Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas. Balduin Mollhausen
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Die Zeit erlaubte mir nicht, in die Gärten hineinzugehen, doch gewahrte ich Palmen, Oliven- und Orangenbäume, deren grüne Kronen weit über die Adobemauern hinausragten, und zwar mit einer Üppigkeit, die in strengstem Widerspruch mit dem winterlich kalten Klima stand. Nie sah ich früher auf dem amerikanischen Kontinent den Tropen eigentümliche Bäume so weit nördlich gedeihen; freilich befinden sich bei Pueblo de los Angeles ansehnliche Orangenbaumpflanzungen, doch ist auch wieder zwischen diesem Ort und der Mission San Fernando ein Höhenunterschied von beinahe tausend Fuß (letztere befindet sich in einer Höhe von 1048 Fuß über dem Spiegel der Südsee), was in dieser Breite (34°20’ n. Br.) gewiß sehr bedeutenden Einfluß hat. Alexander von Humboldt hat indessen schon vor vielen Jahren den 34. Breitengrad auf dem amerikanischen Kontinent als die nördlichste Grenze der bisweilen vierzig Fuß hohen Chamaerops palmetto bezeichnet.
Die Mission San Fernando wurde im Jahre 1797 gegründet und zählte schon im Jahre 1802 gegen 600 Einwohner. Im Jahre 1838 besaß sie noch 14 000 Stück Rindvieh, 5000 Pferde und 7000 Schafe. Die jährliche Ernte betrug zirka 8000 Fanegas Korn, 200 Fässer Wein und Branntwein (Aguardiente), und damals, also fünf Jahre nach der allgemeinen Säkularisierung der Missionen Kaliforniens durch das mexikanische Gouvernement,»Tagebuch einer Reise vom Mississippi nach den Küsten der Südsee«, S. 446. befanden sich dieselben schon nicht mehr auf ihrem Glanzpunkt. Schneller noch verfiel das Missionswesen in den folgenden Jahren, und nur der aufopfernden Fürsorge des spanischen Missionars R.P. Blás Ordáz verdankte es die Mission San Fernando, daß sie im Jahre 1844 noch 400 Indianer, 1500 Stück Rindvieh, 400 Pferde und 2000 Stück Schafe zählte, bis sie dann endlich im Jahre 1849 als Staatseigentum an den mexikanischen General Pico verkauft wurde.
Gebäude und Gärten blieben zu unserer Rechten liegen, als wir der Straße folgend uns dem östlichen Gebirgszug näherten. Wir erreichten bald einen kleinen Fluß, an welchem der Weg uns aufwärts durch die erste Hügelkette in ein langes, schmales Tal führte, von dessen nördlichem Ende uns das Flüßchen entgegenrieselte. Einige vereinsamte mexikanische Häuser lagen zerstreut umher; kleine Vieh- und Schafherden weideten in verschiedenen Richtungen und verrieten die Anwesenheit von Menschen in dieser wilden Gegend. Am nördlichen Ende des Tals, wo die Berge sich dicht zusammendrängten, bog die Straße gegen Osten in den San-Fernando-Paß, der über die Susannah Range, eine der nördlichen Verlängerungen der San-Bernardino-Kette, führt. Wir stiegen ab, um die steile Höhe vor uns zu erklimmen, doch nur langsam vermochten uns die Tiere mit den erleichterten Wagen auf dem stark ansteigenden Weg zu folgen. Obgleich der höchste Punkt des Passes (1940 Fuß über dem Meeresspiegel) mit bedeutendem Kostenaufwand durchstochen worden ist, so konnten unsere Wagen doch nur durch Vorspannen von dort zufällig bereitstehenden Ochsen auf die Höhe hinaufgeschafft werden. Dieselben auf der andern Seite wieder hinunterzubringen, kostete fast noch mehr Vorsicht und Mühe, indem die Lasten, je nachdem die Sandsteinstraten mit festen Lehmlagen abwechselten, gleichsam von Stufe zu Stufe hart am Rand eines Abgrunds niedergleiten mußten.
