Das blaue Mal. Hugo Bettauer
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Die Nacht war heiß und schweigend. Karola schmiegte sich an den weißen Mann, der ihr in ihrem verwirrten Denken wie ein Heiland erschien. Das Blut begann in seinen Adern zu kochen, und seine heißen Hände liebkosten den heißen, jungfräulichen Körper des Mädchens aus einer anderen Welt, das mit leisem, girrendem Jubelruf die Weibwerbung durch den von ihr Vergötterten empfing.
Professor Zeller stieg, wie vor Monaten, so auch jetzt, in New York im Waldorf-Astoria, diesem damals größten und prunkvollsten Hotel der Welt, ab, während er für Karola Zimmer und Verpflegung bei der Familie eines schwarzen Methodisten-Geistlichen fand, dessen Gattin gegen die täglichen Besuche des deutschen Professors nichts einzuwenden hatte, sondern sich dadurch sogar recht geehrt fühlte. Ein Zusammenleben im Hotel oder in einer Pension war auch in New York ausgeschlossen, denn wenn dort, wie im Norden der Neger überhaupt, auch dieselbe Straßenbahn benutzen darf, von den Wohnstätten und dem Wohlleben des Weißen bleibt er wie im Süden ausgeschlossen. Die trennende Mauer ist niedriger, aber nicht weniger fest: Schwarz und Weiß, das ist hier kein Problem, sondern eine Tatsache, an der nichts gerüttelt wird.
Zeller überlegte die nächste Zusammenkunft. Er liebte das braune Kind mit allen Nerven. Wohl wußte er, daß es ihm keine Gefährtin im höheren Sinne sein konnte, aber er wollte und konnte es nicht mehr missen. In Karolas Umarmung verlor er alle Erdenschwere, an ihrer jungen Brust fand er die restloseste Auslösung, das vollkommenste sinnliche Glück. Und er wäre kein Europäer, vor allem kein Deutscher gewesen, wenn er sich nicht auch moralisch als mit Karola vorerst untrennbar verbunden gefühlt hätte. Was aber tun? In spätestens zwei Wochen mußte er nach Europa zurück, um die Professur in Wien anzutreten. Sollte er Karola mitnehmen, sie in Wien als eine Art Wundertierchen bewundern lassen und sich selbst in eine eigentümliche schiefe Stellung bringen? Oder mußte er sich von ihr losreißen und sie der Obhut ihrer Rassegenossen zurücklassen?
Konnte er dies tun, ohne Karola, die an ihm mit einer zärtlichen Hingabe, deren eine Europäerin kaum noch fähig war, hing, tödlich zu verwunden? Alle diese Fragen fanden eine überraschende Lösung. Die Zeitungen hatten Zellers Ankunft in New York registriert, Reporter ihn über seine Beobachtungen und Studien im Süden ausgefragt, eine große wissenschaftliche Vereinigung ernannte ihn zu ihrem Ehrenmitglied, und eines Tages, kaum zwei Wochen nach seiner Ankunft, erhielt er vom Direktorium der Columbia-Universität in New York den ehrenvollen Antrag einer hochdotierten Professur.
Das war Schicksalswille. Zeller raste zu dem Braunsteinhaus in der 48. Straße, in dem Karola wohnte, schwenkte sie wie eine Puppe in der Luft umher und jubelte:
»Karola, wir bleiben zusammen! Ein Jahr, zwei Jahre, viele Jahre!«
Und da sprach Karola schluchzend und lachend vor Glück die ersten deutschen Worte zu ihm:
»Ich danke dir und dem lieben Gott.«
New Yorker Weihnachten im Schneesturm. Frühmorgens war es noch so mild und warm gewesen, wie in Deutschland im Mai, mittags brach ein eisiger Frost herein, der zum Nachmittag einem regulären Blizzard Platz machte. In wenig mehr als einer halben Stunde war die Riesenstadt in eine nördliche Schneelandschaft verwandelt; die Straßenbahn zuerst, dann auch die Hochbahn mußte den Verkehr einstellen, ungeheure Schneemassen senkten sich vom Himmel herab und ein orkanartiger Nordsturm trieb sie den Passanten ins Gesicht, häufte sie auf der einen Straßenseite zu Bergen, daß die Haustüren nicht geöffnet werden konnten und die Einlaßbegehrenden buchstäblich bis zur Schulter im Schnee versanken.
