Das blaue Mal. Hugo Bettauer

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Das blaue Mal - Hugo  Bettauer

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Whilcox, der den Augen Zellers gefolgt war, nickte: »Ja, von der Sorte haben wir genug hier! Von Jahr zu Jahr mehr farbiges Volk, das sich wie die Kaninchen vermehrt, während unsere Frauen gar keine Kinder oder höchstens eines haben.«

      »Macht sich dieser schwarze Zuwachs irgendwie unangenehm bemerkbar?«

      »Das gerade nicht, im Gegenteil, wenigstens fehlt es in den letzten Jahren bei der Ernte nicht an Hilfskräften. Und wir sorgen schon dafür, daß das Gesindel nicht aufmuckst! Unsere jungen Leute verstehen in dieser Hinsicht keinen Spaß.

      Erst vor ein paar Tagen war so ein schwarzer Haderlump von einem methodistischen Wanderprediger hier, um seinen Rassegenossen irgendeinen Schwindel von Gleichberechtigung vorzumachen. Na, bevor der Tag um war, wurde er geteert und gefedert und aus der Stadt gepeitscht!«

      Eine Wolke des Unmutes flog über das offene helle Gesicht Zellers. Er, der in der Pflanzenwelt die Berechtigung jedes lebenden Fädchens, die Entwicklung von Stufe zu Stufe, das Wachstum aus der Urzelle heraus sehen gelernt hatte, konnte Rassenvorurteile nicht verstehen, durchdrungen davon, daß alles auf der Welt seine tiefe Bedeutung, seine Berechtigung und vor allem die fast schrankenlose Entwicklungsfähigkeit hatte. Für ihn waren die Neger nur Menschen mit anderer Hautfarbe, aber durchaus nicht minderwertig, höchstens auf einer tieferen Zivilisationsstufe stehend, von der aus sie der weiße Gärtner mit Milde und Liebe heben könnte.

      Oberst Whilcox sah auf seine Uhr und schlug mit dem Reitstock dem Kutscher derb auf die Schulter: »Rasch, Sam, rasch, schlaf nicht ein.« Und zu Zeller gewandt: »Wir sind etwas verspätet und Mrs. Whilcox liebt es nicht, mit dem Essen zu warten.«

      Zeller lächelte unwillkürlich. Also war auch dieser hagere, sehnige Mann mit der gebieterischen Nase ein Pantoffelheld, wie fast alle Amerikaner. Und die Tatsache, daß hierzulande die gebildeten Leute von ihrer Frau nur per Frau So und So sprachen, erschien ihm bedeutungsvoll und durchaus keine leere Formsache. In Europa besaß man eben eine Frau, hier war man mit einer Dame verheiratet. – Ein frischer Abendwind blies, und der Wagen jagte jetzt zwischen endlosen Baumwollstauden dahin. Der Oberst deutete auf einen obeliskartigen Stein. »Bis hierher geht die Plantage meines Nachbarn Perkins, von da an bis zu meinem Haus gehört alles mir.«

      Kleine Blockhütten tauchten auf, aus denen sich Negerkinder und dicke schwammige Negermamas drängten. Unwillkürlich erinnerte sich Zeller der Geschichten aus der Sklavenzeit, und er zweifelte daran, ob sich im Kern viel geändert haben mochte. Die gut erhaltene Landstraße machte eine Kurve, die Pferde fielen in langsamen Trab. Da bot sich die Gelegenheit, eine vollbusig schwarze Frau und ein junges Mädchen, die beide vor einer Hütte standen, ganz nahe zu sehen. Ein Ausruf der Verwunderung entfuhr seinen Lippen: dieses Mädchen, halb Kind, halb Weib, war von einer eigenartigen Schönheit, die jeden Kenner gefangen nehmen mußte. Es war ersichtlicherweise keine Vollblutnegerin, sondern ein Mischling, die Hautfarbe mattbraun, und die bloßen Füße sowie die fast bis zu den Knien nackten Beinen von edelster Form, und aus dem schmalen Gesicht mit dem kleinen Mund, dessen Lippen voll, aber nicht wulstig waren, leuchteten große Augen, von langen, dichten Wimpern umschattet. Die Frau und ihre Tochter grüßten tief und ergeben, und ein baumlanger, schwarzer Kerl, der eben aus dem Garten hinzutrat, schwenkte ehrerbietig seinen Strohhut. Oberst Whilcox nickte kaum. Zeller hingegen dankte freundlich. Der Wagen flog in vollem Trab weiter und der deutsche Gelehrte fühlte förmlich, wie ihm das braune Kind nachsah. Er wollte an seinen Gastgeber eine Frage richten, dieser kam ihm aber zuvor und sagte nach rückwärts deutend:

      »Eine brave ordentliche Frau, die früher bei uns im Hause gearbeitet hat. Ihre Tochter ist ein auffallend hübsches Ding, natürlich irgendein weißer Mann der Vater. Mit dem Kerl, den die gute Bessie später geheiratet hat, hat sie ihre liebe Not. Ein fauler Galgenstrick, hinter den Weibern her, säuft wie ein Schwamm und prügelt seine Frau, die mir neulich weinend gestanden hat, daß sie ihre Tochter, die kleine Karola, die Sie eben gesehen haben, vor ihm hüten muß. – Na, schließlich gleichgültig, ob der oder ein anderer Strolch es sein wird ...«

      Zeller fühlte einen dumpfen Zorn in sich aufsteigen, den er aber mit Erfolg niederkämpfte. Andere Lebensauffassung, dachte er, ich muß erst in die Dinge hineinblicken, bevor ich hier Recht und Unrecht, Moral und Unmoral unterscheiden kann.

