Ardistan und Dschirnistan I. Karl May
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Читать онлайн книгу Ardistan und Dschirnistan I - Karl May страница 21
Ich habe schon angedeutet, daß ich unter dem mehrfach erwähnten Gefängnis einen Baum verstand, an den ich den Scheik binden wollte. Ich sah einen hierzu passenden in der Nähe. Aus einem Gebüsch von Tamarix gallica erhob sich eine hohe Pappel von der Art Populus euphratica. Die war fest, und das Gebüsch bildete einen dichten Schirm, hinter den ich meinen Gefangenen verschwinden lassen konnte, ohne daß er zu sehen war.
Als wir die Stelle erreichten, hielt ich an, stieg vom Pferde und führte den Scheik durch das Gesträuch hindurch bis zur Pappel.
»Lehne Dich an den Stamm, aber recht fest!« forderte ich ihn auf.
»Warum?« fragte er.
»Ich muß Dich anbinden.«
»Gehört das auch noch mit dazu?«
»Ja.«
»So tue es!«
Er lehnte sich, um es mir möglichst bequem zu machen, so fest wie möglich an die Pappel und sah ganz ruhig zu, daß ich erst seine eigenen Riemen und dann auch meinen Lasso dazu benutzte, ihn so an den Stamm zu befestigen, daß es ihm nur mit fremder Hilfe möglich war, wieder loszukommen. Dabei sagte er treuherzig:
»Ich sehe aber ganz und gar nicht ein, warum Du mich hier an diese alte Pappel bindest. Wenn Du die Zeit hier verschwendest, wie lange soll es da dauern, bis wir an das Gefängnis kommen, welches Du mir versprochen hast?«
»Gar nicht mehr dauert es,« antwortete ich. »Wir sind schon da.«
»Schon da? Wieso?« fragte er erstaunt, indem er um sich schaute.
»Diese Pappel ist das Gefängnis.«
Ich hatte ihn jetzt ebenso fest wie sicher und setzte mich nieder.
»Diese Pappel – — —!« fuhr er fort. »Ist das Gefängnis – — —? Höre, Fremder, ist das Scherz oder ist es Ernst?«
Sein Gesicht nahm jetzt einen Ausdruck an, der bedenklich und immer bedenklicher wurde.
»Es ist mein Ernst,« antwortete ich.
»Und ich habe es so halb und halb für einen Scherz genommen, obwohl der Scheik der Ussul eigentlich kein Mann ist, mit dem man ungestraft Scherze treiben darf. Aber merke Dir, daß ich den Scherz mit Dir getrieben habe, nicht etwa Du mit mir! Also dieser Baum ist das Gefängnis! Und also darum hatte es keine Löcher, in die man gesteckt wird! Und also darum werden die Gefangenen nur außen herum untergebracht, im Freien! Der jetzige Gefangene bin ich?«
»Ja, Du!«
»Wie lange? Wann werde ich wieder frei?«
»Sobald Du willst.«
»Das ist gut! Das freut mich! Ich fordere Dich also auf, mich augenblicklich wieder loszubinden. Ich muß zu meinen Leuten in das Lager, und Du mußt mit!«
»Das eilt nicht so!«
»Du hast mir aber doch gesagt, sobald ich will. Und ich will!«
»Das hast Du zu beweisen.«
»Beweisen? Warum? Wieso?«
»Dadurch, daß Du dafür sorgst, daß meinem Begleiter, der sich höchstwahrscheinlich in Eurem Lager befindet, nichts geschieht, was mir nicht gefällt.«
»Allah ‘l Allah! so würde ich verwundert ausrufen, wenn ich Mohammedaner wäre. Da ich aber keiner bin, so rufe ich es nicht, sondern sage Dir nur, daß ich Amihn heiße und der Scheik der Ussul bin. Du bist mein Eigentum, und darum ist alles mein, was Du besitzest.«
»Mit welchem Rechte?«
»Mit dem Rechte der Gewohnheit, der Sitte, des Gebrauches.«
»So hat also jedermann das zu tun, was Recht und Gepflogenheit seines Stammes ist?«
»Natürlich!«
»Auch ich und Du?«
»Ja, auch ich und Du!«
»Schön! Einverstanden! So sind wir also einig!«
»Gewiß sind wir einig! Bei den Ussul ist es Recht und Sitte, daß die Person und das sämtliche Eigentum jedes Menschen, der ohne besondere Erlaubnis zu uns kommt, uns gehört. Darum bist Du mein und hast mir zu gehorchen. Herrscht diese Sitte bei Euch nicht auch?«
»Gewiß! Doch aber in etwas anderer Weise?«
»In welcher?«
»Bei uns heißt es nicht: Jeder Mensch, der zu uns kommt, sondern: Jeder Mensch, zu dem wir kommen.«
»Ich verstehe Dich nicht ganz.«
»So paß auf: Jeder Mensch, zu dem wir kommen, gehört uns, und zwar mit allem, was er besitzt.«
»Wirklich?« fragte er erstaunt.
»Ja,« antwortete ich mit besonderer Betonung.
»Da seid Ihr schöne Kerle! Pfui Teufel!«
Er machte eine Gebärde des Abscheus und spuckte dabei aus.
»Findest Du das etwa nicht richtig?« erkundigte ich mich.
»Ganz und gar nicht richtig! Es müßte denn sein, daß ich Dich falsch verstanden habe. Nach Deinen Worten ist es doch folgendermaßen: Wenn Ihr in ein fremdes Land kommt, so ist dieses Land Euer, samt allen seinen Bewohnern und aller ihrer Habe. Ist es so?«
»Ja.«
»So sage ich noch einmal Pfui Teufel! Ihr Räuber, Ihr Gauner, Ihr Schufte, Ihr Schurken!«
Er spie jetzt wieder aus. Dann fuhr er fort:
»Was seid Ihr denn eigentlich für Menschen? Wie heißt Dein Stamm?«
»Dscherman heißt er.«
»Das wundert mich. Ich habe von diesem Stamm gehört. Die Dschermanen sollen im fernen Westen des Abendlandes wohnen und sehr gute, sehr kluge, sehr tapfere und sehr vernünftige Leute sein.«
»Das sind sie allerdings!«
»Nein, das sind sie nicht, wenn sie so sind, wie Du sagst! Wenn Du als Deutscher hierherkommst, so bin ich also Dein?«
»Ja.«
»Pfui Teufel! Was habt Ihr für eine Religion?«
»Wir sind Christen.«
»Das will ich glauben! Denn wohin die Christen nur kommen, so stehlen sie alles, alles weg, was sie nur finden.«
»Woher weißt Du das?«
»Das