Quitt. Theodor Fontane

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Quitt - Theodor  Fontane

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Morgen war prachtvoll, und der Heugeruch zog vom Feld her über den Weg. Aber dieser selbst, trotzdem es die große chaussierte Straße war, war noch wenig belebt, und erst als Siebenhaar, an der Untermühle vorbei, bis an die steile, zu den ersten Häusern von Krummhübel hinaufführende Berglehne gekommen war, war auch Leben da: die Schule war aus, und die flachsköpfige Jugend, Jungen und Mädchen, mit Mappen unterm Arm und auf dem Rücken, stürmten übermütig den Abhang hinunter. Aber mit einem Male Siebenhaars ansichtig werdend, hielten sie mitten im Jagen inne und grüßten und stürmten dann erst weiter. Dem alten Herrn lachte das Herz bei dieser Begegnung, und die Freude darüber erleichterte ihm den Aufstieg bis auf die Höhe, von der aus, bis weiter hinauf zum Exnerschen Gasthause, nur noch eine kleine Strecke war.

      Aber so klein sie war, so war sie doch bestimmt, ihm eine freundliche Überraschung zu bringen: eine Feuerwehrparade. Für gewöhnlich war diese, samt nachfolgender Mannschaftsübung, eine Sonn- und Feiertagssache, die Brückenberger Hochzeit aber, die gestern alles in Atem erhalten hatte, hatte diesmal eine Verlegung gefordert, und so kam es denn, daß Siebenhaar an einem Schauspiel teilnehmen konnte, das er seit Jahr und Tag nicht mehr gehabt hatte. Die Dorfgasse hinauf, hart an einem kleinen Rinnsal entlang, standen die Spritzen und Wasserwagen, aus deren Mitte hohe Leitern aufragten, während auf dem frei gebliebenen Straßenteil die Feuerwehr selber stand, dreigliedrig aufmarschiert, prächtige Gestalten in bayerischen Helmen und mit Musik am rechten Flügel. In Front seiner Mannschaften aber stand Exner junior aus der »Schneekoppe«, der, ein Jahr jünger als Lehnert, gleich nach dem Kriege bei den Görlitzern gedient und den Schneid und Pli dieser erlesenen Truppe weggekriegt hatte. Das, und mehr noch seine gesellschaftliche Stellung als Reichster und deshalb Erster im Dorf, hatte dafür Sorge getragen, daß ihm das Feuerwehrkommando wie selbstverständlich zugefallen war. Er war gekleidet wie der Rest der Mannschaften, roter Kragen und Aufschläge zu dunkelblauem Rock, trug aber die Galons und Achselbänder des Offiziers. Die von ihm abzunehmende Revue hatte just abgeschlossen, wie kaum gesagt zu werden braucht, »zu seiner besonderen Zufriedenheit«, und eben schien er den Befehl zum Abmarsch auf das mehr talwärts gelegene Dorf Steinseiffen zu, wo dann mit Leitern und Rettungsapparaten ein Scheinfeuer bekämpft werden sollte, geben zu wollen, als er, des alten Siebenhaar, seines Freundes und Lehrers, ansichtig werdend, sich plötzlich eines andern besann und »Stillgestanden … Rückwärts richt‘t euch … Präsentiert das Gewehr« kommandierte. Wie da die Griffe klappten; alles fuhr stramm zusammen, und unter Ehrenbezeigungen wie diese passierte der Alte die für ihn freigegebene Gasse. Nun erst nahm Exner sein ursprüngliches Kommando wieder auf: »Rechtsum … Feuerwehr, marsch«, und unter Trommelschlag und Querpfeife setzte sich der lange Zug bergab, auf Steinseiffen hin, in Bewegung. Aber eine kleine Strecke nur, dann schwiegen die Trommeln und Pfeifen, und Horn und Klapptuba stimmten statt ihrer eine militärische Musik an, und Becken und Pauke fielen ein. Siebenhaar, ein alter Burschenschafter, sah ihnen nach, und eine Träne stand in seinem Auge: »Wie dank ich dir, Gott, diese Tage noch erlebt zu haben«, und erst als die Kolonne seinem Blick entschwunden war, stieg er weiter hinauf auf den Exnerschen Gasthof zur »Schneekoppe« zu, woselbst er einen Imbiß nehmen und wegen der für den Amtsbruder zu mietenden Wohnung einige Erkundigungen bei der guten alten Frau Exner, der Mutter des Feuerwehrkommandanten, einziehen wollte.

