Als Mariner im Krieg. Joachim Ringelnatz
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Als Mariner im Krieg - Joachim Ringelnatz страница 20
Der Kommandant, dem eine solche ausführliche Darstellung wohl etwas Neues war, machte ziemlich konfuse Einwendungen und suchte mich mit allgemeinen Worten zu beschwichtigen. Der Sperrkommandant sei ja im Grunde eigentlich ganz anderer Meinung. Unser Dienst sei hier trotz seiner Unansehnlichkeit viel aufreibender, verantwortungsvoller und gefährlicher, als ich mir das dächte.
Als wir uns mittags etwas aufs Ohr gehauen hatten, erfolgte eine tolle Detonation. Wir stürzten alle an Deck in der Meinung, auf eine Mine gelaufen zu sein. Aber es war nur in der Nähe eine Mine abgeschossen worden, und wir hatten unten die Schallwirkung unter Wasser besonders stark empfunden.
Draußen schien wieder dicke Luft zu sein. Torpedoflottillen liefen mit äußerster Kraft aus, ebenso »Pelikan«, der Minen an Deck bereitgestellt hatte.
Ich rauchte viel und nahm vierundzwanzig Stunden lang keine Nahrung zu mir, um recht blaß auszusehen; dann meldete ich mich beim Stabsarzt krank. Teils lügend, teils wahrheitsgemäß erzählte ich von Schwindelanfällen, krampfartigen Magenschmerzen und Flimmern vor den Augen. Der Stabsarzt war ein stiller, sympathischer Herr. Ich weiß nicht, wie es kam, daß ich, während er mich untersuchte, ihm plötzlich zuflüsterte: »Ich habe so viel Kummer.« Er wiederholte diese Worte leise und wie gerührt, was wiederum mich rührte. Aber er ordnete nicht an, daß ich von Bord in die Kaserne käme, wie ich erstrebt hatte, sondern verschrieb mir nur eine Medizin.
Der Dienstmann fragte mich nachts nach dem Namen eines Sternbildes, das gerade über uns stand. Das Kreuz des Südens log ich aus meiner Verlegenheit heraus, und weil Herr Binneweis — so hieß der Dienstmann — mir glaubte, so bezeichnete ich ihm weitere Gestirne mit glatt erfundenen Namen wie Plinius, Trinius, Merovinka.
Die »Hamburg« lief angeschossen ein.
Ich schrieb heimlich ein vier Folioseiten langes Gesuch an den Festungskommandanten von Wilhelmshaven. Das gab ich an Land bei seinem Feldwebel ab. Der sagte: »Nun, da wird Ihnen der hohe Herr wohl aufs Dach hageln.« Bei meiner Rückkehr wehte auf »Vulkan« der Offizierswimpel. Herr Kaiser war befördert. Ich gratulierte ihm.
Das erste Weihnachtspaket traf ein, von meinem Bruder Wolfgang. Die Punschessenz tranken wir unverdünnt aus. Bald folgten weitere Pakete von allen Seiten. Mehrere Tabakpfeifen, davon nannte ich die erste nach meiner Stimmung »Groll«. Zwei geschmückte Tannenbäumchen, Rollschinken, Pulswärmer, Pulswärmer, Pulswärmer, Äpfel, Nüsse, Zigaretten, Bonbons. Wir wußten in unserer engen Kabine nicht, wo wir die vielen Sachen und Kisten und Schachteln unterbringen sollten. Ich sandte einen Teil der Gaben an meine Freunde und Bekannten weiter, wobei ich einmal versehentlich jemandem sein eigenes Geschenk zurückschenkte. Auch verkaufte ich einiges an Bord, weil ich Geld benötigte. Für Eichhörnchen erstand ich einen schönen, präparierten Möwenbalg, und legte ein Gedicht dazu.
Als ich bei unserem neugebackenen Leutnant saß und die Proviantrechnungen addierte, fragte er plötzlich: »Sie haben wohl nicht viel Freude an dieser Arbeit?«
»Nein, Herr Leutnant!«
Heiliger Abend 1914. Nach dem Abendessen (Schweinskoteletts) löste ich den Matrosen der Brückenwache freiwillig ab, weil ich nicht an der Feier teilnehmen wollte. Wie alle Fahrzeuge, so hatte auch »Vulkan« sein Bäumchen und kleine Geschenke für jedermann. Der Leutnant war wegen der Bescherung etwas in Verlegenheit. Es war etwas knapp bei uns an Äpfeln, Nüssen und Grog, und er wußte nicht recht, ob er von sich aus etwas spendieren sollte, obwohl doch schon seine Beförderung ein Anlaß dazu gewesen wäre. Auch war er nicht der Mann, der eine Rede halten konnte.
