Der Sohn des Gaucho. Franz Treller
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Читать онлайн книгу Der Sohn des Gaucho - Franz Treller страница 6
»Ich bin hier geboren und habe die Estancia nie verlassen«, sagte die Alte.
Gut! dachte Pati, und laut sagte er: »So habt ihr gewiß einen gütigen Herrn?«
Die Negerin duckte sich unwillkürlich; sie warf einen scheuen Blick auf den Mann mit dem Goldhaar. »Wir dürfen nicht klagen«, sagte sie schließlich leise, »aber wollte Gott, Don Fernando wäre noch am Leben!«
»War das der Vater des jetzigen Herrn?«
Die Negerin schüttelte den Kopf. »Nein, sein Bruder. Er lebt nicht mehr. Sie leben alle nicht mehr. Auch Doña Maria nicht und die beiden Lieblinge.«
»Oh«, schaltete sich der Gaucho ein, »die ganze Familie? Ein Fieber hat sie hinweggerafft?«
Wieder schüttelte die Alte den Kopf. »Nein«, sagte sie, »es war anders. Don Fernando starb auf der Jagd; ein Jaguar hat ihn zerrissen.« »Und Doña Maria?« »O Gott!« Sie schlug die Hände vor das Gesicht. »Die heilige Jungfrau sei ihr gnädig! Ihr und den beiden Kleinen!«
Die Männer schwiegen, sie sahen sich verstohlen an. Die Alte aber, wohl durch Patis Geplauder im Negeridiom zutraulich gemacht, sagte gedämpften Tones: »Ihr seid Fremde. Ihr könnt nicht wissen, was hier vor zwei Jahren geschehen ist. Mörder sind über den Parana gekommen. Sie haben Doña Maria und die Kinder und viele Leute erschlagen, auch meinen Sohn.« Der Jammer kam mit der Erinnerung über sie, sie barg den Kopf in der Schürze, ihre alten Schultern zuckten.
Also doch! dachte Don Juan. Laut sagte er: »Das ist entsetzlich, Madrecilla. Über den Fluß, sagt Ihr, sind die Räuber gekommen?«
»Ja, über den Fluß. Räuber und Mörder!«
»Und ihr wehrtet euch nicht?«
»O doch! O gewiß!« sagte die Alte. »Die Männer haben gekämpft; alle. Auch mein Sohn. Sie liebten Doña Maria und die Kleinen. Cesar hat viele Räuber erschlagen. Aber sie hatten eine Menge Flinten und die unseren nur wenige. Sie wurden alle erschossen. Auch Cesar, mein armer Cesar. Er hat die Herrin bis zuletzt mit seinem Leibe gedeckt. Dann haben sie das Castillo verbrannt; es ist wieder aufgebaut. Oh, es war schrecklich, Señores!«
»Und nicht einmal die unschuldigen Kinder wurden von den Mördern geschont?« fragte der Gaucho. Die Alte warf ihm einen scheuen Blick zu, sie wiegte den Kopf hin und her.
»Sie waren die Erben der großen Besitzung?«
Die Negerin hob den Kopf und sah Juan scharf an; in dessen Antlitz war nichts als ernste Teilnahme zu lesen. »Ja«, sagte sie langsam, »Don Carlos und Don Aurelio waren die Erben von Bellavista.«
»Das nunmehr also ihrem Onkel gehört; sagtet Ihr nicht so?«
»Ja. Don Francisco de Salis, der Bruder Don Fernandos, ist jetzt unser Herr.« Wieder zeigten ihre Augen den scheuen, fast gehetzten Ausdruck. Sie sagte leise, sich mehr an Pati als an Don Juan wendend: »Manche Leute glauben, daß die Kinder noch leben – oh, die armen Kinder!«
»Sagtet Ihr nicht, sie wären mit der Mutter erschlagen?«
Die Alte wiegte wieder den Kopf. »Ich habe es nicht gesehen«, sagte sie. »Aber andere wollen gesehen haben, daß der Majordomo mit dem Ältesten davongeritten ist, als das Haus brannte. Den Kleinsten nahm die Mutter mit hinaus auf den Parana – man hat nie wieder von ihnen gehört. Don Francisco hat suchen und suchen lassen, am Strom, in den Wäldern, auf den Pampas. Die Leiche des Majordomo hat man schließlich gefunden, weit von hier, nicht aber den Jungen, mit dem er fortgeritten war.« Sie schwieg eine Weile und fuhr dann mit kläglicher Stimme fort: »Mein Mann und ich sind fast die einzigen, die jene Nacht erlebten; alle anderen sind tot oder von Don Francisco fortgeschickt worden.«
So ist das also! dachte Don Juan, Pati hat sich nicht geirrt.
