Das blaue Mal. Hugo Bettauer
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Читать онлайн книгу Das blaue Mal - Hugo Bettauer страница 6
Zeller hatte das Mädchen bei der Hand genommen, und er erschrak fast, als sie seine Hand an ihre Lippen preßte und küßte, während sie leise sagte:
»O ja, Karola geht gerne mit Ihnen und will Sie an einen Platz führen, wo niemand hört und sieht.«
Silbern leuchtete der Mond herab, still und einsam war es ringsumher. Dem Gelehrten war es fast beklommen zumute, wie er so durch die glutvolle Nacht ging. Hand in Hand mit diesem schönen, schlanken Naturkind. Sein Blut geriet in Wallung. Wenn ich sie hier zwischen den Baumwollstauden an mich reiße und sie mir nehme, wie man eine rote Frucht vom Baume pflückt, niemand würde etwas daran finden, sie selbst vielleicht am allerwenigsten ... Wer weiß, wie viele vor mir schon waren, was für häßliche, schwarze Kerls, oder die Kollegeboys, denen die braune Schönheit doch sicher schon aufgefallen ist, oder am Ende gar der Strolch von einem Stiefvater, der ihr ja, wie Oberst Whilcox sagte, nachstellte. Eine wütende Eifersucht stieg in ihm auf, und heiser sagte er, während er sich zu ihr beugte:
»Hast du schon geliebt, Karola, hast du dich schon einem Manne geschenkt?«
Groß sah ihn das Mulattenmädchen an:
»Nein, Sir. Wenn einer von unseren Leuten mir nahe kommt, so kratz und spuck ich nach ihm, und vor den weißen Studenten verstecke ich mich. Ich rieche, wenn sie kommen, und laufe weg, bevor sie mich erwischen. Ich will auch nicht lieben, niemanden, keinen Menschen! Die dunklen nicht, weil sie dumm und häßlich sind, und die Weißen nicht, weil ich dann ein Baby bekomm, das nicht zu uns gehört und nicht zu den Weißen und so unglücklich ist wie Karola.«
»Bist du unglücklich, Karola, wirklich? Und warum eigentlich?«
»Ich möchte eine weiße Lady sein, Sir!«
In diesen Worten empfand Zeller die ganze Tragik des Mischlings, der sich von der weißen Rasse weggestoßen fühlt. Und unwillkürlich legte er den Arm um die Schulter des zum Weib erblühenden Kindes und empfand wohlig die süße Nacktheit des jungen Leibes, der mit nichts als mit Rock und Hemd bekleidet war. Karola aber wich nicht aus, sondern schmiegte sich wie eine Katze an ihn. Durch dichtes Buschwerk kamen sie in einen kleinen Wald, der aus Haselnußstauden, verkümmerten Eichen und hohen, dornigen Sträuchern gebildet wurde. Karola führte nun den Deutschen an der Hand, immer tiefer in die Wirrnis, bis sie laut und fröhlich ausrief:
»So, da ist meine Bank!«
Ein von Altersschwäche und Stürmen entwurzelter Baum lag hier auf solche Art, daß er wirklich eine Art Bank bildete, auf der sich bequem sitzen ließ. Zuerst saß Karola schweigend neben Zeller, dann sprang sie auf, stellte sich, in ein Gebüsch geschmiegt, daß er kaum ihre Konturen im Mondschein wahrnehmen konnte, vor ihm auf und begann mit zarter, klingender Stimme alte Negerweisen, zum Schlusse das schöne »Old folks at home« vorzusingen.
Zeller hatte die Augen geschlossen und lauschte, und er mußte in sich hineinlachen:
»Welch komische, anmaßende und unlogische Welt, in der wir leben! Wenn ich dieses schöne, braune Kind jetzt mit mir nach Berlin oder Wien nehmen, ein wenig ausbilden und in köstliche Gewänder hüllen würde, dann wäre sie die große Tagessensation! Fürsten und Millionäre würden um ihre Gunst wetteifern, alle Männer ihr zu Füßen liegen, und sie könnte ein Leben wie eine Königin führen. Hier aber ist sie ein elendes Mulattenmädel, an dem man allenfalls als weißer Mann die Begierde eines Augenblickes befriedigen darf, aber auch nicht mehr! Wehe, wenn mich die schöne Frau Harriett in dieser Situation auch nur ahnen würde! Um Freundschaft und Flirt wäre es geschehen!«
Karola saß wieder neben ihm, und so eng neben ihm, daß er ihren Leib an seinem Arm fühlte. Er schlang den Arm um ihren Hals, zog sie sanft an sich, bog ihren Kopf zurück und küßte ihre vollen, üppigen Lippen. Sie aber gab den Kuß zurück und strich zärtlich durch das blonde Haar des Mannes und flüsterte ihm ins Ohr:
»Karola hat den guten deutschen Mann gleich sehr lieb gehabt, wie sie ihn zum erstenmal sah ... und wenn er will, kann er sie ganz nehmen. – Aber niemand darf es erfahren, sonst wird Missis Whilcox sehr böse sein und mich umbringen.«
Da erwachte der Urdeutsche in ihm, der Beschützer und Helfer, und die Gier in ihm wandelte sich in väterliche Zärtlichkeit. Er streichelte sie, wie man ein kleines liebes Kind streichelt, und küßte sie auf die Augen, die sie selig schloß. Und er nahm das Geschenk nicht, das sie ihm geboten hatte.
