Als Mariner im Krieg. Joachim Ringelnatz
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Wir hatten Anni geliebt und sie war uns eine sehr angenehme Abwechslung in der Monotonie da draußen gewesen. Diese Monotonie mußte Menschen, die wie wir so dicht und primitiv zusammenhausten, verderben. Wir wurden untereinander und zu Untergebenen von Tag zu Tag reizbarer und gehässiger. Man schikanierte von oben bis unten, und das lief wieder zurück wie der Schlag ans Hängetau.
Seit einiger Zeit war der Kommandant plötzlich sehr kühl zu mir. Ich bekam nicht heraus, weshalb.
Der Leutnant von Raichert kam an Bord. Zu mir! Ich sollte ihm innerhalb von drei Tagen ein Potpourrilied auf den Geburtstag des Kommandanten von Sperrschiff »Franz« dichten. Das Lied sollte von der »Glückauf«-Kapelle gespielt und von den Offizieren gesungen werden. Ich erhielt die entsprechenden Unterlagen. Das Geburtstagskind war ein fünfzigjähriger Leutnant, der älteste Leutnant in der Marine.
Ich konnte Herrn von Raichert das nicht abschlagen, aber ich war gerade so verbittert über die Öde des Dienstes, über die ungerechte Verteilung der Arbeit und über das kühle Verhalten des Steuermanns mir gegenüber. So saß ich denn abends müde und gallig in meiner Kabine und quälte mich mit dieser albernen Gelegenheitsdichtung ab. Aber meine zersprungenen Hände taten weh, und dann störte mich Jessen, indem er mir andauernd von der Schweinekartoffel »Präsident Krüger« vorschwärmte. Ich floh in die Lampenkammer, aber dort hockte schon Eichmüller, und der erzählte mir, in seiner nuschelnden, verdrossenen Sprechweise, er habe soeben geträumt, daß der Sperrkommandant für ihn Zeugwäsche gemacht habe. Und ob ich auch Wanzen habe, und ob ich wüßte, daß wir morgen zum Impfen müßten. Und ... und ... und.
Am nächsten Tag brachte ich das Gedicht doch zustande und lieferte es verabredeterweise an unseren Steuermann ab. Er bot mir eine Zigarre an. Da wagte ich die Frage, ob er eigentlich etwas gegen mich habe. Er antwortete nicht, war aber seitdem wieder freundlich zu mir.
Die Flotte war noch immer draußen. Gegen drei Uhr hörten wir lebhaftes Schießen, aber das konnte ja auch Manöver sein. Dann hieß es, ein Torpedoboot sei bei Schillig — also dort, wo »Glückauf« lag — auf unsere eigenen Minen gelaufen. Wir erhielten Befehl, sofort ein Sanitätsschiff durch die Sperre zu lotsen, konnten dann aber in dem dicken Nebel das Schiff nicht finden. Der Auftrag war ernst, es gab infolge unserer Aufregung ein Durcheinander. Dann kam uns der Befehl, langsam nach Schillig zu dampfen und nach treibenden Minen zu suchen, eventuell solche mit unserer Kanone abzuschießen. Geschütz klar. Wir fuhren los. Außer dem unten Dienst versehenden Personal stand alles an Deck, am Bug, auf der Brücke, einige in den Wanten. Wir spähten mit äußerst gespannten Augen in den Nebel. Dauernd wurde die Glocke geschlagen und in Sekundenabständen die Dampfpfeife gezogen, diese dicht hinter mir, so daß bei jedem ihrer stoßenden Töne irgendwelche Häute in meinem Kopf und in meinem Magen vibrierten.
»Da! — Drei Strich an Backbord!« War das eine Mine? — Nein, es war eine Matratze.
Tut! Tut! Kling! Kling! Kling! Von verschiedenen Seiten her erklang jetzt das Heulen von Torpedobootssirenen.
Da! — Wir fischten eine Korkweste auf. Sie war »Glückauf« gezeichnet. Bald darauf eine zweite, die gehörte zu einem Torpedoboot, vermutlich zu dem, das in die Luft geflogen war. Und nun sichteten wir viele schwimmende Korkwesten und Hängematten und ein Buch und Balken und Matratzen. Und das Wasser war von nun an mit einer Ölschicht bedeckt. Wir suchten diese Gegend ab, holten eine Mütze heraus, die ich an mich nahm, und die die Inschrift »S.M.S. Yorck« trug. »Yorck«? »Yorck« war ein großer Kreuzer. Aber Matrosen trugen manchmal noch ihre früheren oder geliehene Mützenbänder. Bald fischten wir weitere Mützen heraus, auf allen stand »Yorck«. Sollte »Yorck« verunglückt sein, das Schiff, auf das ich einmal kommen sollte und damals zu meinem Schmerz nicht kam?
