Seefahrt ist not!. Gorch Fock
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Читать онлайн книгу Seefahrt ist not! - Gorch Fock страница 9
Nachmittags standen sie dann im Sonnenschein auf dem Ewer, der schon in seiner großen Wake trieb: Schiffer, Knecht, Junge, Spielvogel und Hund.
Hein Mück pumpte noch etwas, bis die Pumpe röchelte, und Störtebeker drängte das Ruder von Backbord nach Steuerbord und von Steuerbord nach Backbord, als habe er wirklich zu steuern. Klaus Mewes und Kap Horn aber schleppten die beiden schweren Trossen über das Eis.
Da kamen sie vom Deich herunter und über das Eis gegangen, die Seefischer, die Wattfischer, die Lütjfischer, die Frachtschipper, es kamen der Gastwirt, der Reepschläger, der Blockmacher, der Krämer und der Segelmacher, weit über hundert Mann, alle in großen Stiefeln steckend, laut lachend und sprechend, in Gruppen und einzeln. Und die gewaltige Schar versammelte sich um den Ewer, einigte sich über den Weg, den sie nehmen wollte, und verteilte sich auf die beiden langen Kurrleinen. Alles Görenzeug lief und rannte auf den Schallen umher, und oben auf dem Deich standen die Frauen und Mädchen und guckten und warteten. Am Bollwerk und auf den Schallen aber lag die Menge der Fahrzeuge, denen der große Tag die Freiheit bringen sollte. Die vergoldeten Flögel blinkten im Sonnenschein, und in den Klüsenaugen leuchtete es vor Hoffnung.
Der große Tag – der größte Tag der Finkenwärder Fischerei, an dem sich die Mächtigkeit ihrer Flotte, die Stärke ihrer Mannschaft, die Brüderlichkeit und Hilfsbereitschaft ihrer Fahrensleute am besten bewies. Allen, die ihn erlebt haben, die den großen Triumphzug vom Bollwerk bis an das weit entfernte Fahrwasser gesehen haben, hat er sich unauslöschlich eingeprägt. Nicht wahr, du Finkenwärder: Up den Dag kannst du di ok noch besinnen?
Es kamen immer noch mehr Fahrensleute über das Eis; alle wollten helfen, alle wollten dabeisein! Nun waren der Hilfsleute genug. Klaus Mewes stand am Steven wie ein König und grölte, die Leinen müßten noch weiter auseinander. Als das getan war, rief er über das Eis, so laut er konnte: »All klor! Een, twee, dree: allemann inne Gangen! Huroh! Huroh! Huroh!«
Da sprang Kap Horn ans Ruder und warf es herum. Die Fahrensleute aber setzten sich mit Huroh und Jümmerbeterbi und Hödjihöh in Bewegung und zogen die Leinen steif. Der Ewer kam in Fahrt und schoß durch das offene Wasser, dann krachte und knackte er gegen das Eis, zerbrach es, schob es zur Seite, drückte es unter sich, bäumte sich auf, senkte sich wieder, kam aber dann zum Stehen und blieb vor einem Eisberg sitzen! Doch ein schönes Stück war schon bewältigt.
Störtebeker sprang wie ein Wiesel, hüpfte wie ein Heister, wie ein Wippsteert auf dem Ewer umher. Als aber das Brechen losging, stand er neben seinem Vater, der unermüdlich anfeuerte, und hielt sich am Vorderpoller fest. Das war was für ihn. »Junge, Junge, Vadder, so geiht he god.«
Stoppi – stoppi…
Nun mußte ein Tau achteraus geschoren werden, und sie mußten den Ewer ein Stück rückwärts ziehen, damit sie Anlaufraum gewannen. Klaus Mewes und seine Leute gingen mit Haken daran, die Schollen vor dem Bug zu entfernen.
Kord Külper aber, der spaßige, der Ontjekolontje hieß (er hatte aus dem bremischen Dreimaster, der mit Stückgut nach Valparaiso wollte und auf Scharhörn strandete, eine ganze Kiste Kölnisch Wasser – Eau de Cologne – erbeutet und bespritzte seitdem Taschentuch und Südwester, Buscherrump und Ölbüx damit, wie behauptet wurde, jedenfalls aber roch alles an ihm nach Ontjekolontje), Kord Külper kam heran und rief: »Klaus Störtebeker mütt no achtern gohn, anners speel ik ne mihr mit. De drückt dat Fohrtüch vör to deep dol.«
»Deit he ok!« riefen einige Knechte zur Bekräftigung.
Da trat Störtebeker schweigend ab, wie Wallenstein auf dem Reichstag zu Regensburg, ging langsam zum Heck und stellte sich neben Kap Horn ans Ruder, damit der Ewer den Steven höher höbe.
