Ardistan und Dschirnistan I. Karl May
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Читать онлайн книгу Ardistan und Dschirnistan I - Karl May страница 16
Er ahnte nicht, wie viele Erkundigungen in diesem kurzen, einsilbigen Worte steckten, und gab mir den Bescheid:
»Morgen oder übermorgen. Heut sind wir nicht daheim, sondern auf der Jagd.«
»Wo?«
»Da drüben im Walde.«
Er streckte den Arm nach der Richtung aus, in welcher Halef verschwunden war.
»Wie viel Jäger seid Ihr?«
»Zwanzig, ohne die Frauen. Die Männer jagen; die Frauen graben nach Wurzeln, die zum Fleisch gegessen werden.«
Um nicht aufzufallen, fragte ich nicht weiter; ich wußte schon jetzt genug. Die Weiber hatten hier auf der grasigen Lichtung nach Wurzeln gesucht; daher die Spuren. Diese Spuren führten nach dem Lager, wo es zwanzig riesige Ussul gab, die, wenn sie ihrem Scheik glichen, zwar gutmütige, für uns aber dennoch gefährliche Menschen waren. Halef blieb zu lange aus. Er hatte sich zu weit entfernt. Es war sehr leicht möglich, daß man ihn gesehen und festgenommen hatte. Wenn bei den Ussul der Grundsatz herrschte, daß jeder Fremde, der ihr Gebiet betritt, ihnen gehört, und zwar mit allem, was er besitzt, so hatte man diesen Grundsatz auch an Halef geltend gemacht, und wie ich ihn kannte, mußte ich annehmen, daß ihm gar nicht eingefallen war, sich dies gefallen zu lassen. Er hatte sich dagegen gewehrt, war überwältigt worden und befand sich nun in Gefahr. Ich mußte ihm folgen, um ihm beizustehen. Da gab es für mich eine Waffe, die besser und erfolgreicher als jede andere war, nämlich den Scheik selbst, den ich festzunehmen hatte, damit er mir als Geisel dienen möge. Das gab voraussichtlich einen Kampf zwischen ihm und mir, vor dem mir aber gar nicht bange war. Die körperliche Überlegenheit dieses Gegners fürchtete ich nicht. Er war das, was man einen Simpel, einen Tolpatsch nennt, und es gehörte gar keine große, geistige Anstrengung dazu, die Chancen gleichzustellen.
Nachdem er mich in Augenschein genommen hatte, tat er dasselbe auch mit unsern Pferden. Da stellte es sich denn sofort heraus, daß er kein Kenner war. Sein Urgaul galt ihm mehr als unsere beiden Rappen zusammengenommen. Er meinte, sie seien viel zu leicht, um ihn tragen zu können, und für die hiesige Gegend habe man überhaupt auf sie zu verzichten, weil sie bei der Kleinheit ihrer Hufe bei jedem Schritt in den Sumpf einbrechen und mit ihrem Reiter ertrinken und ersticken würden. Je größer und je breiter die Hufe, desto wertvoller sei das Pferd.
Als er mir das erklärte, schlich sich Nazik, der >Köstliche<, von hinten an mich heran, um mich liebkosend in den Nacken zu beißen. Er bekam sofort eine zweite Ohrfeige, die noch weit kräftiger als die erste war. Er hielt aber auch sie nur für ein Zeichen meiner Gegenliebe, denn er hob ganz genau wie vorhin den Kopf hoch empor, machte die Äuglein zu, sperrte das Maul dafür um so weiter auf, um den fürchterlichen Grundton seines Wesens zum zweiten Male hören zu lassen. Da aber fiel ihm noch im letzten Augenblicke ein, daß sein Herr ihn vorhin aufgefordert hatte, sich zu schämen; er schluckte das, was empor hatte klingen wollen, wieder hinunter, machte das Maul wieder zu, die Äuglein dagegen auf, senkte den Kopf und schielte uns beide schwanzwedelnd an, ob wir uns wohl als fähig erweisen würden, seine Selbstüberwindung zu bewundern. Das rührte mich. Das ging mir nahe und brach mir fast das Herz. Ich klopfte und klatschte ihm liebkosend den Hals. Das hatte aber grad den entgegengesetzten Erfolg. Er warf seine ganze Selbstüberwindung sofort über den Haufen, schwang den Kopf schnell wieder in die Höhe und fing an, zu brüllen, zu trompeten, zu hupen, zu wiehern, zu kreischen und zu tuten, daß mir hätte angst und bange werden mögen. Da zog der Scheik seinen Spieß aus der Erde, holte aus und schlug derart auf den Sänger ein, daß dieser sofort verstummte. Hieraus war wohl mit vollem Recht zu schließen, daß die Urpferde bei den Ussul in guter Zucht und Sitte standen.
