Im Reiche des silbernen Löwen I. Karl May

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Im Reiche des silbernen Löwen I - Karl May

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war, an die gefährliche Ufersteilung legten, gewiß eine Aufgabe, welche sehr schwer auszuführen war.

      Zunächst legten wir uns nieder und krochen zwischen den Büschen auf das Lager zu. Wir kamen glücklich so nahe an dasselbe, daß wir es überblicken konnten. Die Comantschen hatten sich eine sehr passende Oertlichkeit ausgewählt. Sie lag nämlich tiefer als die Umgebung, und infolgedessen trat das Hochwasser hier bis ganz an die Thalwand heran. Darum gab es hier kein Gesträuch, sondern einen freien Platz, auf welchem auch ein größerer Trupp sich bequem hätte bewegen können. Uns freilich war dieser Umstand höchst unwillkommen, weil er die Schwierigkeiten erhöhte, welche wir zu überwinden hatten.

      Die Indsmen waren beim Essen; sie unterhielten sich dabei in einer Weise, daß sie sich vollständig sicher fühlen mußten. In ziemlich gleichgroßen Abteilungen um die fünf Feuer gelagert, konnten sie von uns leicht gezählt werden. Es waren einundsiebenzig. Von ihnen allen fiel der Häuptling wegen seines weißen Haares am meisten auf. Er saß am zweiten Feuer, ungefähr dreißig Schritte von uns entfernt, und da er uns das Gesicht zukehrte, konnte ich dieses ganz deutlich sehen.

      »Uff!« stieß ich überrascht, aber natürlich nur leise hervor. »Wenn wir dem in die Hände gerieten, wären wir verloren, selbst wenn er sich nicht auf dem Kriegspfade befände.«

      »Kennt Ihr ihn, Sir?« fragte Jim ebenso leise.

      »Nur zu gut. Es ist To-kei-chun, einer der gefürchtetsten Häuptlinge der Comantschen.«

      »Ein Feind von Euch?«

      »Ja. Ich geriet einst mit Winnetou und einigen andern Männern in seine Gefangenschaft, aus welcher wir nur durch meine edle Dreistigkeit entkamen[4]. Es wurde zwischen ihm und mir vereinbart, daß wir zwar fortreiten durften, er uns aber nach einer kurzen Frist mit seinen Kriegern folgen werde. Natürlich ließen wir uns nicht einholen.«

      »Höchst interessant, Sir! Das müßt Ihr mir erzählen.«

      »Aber nicht jetzt, Mr. Snuffle!«

      »Versteht sich ganz von selbst. Jetzt giebt es anderes zu thun, als von Abenteuern schwatzen.«

      »Allerdings. Wir können leicht eines erleben.«

      »Das wollen wir ja auch. Oder ist es etwa kein Abenteuer, wenn man fünf Gefangene mitten unter siebzig Comantschen herausholt? Seht Ihr sie liegen, dort beim Feuer, an dem der Häuptling sitzt?«

      Natürlich sah ich sie. Sie lagen nebeneinander und waren so gefesselt, daß sie sich nicht zu rühren vermochten. Derjenige, welcher uns am nächsten lag, hatte einen starken, schwarzen, herabhängenden Schnurrbart, war also wohl derjenige, der sich Mr. Dschafar nennen ließ.

      Zwischen diesem Feuer und uns gab es noch einige Büsche, und ich hielt es nicht für zu gewagt, weiter vorzukriechen. Die Roten hatten keine Wachen ausgestellt, und da sie ruhig an den Feuern saßen und nicht hin und her gingen, stand nicht zu befürchten, daß man mich bemerken werde. Der Häuptling sprach mit denen, welche bei ihm saßen, und ich hätte gar zu gern gehört, wovon sie redeten. Darum forderte ich Jim auf, einstweilen liegen zu bleiben, und schob mich vorsichtig weiter fort.

      Aber kaum hatte ich hinter dem letzten Busche Posto gefaßt, so hörte ich hinter mir ein leises Geräusch, und als ich mich umblickte, sah ich, daß der Snuffle mir gefolgt war.