»Das alles ist schlimm, Madrecilla«, sagte er laut, »doch Gott ist gütig und gerecht. Vielleicht hat Don Francisco noch die Freude, die Kinder seines Bruders eines Tages lebend wiederzufinden.«
»Gott verhüte es!« brach es unwillkürlich aus der Alten heraus. »Es wäre ihr sicherer Tod!« Gleich darauf schlug sie sich vor den Mund; ihr Gesicht nahm eine graugelbe Tönung an; sie zitterte. »Señores«, stammelte sie, »Señores – —.« Pati legte ihr die Hand auf die Schulter und sah sie treuherzig an; er sprach ein paar Worte im Negerdialekt. Die Frau beruhigte sich langsam.
»Der Señor de Salis scheint ein sehr mächtiger Herr zu sein!« sagte der Gaucho betont.
»Das ist er gewiß, Señor, das ist er gewiß«, stammelte die Alte; sie hatte die Augen eines gehetzten Tieres. »Bleiben die Señores über Nacht hier?« fragte sie.
»Nein«, sagte der Gaucho, »im Gegenteil, wir wollen gleich weiter, um heute noch, wenn auch erst sehr spät, Santa Fé zu erreichen.« Damit erhob er sich, und Pati folgte seinem Beispiel. Die Alte, zur Veranda hinausblickend, sagte: »Da kommt mein Mann, wartet solange. Er wird sich freuen, euch noch begrüßen zu können.«
Ein alter Neger kam von den Feldern heim; er sah noch kräftig und rüstig aus und trug eine Schaufel über der Schulter. Er grüßte schon aus einiger Entfernung mit seinem Strohhut. Im Augenblick, da er vor der Veranda ankam, ertönte der scharfe Hufschlag eines herangaloppierenden Pferdes. Eine gellende, jugendliche Stimme schrie: »Steh, alter Halunke! Ich habe mit dir zu reden.« Der Gaucho und Pati sahen: ein etwa vierzehn-, fünfzehnjähriger Junge, reich gekleidet, kam auf schäumendem Pferd herangesprengt; dicht vor dem Neger parierte er sein Tier, er hätte den Alten beinahe über den Haufen geritten.
»Madre de Dios, Don Agostino!« schrie der Alte und sah entsetzt zu dem Burschen auf.
»Was hatte ich dir befohlen, schwarze Kanaille!« schrie der Junge. »Solltest du nicht mein Kanu herrichten? Habe ich dir das nicht gesagt?«
Man sah, daß der Neger zitterte. »Gewiß, Euer Gnaden«, stammelte er, »gewiß habt Ihr es mir befohlen. Aber der Majordomo hat mich zur Arbeit aufs Feld geschickt, trotzdem ich ihm sagte, was der gnädige Herr mir befohlen hatte. Ich mußte gehorchen, Euer Gnaden!«
»Mir hast du zu gehorchen, mir!« schrie der Junge mit wutflammendem Gesicht. Und die Reitpeitsche, die er in der Hand trug, sauste mehrmals auf den entblößten Kopf, das Gesicht und die Schultern des alten Negers herab, dessen Stirn sich blutig färbte.
»Misericordia, Don Agostino, por la santissima madre, misericordia!« stöhnte die Alte auf der Veranda und schlug die Hände vor das Gesicht.
Die Augen Patis begannen zornig zu funkeln; man sah seinem Gesicht an, daß er dicht vor einem gefährlichen Wutausbruch stand.
Juan kannte seinen Gefährten und wußte, was er in der Wut anzurichten imstande war; er legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. »Vorsicht! Ruhe, Pati!« flüsterte er, »wir sind hier allein unter Jaguaren.« Er schritt die Stufen der Veranda hinab und ging auf den Jungen zu. »Haltet Ihr es für eine würdige Handlung, einen alten Neger zu schlagen?« fragte er scharf.
Der Knabe sah überrascht auf den Gaucho, er sah dahinter die stämmige Gestalt Patis auftauchen. »Zarapeto!« brüllte er Don Juan an, »wer bist du, daß du es wagst, mich anzureden? Willst du meine Peitsche fühlen?«
»Ich würde dir das nicht raten, mein Junge«, sagte der Gaucho, »bisher hat dergleichen noch keiner ungestraft gewagt.«
»Cochinos!« schrie der Bursche auf dem Pferd. »Wer seid Ihr? Wollt Ihr