es muß doch einer bei dem Gefangenen bleiben?

      »Yes.«

      »Das bist du.«

      »No.«

      »Wer denn?«

      »Du.«

      »Ich? Bist du toll? Jim Snuffle soll sitzen bleiben, wenn es gilt, diesen roten Halunken einen Streich zu spielen!«

      »Tim Snuffle bleibt auch nicht sitzen!«

      »Du mußt! Ich habe das Vorrecht, denn ich bin der Aeltere.«

      »Bist nur fünf Minuten älter als ich, und so eine kurze Zeit gilt nichts. Zwillinge sind stets gleich alt; ich laß mich nicht hofmeistern und gehe auch mit. Will auch einmal der Aeltere sein!«

      Das war für den guten Tim eine lange, sehr lange Rede. So viel hatte er wohl seit Jahren nicht zusammenhängend gesprochen; darum holte er nach dem letzten Worte tief und kräftig Atem. Jim war für kurze Zeit still. Die Verwunderung über die plötzliche Redseligkeit seines Bruders raubte ihm die Sprache; dann aber stieß er um so energischer hervor:

      »Ich glaube gar, du willst dich gegen mich empören, der ich in aller Wahrheit und Wirklichkeit der Erstgeborene bin! Das fehlte noch! Dieser kleine Nesthocker will mir Vorschriften machen! Ich gehe, und du bleibst!«

      »No.«

      »Yes, sage ich. Auf dein No wird nicht gehört!«

      Die sonderbaren Zwillinge begannen in ihrer Erregung laut zu werden. Ich machte sie darauf aufmerksam und schlug ihnen vor, mich allein gehen zu lassen, dann sei der Streit entschieden, ohne daß einer übervorteilt werde. Aber Jim ging nicht darauf ein; er wollte, das wußte ich wohl, mir seine Geschicklichkeit beweisen; das war mir gar nicht lieb, aber ich durfte ihn nicht beleidigen und gab darum schließlich meine Zustimmung. Tim sagte gar nichts mehr dazu; aber diese Stille kam mir nicht recht geheuer vor; darum fragte ich ihn:

      »Ihr habt doch nicht etwa eine Heimlichkeit vor, Mr. Snuffle?«

      »No,« antwortete er mürrisch.

      »Ihr seid einverstanden, daß Euer Bruder geht?«

      »Yes.«

      »So bin ich beruhigt. Es wäre höchst fatal und gefährlich, wenn einer etwas unternähme, wovon die andern nichts wissen dürfen. Das könnte nicht nur alles verderben, sondern uns sogar Freiheit und Leben kosten.«

      »Macht Euch keine solche Gedanken!« beruhigte mich Jim. »Habt gar keinen Grund dazu. Dieser Tim getraut sich nichts ohne mich; ist auch viel zu jung dazu; volle fünf Minuten jünger; denkt Euch nur! Der bleibt gern

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