Mühsam keuchte Professor Zeller den kurzen Weg von den weitläufigen Universitätsgebäuden bis zu dem kleinen Haus, das er beim Ende der Columbus Avenue gemietet hatte. Er war ehrlich empört über das Wetter, das er für unwissenschaftlich, deplaciert und gesetzwidrig erklärte. New York liegt auf einem Breitengrad mit Neapel, ist eine ausgesprochen südliche Stadt, außerdem gebührt dieser Gegend ozeanisches Klima – also wozu und woher im Sommer Tropenglut und im Winter sibirische Schneestürme? Aber es kamen noch andere Umstände dazu, ihn in grimmige Laune zu versetzen. Karola würde bei diesem Wetter den weiten Weg nicht zu ihm machen können, und es war nicht nur heiliger Abend, den er nach deutscher Weise im eigenen Heim unterm Tannenbaum feiern wollte, sondern auch noch Karolas sechzehnter Geburtstag! Zeller hatte den ganzen Tag an der Universitätsbibliothek verbracht, um die botanische Arbeit, auf die sein Verleger in Jena wartete, zu vollenden. Es war nun fünf geworden, und statt des erleuchteten Baumes, den Karola hätte putzen sollen, würden ihn dunkle Zimmer und das zwar gutmütige, aber reichlich dumme, alte Negerweib, das er zur Bedienung genommen hatte, erwarten.
Immer toller heulte der Sturm, wollte den Wanderer umwerfen, blendete ihn, schleuderte ihm Schneeklumpen gegen das Gesicht. Es war so finster, daß der Gelehrte nur mühsam sein Haus finden konnte, und vollends Akrobatenarbeit war es, die fünf Stufen, die zum Haustor führten, zu erklimmen. Aber schon umschlangen ihn die weichen Arme Karolas, schon stand er im warmen Salon, in dem der grüne Baum mit hundert Kerzen leuchtete. Das Mädchen hatte durch Sturm und Schnee den fünf Kilometer langen Weg erkämpft, den Baum geschmückt, die Kerzen angezündet, nebenan im Speisezimmer den Tisch festlich gedeckt, und nun stand sie in einem schwarzen schlichten Samtkleid, dessen Ausschnitt ihre schöne Büste halb enthüllte, vor ihm, und in das Braun ihrer Wangen trat leichte Röte, und sie blickte ihren Herrn und Meister aus den großen, dummen Augen bettelnd an.
Bescherung. Die alte schwarze Magd bekam Geld und Süßigkeiten und eine Kette aus bunten Steinen, die sie sich gewünscht hatte. Professor Zeller aber nahm aus Karolas Händen schöne, geschmackvolle Krawatten in sanft abgetönten Farben entgegen. Denn Karola hatte die Negerliebe zu Buntem, Grellem bald abgelegt, entwickelte einen fast spießbürgerlich einfachen Geschmack und duldete an ihren Kleidern kein Bunt.
Zeller eilte in ein anderes Zimmer und kam mit einer großen weißen Schachtel zurück, die er seiner Gefährtin reichte. Und als sie die Bänder gelöst und den Deckel gehoben hatte, da lag ein wundervoller Nerzmantel mit Muff und Kappe vor ihr. Karola jubelte, tanzte umher, schlüpfte in den Pelz, gab unartikulierte, girrende Laute, atavistische Töne aus dem dunklen Erdteile von sich, dann aber schmiegte sie sich an den Spender, küßte dem Widerstrebenden die Hände und sagte mit drolliger Aussprache und putziger Wichtigkeit:
»Rudolf, ich danke dich von ganzes Herzen, und werden dich lipp sein bis in allen Ewigkeiten!«
Zeller stand sprachlos und starr vor Staunen da.
»Karola, Mädel!« rief er jetzt ebenfalls auf Deutsch, »was ist los mit dir? Du sprichst ja Deutsch wie ein alter Reichstagsabgeordneter? Wer hat dir das beigebracht?«
Gerührt und beglückt erfuhr er nun, daß das Mulattenmädchen seit drei Monaten täglich mit Hilfe einer Lehrerin Deutsch gelernt und halbe Nächte lang sich bemüht hatte, sich zu vervollkommnen. Nun war sie schon so weit, daß sie die eine oder andere Geschichte aus der Staatszeitung lesen und sich halbwegs verständlich machen konnte.
Zeller zog sie auf seinen Schoß, küßte sie und sagte zärtlich:
»Karola, du liebes, süßes Kind du, das soll dir nicht vergessen werden. Wir bleiben auch zusammen bis zum Tode, nicht wahr?«
Es war ihm ernst darum, in diesem Augenblick hatte er endgültig den Entschluß gefaßt, sich von dem schwarzen Mädchen nicht mehr zu trennen.
Karola aber begann auf diese Eröffnung hin bitterlich zu weinen