      »Was fällt Euch ein!« raunte ich ihm mißmutig zu. »Ihr solltet doch bleiben!«

      »Will auch gern hören, wovon sie reden.«

      »Versteht Ihr denn ihre Sprache?«

      »Nicht viel, aber doch etwas.«

      »Aber dieser Busch deckt zwei Personen nicht so gut wie eine!«

      »Werden schon Platz nebeneinander haben, Sir. Ihr habt ja gesagt, daß ich bei Euch bleiben und mich ja nicht von Euch entfernen soll. Das thue ich nun, wie Ihr seht.«

      Er kroch eng zu mir heran, und so lagen wir allerdings beide im Schatten des Strauches, aber lieber wäre es mir doch gewesen, wenn er zurückgeblieben wäre.

      Der Zweck, welchen ich verfolgt hatte, wurde erreicht: Wir hörten, was gesprochen wurde. Der Gegenstand des Gespräches war der Kriegszug, auf dem sie sich jetzt befanden. Sie wollten einige Ansiedelungen, welche sie auch nannten, überfallen und die dortigen Weißen ermorden, vorher aber nach dem Makik-Natun[5], reiten und dort den Kriegstanz aufführen, um die »Medizin« zu befragen, ob der Ueberfall gelingen werde. Diese Feierlichkeit sollte dadurch erhöht werden, daß die fünf Bleichgesichter, welche heute in ihre Hände geraten waren, am Marterpfahle sterben sollten.

      Jetzt kannte ich ihre Absichten und konnte den gefährlichen Lauscherposten aufgeben. Wenn es uns heute nicht gelang, die Gefangenen zu befreien, konnten wir den Indianern nach dem Makik-Natun folgen, um dort oder auch schon unterwegs eine bessere Gelegenheit dazu zu finden. Wir krochen also wieder zurück. Als wir unser voriges Versteck erreicht hatten, erkundigte sich Jim Snuffle:

      »Habe einiges verstanden, aber nicht alles. Was war das für ein Wort, Makik-Natun?«

      »Ein Comantscheausdruck, welcher aus dem Tonkawa-Dialekte stammt; er heißt soviel wie gelber Berg.«

      »Gelber Berg? Nicht wahr, dorthin wollen sie?«

      »Ja.«

      »Und dort sollen die Gefangenen abgeschlachtet werden, wenn ich richtig verstanden habe?«

      »Ja.«

      »Wo mag dieser Berg liegen? Wenn man das doch wüßte!«

      »Ich weiß es. Bin einigemal dort gewesen.«

      »Wirklich? Das ist gut, sehr gut. Liegt er weit von hier?«

      »Nur einen Tagesritt.«

      »Kennt Ihr von hier aus den Weg?«

      »Natürlich. Bin zwar noch nicht von hier aus dort gewesen, aber was wäre das für ein Westmann, der einen ihm bekannten Ort nicht von allen Seiten her zu finden wüßte. Der Makik-Natun ist eigentlich mehr ein Hügel als ein Berg, denn hier giebt es keine wirklichen Berge, ein kurzer, niedriger Höhenzug, welcher seinen Namen der hellen Farbe des dortigen Bodens verdankt.«

      »Warum aber mögen die Roten gerade dorthin wollen, um ihren Medizintanz auszuführen?«

      »Weil dort mehrere ihrer Häuptlinge begraben sind. Aber jetzt nicht länger schwatzen, Mr. Snuffle; folgt mir weiter! Wir müssen erfahren, wo die Pferde sind. Es gilt nicht nur, die Gefangenen zu befreien, sondern auch die Pferde für sie zu schaffen, weil uns sonst die Comantschen einholen würden.«

      Wir krochen von Busch zu Busch, um zunächst an die Thalwand zu kommen. Eben als uns dies gelungen war, glaubte ich, über uns ein Geräusch zu hören.

      »Still!« flüsterte ich Jim zu. »Habt Ihr nichts gehört?«

      »Nein,« antwortete er. »Ihr wohl?«

      »Ja.«

      »Wo?«

      »Da oben. Es war wie ein leises Niederrieseln von Sand. Es wird doch nicht etwa – — –!«

      »Was?«

      »Euer Bruder.

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<p>4</p>

Siehe Karl May »Winnetou« Bd. III, Kapitel 3.

<p>5</p>

Gelber Berg.