Als Mariner im Krieg. Joachim Ringelnatz
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Als Mariner im Krieg - Joachim Ringelnatz страница 14
Abends in Wilhelmshaven schossen wir wie losgelassene Eber an Land. Ich las — das tat man schon allgemein so — zwischen den Zeitungszeilen. Die »Möwe« war gesunken. Reims war wieder in französischen Händen. Als ich nachts zurückkam, hatte ich gehörig einen in der Krone. Ich sprach eine hübsche Dame, die aus einem Parterrefenster schaute, so an: »Auf wen warten Sie? Sind Sie verheiratet? Haben Sie Blumen gern?«
Da inzwischen Ebbe eingetreten war, lag »Blexen« jetzt so tief unter der Mole, daß ich nur mit Hilfe einer Leiter an Bord gelangen konnte, was bei meinem Zustand sehr langsam gelang. Unterwegs, also mitten auf der steilen Leiter, fiel mir ein Auftrag ein, den mir der Kommandant schon vor einer Woche erteilt und den ich immer wieder vergessen hatte. Ich sollte feststellen, ob die Matrosen Sturm und Schulz katholisch oder protestantisch wären. Ich rief nun laut den Sturm und den Schulz, und sie kamen, waren aber auch so bezecht, daß wir uns absolut nicht verstanden. Sturm meinte, er sollte das Abendmahl bekommen und forschte immer nach dem Becher.
Nach dem Malheur mit der Dampfpinasse überstrichen wir jetzt heimlich den am Bug in goldenen Lettern prangenden Namen »Blexen« mit schwarzer Farbe, damit wir in künftigen ähnlichen Fällen uns unerkannt aus dem Staube machen könnten. Um die Matrosen etwas zu entlasten, teilten wir Unteroffiziere uns freiwillig in die nächtlichen Hafenwachen. Neben mir lag zufällig der Dampfer »Hansa«, der seinerzeit im Frieden den Dampfer »Primus« mit fünfhundert Passagieren zum Sinken gebracht hatte. Jetzt war die »Hansa« Lazarettschiff, und der Posten davor erzählte mir, daß alle Wilhelmshavener Krankenhäuser überfüllt wären.
Auf dem Marktplatz erkannte ich am nächsten Morgen vor einer Blumenbude die Dame, die ich nachts angesprochen hatte. Ich kaufte ihr ein Sträußchen und sagte: »Merken Sie nun, warum ich Sie gestern gefragt habe, ob Sie Blumen gern haben?« Pfeiffer traf ich an, wie er in hellster Freude seine feldgraue Ausrüstung betrachtete, mit der er anderntags gleich vielen anderen der dort in der Kaserne herumlungernden Matrosen nach Belgien abrücken sollte. Außerdem war er zum Obermaaten befördert worden, wohl seiner unerschütterlichen Ruhe wegen, die als »Gesetztheit« geschätzt wurde. Ich eilte auf seinen Rat hin sofort zum Personalbüro A und bat ebenfalls um Beförderung zum Obermaaten, was nämlich mit einer geringen Erhöhung meiner geringen Löhnung verbunden gewesen wäre. Es hieß, ich sollte mich dieserhalb an meinen Kommandanten wenden. Da ich das ohne besondere Begründung nicht konnte, nun aber einmal auf dem Büro war, bat ich, wenigstens auf ein größeres, ins direkte Gefecht kommende Schiff versetzt zu werden. Mein Name wurde vornotiert. Er war schon oft vornotiert.
Auslaufend geriet »Blexen« einer heimkehrenden T-Flottille in die Quere. Der Chef des Führerbootes stellte erzürnt den Namen unseres Kommandanten fest. Der war ziemlich bedrückt. Nach unsrer aller Ansicht traf ihn zwar kein Verschulden, aber er würde doch eine Zigarre vom Sperrkommandanten bekommen, denn er war kein Redner und verstand es nicht, sein Recht und unsere Rechte zu verteidigen.
Unsere arme »Blexen« als kleinstes Schiffchen mit seinem guten, anständigen Kommandanten wurde immer als Mädchen für alles und für alle ausgenutzt. Wir wurden bei hoher Dünung von Boot zu Boot geschickt, mußten dann auf einem verankerten Scheibenfloß die Leinwand reparieren, und als wir das, mit nackten Füßen auf dem nassen Holz hin und her glitschend, mühselig erledigt hatten, geriet hinterher das Floß in unsere Schiffsschraube und wurde in Splitter und Fetzen zermahlen. Und der Steuermann holte sich auf »Glückauf« seine »dicke Zigarre«, und wir wurden — es war ein freier Sonntag — mit Zimmerleuten nach Wilhelmshaven gesandt, um ein neues Floß dort herzustellen. Zwar halfen wir uns, indem wir im Hafen ein fertiges, nagelneues, irgendwo angeschlossenes Floß mit List und Kraft stahlen, und um die Zeit der Selbstherstellung vorzutäuschen, durften wir nun sogar noch drei Stunden an Land gehen.
