Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas. Balduin Mollhausen
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Am 5. November in der Frühe hielt die »Senator« kurze Zeit vor der Stadt Santa Barbara und ließ am Abend desselben Tages im Hafen von San Pedro den Anker fallen. Hier war es, wo Peacock, Egloffstein und ich uns von dem Rest unserer Gesellschaft trennen mußten. Wir blieben die Nacht über noch an Bord, ließen in der Frühe des folgenden Tages unsere Reiseeffekten in ein Boot schaffen, wechselten mit unseren nach San Diego reisenden Gefährten das bekannte: »Auf Wiedersehen am Colorado«, sprangen unseren Sachen nach, und in einigen Minuten befand ich mich am Strand auf derselben Stelle, wo ich mich im Jahre 1854, nach Zurücklegung einer langen und beschwerlichen Reise über den Kontinent, auf dem Dampfboot »Fremont« eingeschifft hatte.
Drittes Kapitel
San Pedro — Pueblo de los Angeles — Der Weinbau daselbst — Ankunft des Lieutenant Beale mit den Kamelen — Aufbruch von Pueblo de los Angeles — Die Mission San Fernando — General Pico — San-Fernando-Paß — Der texanische Grenzbewohner und seine Erzählung
So waren denn endlich die Seereisen überstanden; vor mir lag ein langer, langer Weg durch unbekannte Wildnisse; ich befand mich am Beginn eines Unternehmens, dessen Ende nicht abzusehen war, um so mehr, als zu jener Zeit die offenen Feindseligkeiten zwischen den Vereinigten Staaten und den Mormonen ausgebrochen waren und der Lauf des Colorado uns allmählich in das Utah-Gebiet führen mußte, wo wir nicht ahnen konnten, welcher Empfang uns von den Mormonen selbst und den ihnen verbündeten zahlreichen Indianerhorden zuteil werden würde. Gedanken dieser ernsten Art finden indessen keinen Raum in einer neu organisierten Expedition, indem die Neulinge zu sehr von jugendlichem, nicht überlegendem Enthusiasmus geleitet werden, diejenigen aber, welche mit dem Leben im Feld schon vertraut sind, auch den Reiz desselben kennengelernt haben — einen Reiz, der den rüstigen Mann immer von neuem hinaustreibt, um zu sehen und zu lernen, den Greis aber so gerne sich in die Erinnerung der Tage seines Reiselebens versenken läßt.
Es wurde uns nicht schwer, in San Pedro einige Wagen aufzutreiben, welche uns noch an demselben Tag nach Los Angeles brachten. Es ist keineswegs meine Absicht, hier Beschreibungen, die ich in meinem ersten Reisewerk»Tagebuch einer Reise vom Mississippi nach den Küsten der Südsee«, S. 448. gab, zu wiederholen; ich will nur die Verschiedenheit der Eindrücke hervorheben, die der Reisende empfängt, wenn er die ihm im Frühlingsschmuck bekannten Gegenden und Landschaften im anderen Gewand wiedersieht, und zwar aschgrau gefärbt infolge jahrelanger Dürre und der vorgerückten Jahreszeit. Ja wie eine traurige Wildnis dehnte sich die wellenförmige, einst so grüne und blumenreiche Ebene vor uns aus, als unser Wagen leicht auf der felsenfest getrockneten Straße dahinrollte. Versengte Vegetation und verkümmerte Viehherden starrten mir überall entgegen, und da, wo ich mich früher an den Seen über das muntere Treiben einer ganzen Vogelwelt freute, erblickte ich jetzt vielfach geborstenen, lettigen Boden, während in der Ferne die Mirage ihre trügerischen Gewässer ausbreitete und diese mit wunderlichen Figuren und Bäumen schmückte. Nahe der Stadt, wo Kanäle die Gärten und Äcker vielfach durchschnitten und dem Los-Angeles-Fluß sein Wasser zur Befeuchtung des Bodens entführten, da wurde das Auge wieder erquickt durch grüne Weingärten, durch Obst- und Weidenpflanzungen, in denen sich der Herbst erst spärlich durch rotbraune und gelbe Blätter bemerkbar gemacht hatte.