Von da an schlich sich Zeller sehr oft nachts aus dem Hause, um in der Nähe von Sampsons Hütte die Melodie von »Old folks at home« zu pfeifen. Da dauerte es denn nur wenige Sekunden, und Karola hatte sich von dem Sack, auf dem sie in der Hütte schlief, erhoben und huschte lautlos hinaus zu Zeller, um Hand in Hand mit ihm in den wilden Hain zu gehen, wo sie beide, von einem dichten Moskitoschleier eng verhüllt auf dem gestorbenen Baum saßen. Zeller ließ sich dann oft von ihr erzählen von den Dingen, die sie von ihrer alten dicken Mutter wußte, welche ihre Mädchenzeit noch in der Sklaverei verbracht hatte. Er gewann so einen tiefen Eindruck in das traditionslose, dumpfe Leben dieser amerikanischen Neger, die man aus dem Urzustand heraus wie Tiere gefangen und verschleppt hatte, und immer fester wurde die Überzeugung in ihm, daß es Vorurteil war, die Neger als verächtliche niedrige Rasse zu betrachten. Ein Volk, in seiner Kindheit einfach, trotz jahrtausendalter Vergangenheit geschichtslos. Teig für alles, für das Schlechte und Gute, wie im Kinde alle Eigenschaften vereinigt, der Befruchtung und Entwicklung durch den weisen, gereiften Lehrmeister harrend. Dieser aber wollte seine Mission nicht erfüllen, sondern das entwurzelte Volk in ewiger Kindheit erhalten, und Zeller mußte unwillkürlich an die Gaukler und fahrenden Komödianten denken, die das Zirkuskind durch Alkohol im Wachstum hindern.
Es war abends nach dem Souper. Die Insassen des großen Hauses saßen mit ihren Gästen auf der Terrasse. Der Vollmond schien wieder, und die ganze Gesellschaft rüstete zu einem Ausflug, teils zu Pferd, teils zu Wagen, nach der etwa acht Meilen entfernten Besitzung eines Nachbarn, wo eine mitternächtliche Eisbowle bereitstand. Mit einem scheinbar harmlosen Lächeln wandte sich Frau Harriett, gerade als sie in den Sattel steigen wollte, zu Zeller, der ihr behilflich war:
»Eigentlich stört Sie unser Ausflug nur, Professor, denn er bringt Sie um Ihren nächtlichen Spaziergang.«
Zeller bekämpfte die Verlegenheit, die in ihm aufstieg, und er sagte leichthin:
»Oh, ist das also nicht unbekannt geblieben? Allerdings tut es mir sehr wohl, wenn ich nachts allein umherschlendere, um meine Gedanken zu sammeln. Es ist ja doch zu heiß, um früher als in den Morgenstunden einschlafen zu können.«
Grell und spitz lachte die Amerikanerin, während sie sich in den Sattel schwang:
»Ich fürchte nur, daß Ihnen in der Einsamkeit Übles widerfahren könnte. Vielleicht, daß Ihnen Neger nachschleichen.«
»Wie kommen Sie auf diese Vermutung?«
»Nun, ich habe Ihnen ja gesagt, daß ich den Nigger von weitem wittere, und Sie bringen seinen Geruch mit sich. Er haftet Ihnen noch morgens nach dem Bade an.«
Achselzuckend erklärte Zeller: »Das dürfte denn doch auf Einbildung beruhen,« und gab dem ihm sehr unangenehmen Gespräch eine andere Wendung.
Es wurde nun ein scharfer Trab eingeschlagen, während sich die Pferde des Wagens in die Zügel legten. Nach wenig mehr als einer Stunde war man vor dem Hause des Friedensrichters Oberst Stoddard angelangt, das durch Lampions festlich beleuchtet war. Es gab noch einen ausgiebigen, kalten Imbiß,