Wir spähten und lauschten und verloren im Nebel die Orientierung, waren selbst in Minengefahr. Endlich tauchte »Glückauf« aus dem Nebel. Zwei Fahrzeuge und Beiboote lagen an seiner Seite. In einem Peilboot sahen wir Menschen an Deck, die nur mit Unterzeug bekleidet oder in Decken gehüllt waren, Gerettete. Wir fuhren längsseit von »Merkur«, auf dessen Deck es von Geretteten wimmelte. Die erzählten uns, die »Yorck« sei um zehn Uhr mit dem Bug auf eine Mine und unmittelbar danach mit dem Heck auf eine zweite Mine gestoßen, habe sich sofort auf die Seite gelegt und darauf ganz umgedreht, kieloberst. Die Matrosen waren gerade klar zum Ankern gewesen, so war es einem Teil gelungen, gegen die Wendung des Schiffes kletternd, sich auf die Kielfläche zu retten, die aus dem Wasser herausragte.
»Merkur« und »Saturn« hatten eine Menge Lebende, Verwundete und Tote aus dem Wasser gezogen. So war auch der Kommandant gerettet, dem es wohl sehr übel zumut sein mochte, zumal er — so erzählte man mir — schon einmal bei Helgoland ein Torpedoboot in Grund gefahren hatte. Auch der erste Offizier war gerettet. Ich sah ihn mit verbundener Hand an Deck stehen, ein jüngerer Offizier machte ihm die Hosenklappe zu.
Die Besatzung der »Yorck« betrug neunhundert Mann. Davon waren schätzungsweise fünfhundert tot — oder — Bald sahen wir das Wrack aus dem Nebel tauchen, ein gigantischer roter Walfischrücken, auf dem Leute von »Glückauf« und anderen Fahrzeugen kletterten. Die wollten Sprengstoff anbringen, ein Loch in den Rumpf sprengen, in dessen Innern vielleicht trotz der Gase, der Hitze, der Dämpfe und Brände noch Menschen lebten.
»Glückauf« hatte seine Flagge auf Halbmast gesetzt. Spät abends traf eine Werftbarkasse ein mit ernsten graubärtigen Zivilarbeitern, die sich Korkwesten angelegt hatten, und Bergungsgeräte, Schneidemaschinen usw. mitbrachten. »Vulkan« sollte diese Barkasse nach dem Wrack oder doch möglichst in dessen Nähe bringen. Das war nicht ungefährlich, da unser Boot zirka dreieinhalb Meter Tiefgang hatte. »Klarmachen zum Sterben!« rief Tünnes. Aber einige von uns benahmen sich wirklich sehr furchtsam. Obermaat Eibel hielt sich vorsichtig nur auf dem Hinterdeck auf.
Sämtliche herbeigeeilten Kriegsschiffe richteten ihre Scheinwerfer auf das Wrack, das sich in dieser Beleuchtung seltsam romantisch von der Dunkelheit abhob. Über der Gruppe von Arbeitern und Matrosen, die am Kiel arbeiteten, stand ein Lichtgebilde, das einem Regenbogen ähnelte, und die Boote, die von und nach dem Wrack verkehrten, gerieten bald in tiefste Schatten, bald in grellste Helle. In einem dieser Boote saß ein Admiral, daneben der Kommandant der »Yorck«, ein bleicher, verstörter Mann, der unser aller Mitleid erregte. Ein anderes Boot schaffte einen bewußtlosen Mann weg. Der war nicht etwa aus dem Rumpf herausgeholt, wie wir erst dachten, sondern es war ein Arbeiter, der nur einmal hineingeschaut hatte.
»Vulkan« wurde spät noch ausgeschickt, um ein Unterseeboot anzuhalten und dieses aufzufordern, seine Erkennungssignale zu geben. Der Kommandant des Unterseebootes fluchte nicht schlecht über unsre grünschnablige Nußschale, feuerte aber doch die verlangten bunten Raketen ab. Da wir dann gleich weiter, auf Position fuhren, ergaben sich für mich achtzehn Stunden ununterbrochenen Dienstes. —
Während ich an Land Proviant holte, fischte »Vulkan« eine Leiche auf, einen alten verheirateten Matrosen. Er hatte eine Korkweste um, konnte also nicht ertrunken sein, sondern war vermutlich in dem kalten Wasser erfroren. Weil er