Ich wartete nicht auf die Wagen, sondern meine Jagdgeräte ergreifend, folgte ich der Straße abwärts in eine breite, malerische Schlucht, wo im Schatten von Eichen, Platanen und Walnußbäumen zahlreiche Quellen aus dem steinigen Boden rieselnd sich zu einem Bach vereinigten, der in nördlicher Richtung dem Santa-Clara-Fluß zueilte. Große Scharen von gekrönten Rebhühnern schlüpften durch das dichte Unterholz und an den steilen Abhängen der Berge hinauf; ich folgte ihnen nach, und wenig auf die Umgebung achtend, befand ich mich plötzlich unvermutet vor einem eingefriedeten Gartenfeld, von dessen anderem Ende, halb versteckt von hohen Bäumen, mir ein an der Straße gelegenes Blockhaus entgegenschimmerte. Da die Ankunft der Wagen noch über zwei Stunden dauern mußte, so beschloß ich, bei den einsamen Ansiedlern — die, nach der Bauart des Hauses zu schließen, nur Amerikaner sein konnten — vorzusprechen und bei ihnen die Ankunft meiner Gefährten zu erwarten. Ich näherte mich der Hütte; mehrere große Hunde stürmten mir mit drohendem Gebell entgegen, doch wurden sie augenblicklich von zwei jungen, etwas wild aussehenden Burschen zurückgerufen, welche damit beschäftigt waren, die frische blutige Haut eines Grislybären zum Trocknen auszuspannen, während ein zweiter, gleich frischer Pelz in ihrer Nähe zusammengerollt auf der Erde lag. Die beiden Brüder, denn als solche erkannte ich sie auf den ersten Blick, reichten mir zum Gruß die fettigen Hände und luden mich ein, ins Haus zu treten und es mir vor dem Kaminfeuer bequem zu machen. Die Aufforderung war gewiß herzlich gemeint, denn eisigkalt heulte der rauhe Wind, begleitet von feinem Regen, durch die bewaldete Schlucht; ich zog es indessen vor, in der Gesellschaft der beiden Jäger zu bleiben, die mit ihren wettergebräunten und zugleich ehrlichen Gesichtern für mich eine so angenehme, wie in dieser Gegend seltene Erscheinung waren. Natürlich betraf unsere Unterhaltung fast ausschließlich die Jagd, und mit Interesse horchte ich auf die einfachen und zugleich scherzhaften Erzählungen der Brüder, wie sie ihre verschiedenen Kämpfe mit den Bären, ihr Verfolgen der Hirsche, Panther und Wölfe beschrieben.
Nachdem sie ihre Arbeit vollendet hatten, trat ich mit ihnen ins Haus, wo in dem einzigen Gemach, das durch die ganze Hütte reichte, ihr Vater, ein alter, ergrauter Mann, auf einer roh gezimmerten Bank vor dem Kaminfeuer saß und seinem kurzen Tonpfeifchen dichte Rauchwolken entlockte. Derselbe sprach abwechselnd zu seinen beiden jüngsten Söhnen, Knaben von 14 und 16 Jahren, von denen der ältere sich emsig bemühte, einen Feuerstein an das Schloß einer Büchse zu schrauben, der jüngere aber in Decken gehüllt in einem Winkel am Feuer lag und laute Klagen über heftige Schmerzen in seinem Knie ausstieß.
Ich vernahm noch die letzten Worte des Alten, der, den Rücken der Tür zugewandt, den Eintritt eines Fremden nicht bemerkte. »Ich sage dir, John«, sprach er in belehrendem Ton, »du kannst deine Hand noch nicht an einer wilden Katze oder einem Grisly versuchen, solange du noch den Fehler begehst, zwischen Stein und Schrauben einen Lappen anstatt eines Stückchens Leder zu klemmen. Sei ruhig, mein Sohn«, fuhr er in derselben Weise zu dem sich vor Schmerz krümmenden kranken Knaben fort, »sei ruhig, mein Knabe, es ist weiter nichts als ein Anfall von Rheumatismus, es sind die Folgen des Barfußlaufens; ich habe dir ja vorher gesagt, daß es so kommen würde. Da hängen deine Stiefel schon seit zwei Jahren und sind noch so gut wie neu, sie werden dir wohl schon zu eng geworden sein. — Ah, guten Tag, Fremder«, antwortete er mir jetzt auf meine Begrüßung, »laßt Euch nieder; John, gib mir die Flasche und ein Glas!« Mit diesen Worten reichte er mir seine schwielige Hand und rückte etwas zur Seite, um mir einen Platz auf der Bank vor dem Feuer einzuräumen. Absichtlich beschreibe ich umständlich, vielleicht zu umständlich, kleine Szenen wie diese, doch der