      Selbstverständlich nahm Siebenhaar, als er sein vorläufiges Ziel erreicht hatte, seinen Platz in Front der Halle, just an der Stelle, wo sonst Espes und Lieutenant Kowalski zu sitzen pflegten. Der Garten war, der frühen Stunde halber, noch leer, und nur in der Siebenhaar zunächst befindlichen Laube standen, angesichts einer über den Tisch hin ausgebreiteten Karte, drei Touristen von eleganter und beinah weltmännischer Haltung, die trotz ihres prononciert sächsischen Dialekts unschwer erkennen ließen, daß sie viel »drüben« gewesen sein mußten, in England oder vielleicht gar in Amerika. Siebenhaar, wenn er nach der Seite hin schärfer zu beobachten gewußt hätte, würde sofort auf Chemnitzer oder doch mindestens auf Meeraner Industrielle geraten haben. Aber dergleichen Beobachtungen lagen ihm fern. Er sah nur nach der Laube hinüber und horchte neugierig auf den Gang der von nur zu deutlichen Stimmen geführten Unterhaltung. Einer der drei, der der Kritischste zu sein schien, unterzog – ein großes gelbes Kursbuch in der Hand – die von dem über die Karte gebeugten Hauptsprecher in einem fort vorgebrachten Zeit- und Ortsangaben einer beständigen Kontrolle, was den Reisestrategen, den »Mann der Karte«, natürlich sehr verdroß. Überhaupt schien die Stimmung nicht die beste zu sein, denn zwei junge hübsche Frauen, die mit zur Partie gehörten, sahen sich entweder unter ironischem Lächeln an oder schlugen ungeduldig die fünf Finger ihrer Hände ineinander. Es half ihnen aber nichts.

      »Ich denke also«, fuhr der Hauptsprecher und Kartenstratege fort, »wir gehen über das Gehänge. Führer brauchen wir nicht, denn wir haben eben die Karte. Hier läuft der Weg – ein bemerkenswert dicker Strich, alles klar und deutlich. Willst du so gut sein, Agnes, und dich durch den Augenschein überzeugen, daß er hier läuft. Bitte, Mathilde, tritt auch heran! Ich habe nicht Lust, mir nachher Vorwürfe machen zu lassen oder Anklagen zu hören über Nichtwegekenntnis und Verlaufen und Irrfahrten. Freilich, wenn die Schuhe drücken, so ist das eine Sache für sich, die mit dem Weg und der Führung nicht das geringste gemein hat. Auf Reisen sollten Eitelkeiten der Art aufhören. Denn enge Schuhe sind Eitelkeiten. Es ist jetzt elf Uhr fünf Minuten, wir müssen also spätestens drei Uhr fünfzehn Minuten oben sein. Schnitzel oder Koppen-Beefsteak, je nachdem. Ich rechne darauf vierzig Minuten. Aber sagen wir fünfundvierzig, was hoch gerechnet ist. Jedenfalls sind wir mit dem Glockenschlage vier auf der böhmischen Seite. Dann im Laufschritt bergab; Laufschritt, wenn die Terrainbeschaffenheit ihn irgendwie gestattet, ist bekanntlich bequemer und sicherer als ewige Vorsicht und Trippelei. Um sechs Uhr sind wir in Johannisbad und sieben Uhr fünf Minuten in Trautenau. Hier treffen wir den Zug und sind um Mitternacht in Prag.«

      »Der Zug von Trautenau geht aber schon sechs Uhr fünfundfünfzig«, sagte der mit dem Kursbuch, der auf diesen abzugebenden Zwischenschuß mit einer Art Schadenfreude gewartet zu haben schien.

      »Sieben Uhr fünf oder sechs Uhr fünfundfünfzig ist gleich. Eine Differenz von zehn Minuten ist keine Differenz; jedenfalls aber durch ein rascheres Tempo leicht einzubringen. Außerdem gehen von Johannisbad aus immer Retourwagen. Aber wenn auch nicht, mit Hilfe von …«

      Er kam nicht weiter in seinen Auseinandersetzungen, denn beide junge Frauen, welche die »ewige Rennerei« längst satt hatten, faßten sich in diesem Augenblick unter und traten ziemlich demonstrativ vom Tisch fort an den plätschernden Springbrunnen.

      »Ach, Mathilde«, sagte die eine, »wenn wir den doch mitnehmen könnten.« Und dabei stellte sie sich aufatmend in den Sprühregen. »Weißt du, daß ich hier bleiben möchte?«

      Die andere nickte.

      »Und was wohl die Kinder machen mögen?«

      »Ach die! Aber wir!«

      Siebentes Kapitel

      Siebenhaar war entzückt, ebenso von dem feierlichen Ernste, mit dem die Fehde zwischen dem Karten- und dem Kursbuchmann geführt wurde, wie von den kleinen Verstimmungen des verbleibenden Restes der Gesellschaft. Er sah denn auch, um diese Verstimmungen besser verfolgen zu können, eben neugierig nach dem Springbrunnen hinüber, auf dessen Rand sich die beiden Damen und mit ihnen der dritte, jüngere Herr (welcher der Unverheiratete der Partie zu sein schien) gesetzt hatten, als er, einigermaßen verlegen – weil es mit dem Weiterbeobachten nun natürlich vorbei sein mußte —, die gute Frau Exner auf sich zukommen sah, seine liebe, alte Freundin, die vor vierzig Jahren oder, was dasselbe sagen will, bald nach seinem Amtsantritte von ihm eingesegnet und zehn Jahre später getraut worden war. Sie nickte schon von weitem und setzte sich zu ihm, um eine kleine Plauderei mit ihm zu haben. Die machte sich denn auch – nur noch von einzelnen Streifblicken nach dem Springbrunnen hin begleitet – ebenso rasch wie gemütlich, und erst als eine Viertelstunde später die Touristen, Männlein und Weiblein, aufgebrochen waren, entsann sich Siebenhaar, mitten im Gespräch über die glänzende Vermögenslage des alten Zölfel, auch seines Amtsbruders, um dessentwillen er eigentlich gekommen war, und las nun aus dem

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