      Und nun fuhr der Wagen vor dem »großen Haus« vor, wie noch immer die Villen der Plantagenbesitzer im Gegensatz zu den Negerhäusern genannt werden. Weiß leuchtete ihnen der schöne, langgestreckte, aber nur einstöckige Bau entgegen. Eine mächtige Terrasse, die sogenannte »Porch«, getragen von schönen, schlanken Säulen, zog sich um das ganze Hochparterre des Steinbaues. Von der Terrasse aus führte das Hauptportal in die geräumige, kühle Halle, um die herum die Wohnräume, das Speisezimmer, die Bibliothek und verschiedene kleine Gesellschaftsräume lagen. Eine dunkelbraun gebeizte, mit Teppichen belegte Treppe führt in die im ersten Stock gelegenen Schlaf-, Gast- und Badezimmer, während vom Garten aus rückwärts ein paar Stufen hinabgingen in die Küche, in die Zimmer des Gesindes. Alle diese Landhäuser in den ganzen Vereinigten Staaten weisen fast dieselbe Anordnung und Bauart auf und divergieren nur durch das Material, aus dem sie erbaut sind, und ihre Größe. Das große Haus des Obersten Whilcox aber war ein wahrhaft fürstlicher Besitz aus schneeweißem Sandstein, behäbig und schlicht von außen, prunkvoll und gediegen von innen.

      Mrs. Harriett Whilcox, die Gattin des Baumwollpflanzers, empfing die Herren auf der Terrasse. Eine prachtvolle Erscheinung, die typische »American Beauty« der guten Gesellschaft, groß, schlank, gepflegt und körperlich kultiviert, mit allen Finessen der Toilettenkunst; die Abendtoilette war elegant und dabei doch einfach, aber für deutschen Geschmack zu viel Perlen und Diamanten in den kastanienbraunen, reichen Haaren, auf der tiefdekolletierten Büste, in den kleinen Ohren, an den langen, schmalen Fingern. Ein Bild, dachte Zeller, aber ein Bild ohne Gnade. Und er empfand, daß hinter dieser schneeweißen, fast zu hohen Stirne viel Eigenwille und jene Herrschsucht ruhen mochte, die den Amerikaner zum willfährigen Diener seiner Frau macht.

      »Mr. Whilcox hat mir viel von Ihnen erzählt, und es freut mich, Sie nun kennen zu lernen. Aber Henry hat wahrhaftig kein Erzählertalent, denn er hat Sie ganz falsch geschildert. Ich dachte einen würdigen deutschen Professor mit langem Bart und Brille bei mir als Gast zu haben, der überall einen Regenschirm stehen läßt und statt dessen – nun, ich will Ihnen kein Kompliment machen.«

      »Madame, Ihr Gatte hat mir von Ihnen fast nichts erzählt, aber ich habe geahnt, hier im Süden der Staaten die typische Vertreterin der nordischen Schönheit aus den Nordstaaten zu treffen, und meine Ahnung hat mich wahrhaftig nicht betrogen.«

      »Oh, wie reizend Sie einem den Hof machen können, Professor,« lachte sie.

      Nach diesem kleinen Wortgeplänkel begab sich Zeller auf das ihm angewiesene Zimmer, nahm blitzschnell ein kaltes Bad, das jede Müdigkeit verscheuchte, warf sich dann nach amerikanischer Sitte, die im Süden noch strenger beobachtet wird, als in den Nordstaaten, in Full Dreß und wurde von einem schwarzen Diener nach dem Speisesaal geleitet.

      Spät nachts lehnte der deutsche Botaniker noch an seinem Fenster und atmete mit weinschwerem Kopf die milde, weiche Frühlingsluft. Die vielen Eindrücke der letzten Wochen zogen an ihm vorbei und seine Gedanken blieben bei Frau Harriett Whilcox stehen, die bei der Verabschiedung ihre Hand sekundenlang in der seinen ruhen gelassen und ihn dabei aus ihren grauen, irisierenden Augen so seltsam durchdringend angesehen hatte. Siedend heiß stieg es in ihm auf. Er schüttelte das von sich ab. »Pfui – die Frau des Gastgebers! Man muß sich solch häßliche Gedanken aus dem Kopf schlagen, schon das Denken macht zum Lumpen.«

      Rudolf Zeller, der von den Geheimnissen und Untiefen des amerikanischen Flirts noch nicht die leiseste Ahnung hatte, schlief unruhig und träumte Seltsames: Die schöne Frau Harriett und das junge Negermädchen von vornhin standen vor ihm, die eine nahm die Perlenschnur von ihrem Hals und bot sie ihm, er aber griff nach einer Wiesenblume, die das schwarze Kind ihm reichte. Da schlug

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