Bei jedem Tod- und Teufelwetter schickte der Sperrkommandant unsere Nußschale herum, daß sogar die Lotsen manchmal den Kopf schüttelten. Wir mußten alle losen Dinge festbinden, Bö über Bö, Brecher über Brecher drangen auf uns ein, bis unsere derben Hände von der Nässe waschfrauenweich wurden und unsere Bärte mit einer Salzschicht bedeckt waren. Schon hatte der Sturm unsere Kriegsflagge und unsere Mützenbänder um ein Drittel ausgefranst. Dem Sperrkommandanten bereitete es eine offensichtliche Freude, Herrn Kaiser besonders schwierige Aufträge zu geben, denen »Blexen« eigentlich nicht gewachsen war. Er sträubte sich auch zähe dagegen, unser Schiff in die Werft zu entlassen, obwohl ihm gemeldet war, daß sich eine Stahlleine in dessen Schraube verwickelt hatte.
Es gab Strapazen, Verwickelungen, Enttäuschungen, Entbehrungen, Überraschungen, Freuden und Genüsse in Duodez.
Dafür, daß uns alle möglichen Aufträge schikanös aufgehalst wurden, entschädigten wir Mannschaften uns wenigstens insofern, als wir gelegentlich das eine oder andere Nützliche für uns stahlen, eine Leberwurst aus einer Massenproviantsendung oder ein gut verwendbares Brett oder einen Topf Farbe.
Es zog schauderhaft im Unteroffiziersraum; durch einen Ventilator blies mir der Wind nachts gerade auf die Schulter. Ich bekam Rheuma und Zahnschmerzen.
Eine Serie Taschentücher ward mir weggeweht, und daß Dichten nicht zum Hosenflicken paßt, merkte ich zu spät, nachdem ich meine Hose versehentlich nach außen gesäumt hatte.
Wenn ich von Zeit zu Zeit endlich wieder einmal an Land kam, fühlte ich mich einsam. Da war kein Mädchen, kein Freund, kein einigermaßen gütiger Mensch zu finden, kein Theater, kein Konzert, und ich freute mich beinahe dann, wieder in das enge Einfamilienhaus »Blexen« und in Regen, Sturm, Nässe, Kälte hinauszukommen.
Schöne Nacht. Der Komet stand noch immer am Himmel. Am Horizont stiegen weiße, rote und grüne Raketen auf. An Backbord und dem Eisendeck dröhnten Eichmüllers schlapsige Tritte, und an Steuerbord hörte man einen Heizer den Koch anlügen. Ich betrachtete im Ruderhaus ein brennendes Restchen Kerze; die oberste Stearinfläche mit ihren weißen Stalakmiten und Vertiefungen glich einer Polarlandschaft in Miniatur.
Wir brachten die stolze Botschaft von Land, daß U 9 drei englische Panzerkreuzer in Grund gebohrt hätte. Und am nächsten Mittag fuhr U 9 an uns vorüber. Der Kommandant von »Seeadler« ließ seine und unsere Mannschaften antreten, und wir brachten dem siegreichen Unterseeboot drei Hurras aus, die von drüben erwidert wurden. Auch die großen Schiffe empfingen das U-Boot mit Hurras und mit Musik, und wir sahen durch die Ferngläser, wie Admiral Lanz in einer Pinasse vom Flaggschiff nach U 9 fuhr und jedem Mann die Hand drückte. Ich pfropfte mir dabei das Maul mit Quarkkuchen voll, den ich in einem Liebespaket vorgefunden hatte. Aber er schmeckte mir nicht, ich war ganz krank vor Neid. Auch Lektüre hatte ich erhalten, so die Seeschlacht bei Tsushima, ferner »Jena oder Sedan«, ein Buch, gegen das ich voreingenommen war und das ich vorläufig einmal mit Steuermann Kaiser gegen ein Buch über den Kronprinzen eintauschte.
Der Obermaschinistenmaat erzählte eine wahre Geschichte aus seinem Vaterhause. Er hatte ein gefülltes Waschbecken in die Klosettöffnung gesetzt, das dort genau hineinpaßte, damit sich sein Bruder in der Dunkelheit hineinplazieren sollte. Und dann hatte sich aber statt des Bruders die alte Mutter des Obermaschinistenmaates in die Nässe vertieft.
Jessens Lieblingsbeschäftigung war das Deckwaschen. Wir packten ihm heimlich den Wasserschlauch in sein Bett.
Ich