Als die anderen achteraus gerufen wurden, feierte ich auf der Brücke allein mit Mond und Sternen. Das Wetter war kalt. Ich hatte meine beste Garnitur angezogen und trug die Brust frei. Und ich dachte innig all derer, die wahrscheinlich jetzt meiner gedachten.
Am Horizont sah man die Umrisse von Kriegsschiffen. Die Marine war heute besonders wachsam. Man rechnete damit, daß die Engländer, die deutsche Sentimentalität ausnutzend, zu Weihnachten etwas unternehmen würden. Vor dem sechsten Januar sollte auch niemand von uns beurlaubt werden.
Der Leutnant holte mich herunter zu den Kameraden, die um seinen großen Tisch saßen und ihre Päckchen schon geöffnet hatten. Er bedankte sich dafür, daß ich den Baum so schön geschmückt hätte und war überhaupt besonders liebenswürdig zu mir.
Anfangs kam gar keine Stimmung auf, erst der Grog und die Pfannkuchen brachten das zustande. Ich wurde genötigt, Mandoline zu spielen. Die anderen sangen dazu. Binneweis hielt eine fatal lange Rede, die mit Anzüglichkeiten gespickt war und an einer Stelle, da wir alle eine große Schweinerei erwarteten, plötzlich den Leutnant leben ließ. Dieser erwiderte etwas merkwürdig, aber wohlgemeint und ließ Seine Majestät leben, worauf es Binneweis drängte, sämtlichen deutschen Frauen ein Hoch auszubringen. Es wurden Anekdoten, Couplets und bedenkliche Witze vorgetragen. Der Hauptspaßmacher war Tünnes. Während alledem schwieg ich niedergeschlagen. Ich hatte gedacht, man würde mir eine günstige Antwort auf mein Gesuch bescheren, davon war nicht die Rede. So blieb ich auch bei diesem Feste dem Leutnant gegenüber streng militärisch. Ich stand zum Beispiel jedesmal stramm, wenn ich ihm ein Streichholz reichte. Auch Jessen schwieg den ganzen Abend über, aber nur, um seine Unmanierlichkeit nicht bloßzustellen, und weil er meistens fraß.
Der Witz ließ nach, der Grog war getrunken, wir gingen auseinander. Alle schüttelten sich die Hände und wünschten sich Fröhliche Weihnachten. Nur der Bauer Jessen legte sich schweigend schlafen. Obwohl auch ich müde war, schrieb ich doch noch Tagebuch. Aus Maulwurfs Tannenbäumchen tropfte heißes Wachs auf mein Papier.
Am ersten Feiertag hörte ich, wie der Kommandant sagte, es sei ein Seegefecht bei Helgoland im Gange. Ich benutzte meine Freizeit, um meine Schubfächer einmal gründlich zu säubern. Auf einmal erklang starker Geschützdonner. Gleichzeitig ertönte der Befehl: »Alles an Deck!«
Vier feindliche Flieger zeigten sich. S.M.S. »Seydlitz« hatte Schrapnellfeuer auf sie eröffnet. Wir machten unsere Kanone klar. Aber die feindlichen Flieger entschwanden rasch, und als deutsche Flugzeuge und ein Zeppelin zur Verfolgung erschienen, war es neblig geworden.
Der Leutnant war schlechter Laune. Er zankte sich wieder einmal öffentlich von Brücke zu Brücke mit dem Kommandanten von »Rotesand«.
Ich wurde auf »Glückauf« geholt, um das dortige Orchester mit meiner Mandoline zu verstärken. Das Konzert scheiterte aber an allgemeiner Verstimmung, sowohl der Instrumente wie der Leute. Ich tauschte mit den »Glückauf«-Maaten ausgelesene Bücher und erhielt dabei ein Ullsteinbuch »Anständige Frauen«, von Emil Marriot, das schenkte ich Binneweis.
Alles Tauwerk war eines Morgens bereift. Wenn man damit hantierte, wurden die Hände knüppelsteif. Das Deck war glatt beeist. Wir spähten fahrend nach »Luci Wrede« aus, die wir ablösen sollten. Sie lag dicht bei den Minen. Aber wir fanden sie im dicken Nebel nicht und wurden unruhig. »Fahrzeug voraus!« riefen drei Stimmen gleichzeitig. Ein gewaltiger Schiffskörper mit drei Schornsteinen tauchte dicht vor uns auf.
Wir konnten knapp noch abdrehen. Ein warnender Megaphonruf drang zu uns: »Fahrt verringern!« und der große Bruder war wieder im Nebel verschwunden. Nachts wurde ich in meiner Koje wie in einem Mixbecher herumgeschüttelt. Noch schlaftrunken, von einer Wand zur andern geworfen, zog ich mich möglichst warm und wasserdicht an. Als ich die Tür öffnete, donnerte draußen der Sturm, und schreckhafte Seen fegten über Deck.
Vier Stunden Wache im Orkan