Das Dingen von Packknechten und Maultiertreibern (Koch und Diener waren uns schon in San Franzisko zugeteilt worden) erheischte einen viertägigen Aufenthalt ins Los Angeles. Denn wenn sich auch Leute in großer Anzahl zu unseren Diensten anboten, so mußten wir doch vorsichtig mit der Wahl unter denselben zu Werke gehen, um sicher zu sein, solche Arbeiter mit uns zu führen, die nicht die erste Gelegenheit ergreifen würden, während der Nacht mit einigen unserer Maultiere auf und davon zu gehen. Das Land wimmelte nämlich dort von Räubern, und erst kurz vor unserer Ankunft war es zwischen einer Räuberbande und der Miliz von Los Angeles zum offenen Kampf gekommen, in welchem zuerst der Anführer der Miliz erschossen, später aber die Räuber teils gehängt, teils versprengt wurden. In einer kalifornischen Stadt, in der das mexikanische Element noch vorherrschend ist, wird es dem Reisenden, den nicht Geschäftsbeziehungen an Ort und Leute fesseln, schwer, eine zusagende Unterhaltung zu finden. Zirkus und Wettrennen, wo der größte Teil der Geräusch und wilde Zerstreuungen liebenden Bevölkerung fast fortwährend versammelt war, dienten dazu, uns aus der Stadt zu vertreiben. Wenn uns daher die widerwärtigen Sand- und Staubstürme, die fast an jedem Nachmittag in der Richtung von der Küste her aufsprangen, den Aufenthalt im Freien nicht zu unangenehm machten, dann wanderten wir hinaus in die Weingärten, wo in der Entfernung von einigen Meilen Herr Fröhlich, ein deutscher Weingärtner, uns mit liebenswürdiger Gastfreundschaft erwartete und aufnahm. Derselbe zeigte uns alsdann seine großartigen Anlagen, belehrte uns über den dortigen Weinbau und bewirtete uns mit dem besten von ihm selbst gezogenen, aber in San Franzisko abgelagerten Wein. So herrliche Trauben man auch in der Umgebung von Los Angeles zieht, so ist doch allgemein wahrgenommen worden, daß der dort gekelterte Wein den Trauben nicht entspricht. Um nun dem Los-Angeles-Wein mehr Ruf auf den Märkten zu verschaffen, hatte Herr Fröhlich mit bestem Erfolg einen von ihm längst gehegten Plan in Ausführung gebracht. Er hat sich nämlich mit einem der besten Kellermeister in San Franzisko in Verbindung gesetzt und schickt alljährlich nicht nur den von ihm selbst gewonnenen, sondern auch den aufgekauften Wein, sobald es die erste Gärung erlaubt, in Segelschiffen hinauf nach San Franzisko. Dort muß er ein Jahr und darüber in guten Kellern liegen, ehe er für den Verkauf tauglich erklärt und zurück nach Los Angeles und anderen Städten verschifft wird. Ob nun den Seereisen, der Veränderung des Klimas oder den besseren Kellergewölben der gute Einfluß zuzuschreiben ist, wage ich nicht zu entscheiden; wohl aber entdeckte ich leicht den Unterschied zwischen den in Los Angeles und den in San Franzisko abgelagerten Weinen. Warum sollte ich es übrigens leugnen, daß ich manches Stündchen in der Gesellschaft meiner Kameraden »fröhlich mit dem Herrn Fröhlich«, wie wir scherzweise zu sagen pflegten, vor den vollen Fässern zubrachte? Es waren nur Stunden, doch gern erinnert man sich solcher in harmlosem, geselligem Zusammensein verlebter Stunden, die man, beschäftigt mit ernsten Aufgaben, der Zeit gleichsam entwenden muß. Ich erinnere mich noch recht oft des gastfreien Herrn Fröhlich; in Gedanken sehe ich ihn kniend auf seinen eisenbeschlagenen Fässern, ich sehe in seiner Hand den mit Rostflecken gezierten Heber und den goldenen Strahl, den wir so geschickt in unseren Gläsern aufzufangen wußten.
Am 9. November zur späten Nachmittagsstunde geriet ganz Los Angeles in Aufregung, denn herein ritten in der Richtung von San Bernardino her auf Kamelen und Dromedaren eine Anzahl wettergebräunter Gestalten, welche in ihrem Äußeren die unverkennbaren Spuren einer langen Reise durch unwirtliche Gegenden zeigten. — Es war Lieutenant Beale, früher zur Marine der Vereinigten Staaten gehörend, der auf Befehl seiner Regierung den ersten Versuch einer Reise auf dem afrikanischen »Schiff der Wüste« durch die amerikanischen Steppen und Gebirge unternommen hatte. Die Vorbereitungen zum Aufbruch nahmen unsere Zeit so sehr in Anspruch, und Lieutenant Beale hatte so viel mit