Es war eine geradezu kindliche Naivität, mit welcher der Scheik alle Gegenstände, die ich bei mir hatte, betrachtete und sie sofort in Gedanken und Worten derart registrierte, als ob sie nun ganz zweifellos schon in seinen Besitz übergegangen seien. Meine Uhr gefiel ihm so, daß er sie mir gleich gar nicht wiedergab, sondern sie einfach zu sich steckte. Ich machte ihn darauf aufmerksam, daß sie in meine, nicht aber in seine Tasche gehöre. Da sah er mich fast ohne Verständnis an, schüttelte den Kopf und sagte:
»Ich begreife Dich nicht! Ich habe Dir doch gesagt, daß alle diese Gegenstände mir gehören, und Du hast Dich damit vollständig einverstanden erklärt!«
»Du irrst!« widersprach ich ihm.
»Ich irre nicht!« behauptete er. »Ich will zu Deiner Ehre annehmen, daß Du ein schlechtes Gedächtnis besitzest. Wenn ich das nicht täte, müßte ich Dich für einen Lügner halten, und Du gibst doch wohl zu, daß dies das Allerschlimmste ist, was einem Menschen geschehen kann! Oder hast Du etwa auch nicht zugegeben, daß jeder Mann mir gehört, der dieses mein Land betritt?«
»Nein, das habe ich allerdings nicht zugegeben.«
»Du hast aber doch >Ja< gesagt!«
»Aber hierzu nicht! Du fragtest mich, ob ich verstanden habe, was Du sagtest; hierauf sagte ich >Ja<. Und darauf sagtest Du, wenn der Mann Dein Eigentum sein, verstehe es sich ja ganz von selbst, daß Dir auch alles gehöre, was er besitzt. Da habe ich allerdings zugestimmt. Aber bezieht sich denn das auf mich? Und wie willst Du mir beweisen, daß ich Dir gehöre, daß ich Dein Diener, Knecht oder Sklave bin?«
»Ich habe es Dir gesagt; das ist der Beweis. Eines anderen bedarf es nicht!«
»Da irrst Du eben!«
»Ich irre nie!« behauptete er. »Ich bin der oberste Scheik der Ussul, und was in meinem Stamme Recht und Sitte ist, das führe ich aus. Es ist Recht und Sitte, daß Du mein Eigentum geworden bist; dabei bleibt es!«
Er sprach jetzt in sehr bestimmtem Tone.
»Und wenn ich nicht will? Wenn ich mich dagegen wehre?« fragte ich.
Er sah mich von oben herunter an, lachte belustigt auf und antwortete:
»Du Dich wehren? Du Knirps! Schau nur hier meine Hände an! Sag noch ein Wort dagegen, so drücke ich Dir mit diesen Fäusten den dummen Kopf zusammen, daß er mir als Brei hier an den Fingern klebt!«
Bei diesen Worten hielt er mir seine Gigantenhände drohend vor das Gesicht.
»Es würde Dir keinen Segen bringen,« warnte ich ihn. »Ich bin nämlich nicht allein!«
»Nicht allein?« fragte er, indem er rund um sich schaute. »Ich sehe niemand!«
»Aber Du siehst doch zwei Pferde! Hast Du wirklich noch nicht daran gedacht, daß einer der beiden Reiter fehlt?«
»Er fehlt? So? Warum? Wo befindet er sich?«
Das war mehr als kindlich naiv! Er verstellte sich nicht; es war keine Finesse, keine Kriegslist von ihm. Er dachte wirklich genau so, wie er sagte. Er suchte mit den Augen nach dem Verschwundenen. Ich aber meinte es weniger ehrlich. Ich beabsichtigte, ihn auszuforschen, und richtete meine Antwort daraufhin ein, obgleich sie keine Lüge, sondern die volle Wahrheit enthielt:
»Wo er sich jetzt befindet, weiß ich leider nicht. Er bemerkte die Spuren hier im Grase und wollte sehen, von wem sie seien. Darum ging er hinter ihnen her und ist noch nicht wieder zurückgekommen.«
»Ging er hier geradeaus und dann links um die Ecke des Gebüsches?«
»Ja.«
»So kommt er überhaupt nicht wieder.«
»Warum?«
»Er