Und Jan Kröger, der laute, kam über das Eis und sagte zu Klaus Mewes: »Klaus, du büst en fixen Kirl bi de Klütjenpann, dat weet wi all. Du weest, wat vör und achter is annen Schipp und büst vörn doden Kiwitt ne bang. Ober dat Grölen, weest du, dat Bölken, versteihst du, dat andrieben, hürst du, dat Beterbi, mien Jung, dat hest du doch noch ne rut! Dat mütt ganz anners rutflegen! Ik kann grölen. Lot mi dor mol stohn un kommandieren!«
Klaus Mewes aber lachte: »Hier kummandier ik, Jan, dat weest du woll; blief du man anne Kurrlien!«
»Egenbuck!« rief Jan laut und ging an seinen Törn.
Dann erhob Klaus Mewes wieder Arm und Stimme, und alle zogen an.
»Huroh! Togliek! Hödjihöh!«
So rief es auf dem Ewer, so rief es auf den Schallen, so rief es vom Deich, und das Fahrzeug gnosterte wieder durch das Eis und brach den Weg weiter. Zwei Ewerlängen wurden gemeistert, dafür mußten aber auch drei Mann ausscheiden, die eingebrochen waren: Jakob Walroß, der eigentlich Jakob Witt hieß und seinen Spitznamen von seinem herunterhängenden, borstigen Schnurrbart hatte, und Hein Mewes, den sie Hein Lompdom nannten, weil er einmal geantwortet hatte, als ein Altenwerder ihn fragte, wie es auf Finkenwärder ginge: Och dat weest woll, Siem Achner, jümmer lompdom, lompdom! Der dritte aber war Störtebeker. Er hatte sich den kleinen Haken hergekriegt und die Eisschollen mit weggeschoben. Dabei war er über Bord gefallen und wäre beinahe unter das Eis gekommen, wenn Kap Horn ihn nicht noch mit dem Haken erwischt hätte. Er zog ihn wie einen Seehund an Deck, und nun war die Herrlichkeit aus. Klaus Mewes ging mit seinem Jungen nach unten, zog ihn aus, hängte das nasse Zeug an den Ofen und steckte den nackten Mann in seine Koje. Dann mußte er wieder hinauf, denn das Eisen war schon wieder in vollem Gange. Er schickte aber Hein Mück, der Feuer machen mußte, damit er trockne. Oben rief es wieder von allen Seiten, am Bug scheuerte und stieß das Eis, dann donnerte und krachte es, als bräche der Ewer in Stücke. Hein Mück sagte: »Och wat, dat Für will woll van sülben inne Gangen kommen!« und rannte die Treppe hinauf, zu sehen und zu helfen.
Klaus Störtebeker blieb allein in der Kajüte und horchte auf den Lärm. Nun treckten sie wieder, nun mußte der Ewer erst wieder über Steuer. »Bang dött ik ne warrn, anners komm ik ne mit no See«, sagte er vor sich hin, wenn das furchtbare Poltern wieder anfing. Mitunter stand er auf und befühlte das Zeug, ob es noch nicht trocken wäre, dann kroch er frierend wieder unter die Decke und horchte abermals.
Oder er guckte die goldenen Sprüche an, die unter den Kojen eingeschnitzt waren.
Was für Sprüche waren das?
Wer im Altonaer Museum gewesen ist und die Ausstellung des Deutschen Seefischerei-Vereins gesehen hat, der hat auch in die puppenküchenenge Kombüse des Blankeneser Fischerewers aus den sechziger Jahren hineingeguckt und die Sprüche gelesen, die darin stehen. Unter der Schifferkoje: In Storm un Noth / Bewahr uns Gott. Unter der Knechtskoje: Hier eben öber hin / Is beter as op den Bünn. Unter der Jungenkoje: Hüt Klüt un morgen Fisch / Vergnögt gaht wi to Disch. Und er hat sich wohl gefragt, ob auch die anderen Fischerfahrzeuge sich solcher Zier erfreuten.
Sie taten es. Wie jedes alte Bauernhaus seinen Segen trug, so hatten auch die Ewer ihre Sprüche, köstliche Bibelverse zumeist.
Bei Klaus Mewes stand unter der Koje des Knechtes sogar ein lateinisches Wort: Mediis tranquillus in undis.
Und das war so gekommen: Als Klaus das Fahrzeug bauen ließ, bei Jochen Behrens an der Süderelbe, der ein gutes Stück der Flotte gezimmert hatte, dachte er selbst viel über einen Bordsegen nach, blätterte die Bibel und das Gesangbuch durch und zerbrach sich den Kopf, aber er konnte nichts finden, das ihm gut genug war. Da ging er denn eines Tages, als er wieder nach der Werft wollte, beim Pastor vorbei und fragte den. Bodemann, der schon manchem Fischermann geraten hatte, mußte etwas wissen.
Nun hatte dieser aber gerade einen Auszug aus dem Borkumer Kirchenbuch über eine angeschwemmte Finkenwärder