Ardistan und Dschirnistan I. Karl May
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Читать онлайн книгу Ardistan und Dschirnistan I - Karl May страница 11
»Sehr gern,« antwortete ich.
»Sehr gern?« fragte er, indem er einen ungewissen Blick auf mich warf. »Der Ton, in dem Du das sagst, gefällt mir nicht! Ich hoffe, Du meinst es ehrlich!«
»Im höchsten Grade ehrlich!« versicherte ich. »Es ist mir geradezu eine Wonne, zu erfahren, daß Du von jetzt an die Hauptperson bist.«
»Eine Wonne? Wieso?«
»Weil ich jetzt nichts mehr zu bedenken, zu überlegen und zu verantworten habe. Ich tue nur, was Du befiehlst.«
»Hm!« brummte er. »Nicht mehr denken willst Du? Gar nicht mehr?«
»Gar nicht mehr!« versicherte ich. »Bei meiner angeborenen Dummheit ist es mir sehr lieb, daß nun Du an meiner Stelle denkst.«
»Und verantworten soll ich alles?«
»Natürlich! Ich bin nur Nebensache!«
»Hm! Wenn ich nur wüßte, wie Du das meinst, ob ehrlich oder hinterlistig! Du bist nämlich in Beziehung auf die angeborene Dummheit ein höchst gefährlicher Mensch. Es ist möglich, daß Du mich damit nur in Versuchung führst. Aber da es nicht abzuleugnen ist, daß Du Deine Karten und Pläne vergessen hast, so bleibt es bei dem, was ich gesagt habe: die Hauptperson bin ich! Ich werde also während dieser ganzen Reise befehlen, und Du hast zu gehorchen. Nicht?«
»Ja.«
»So erhebe Dich jetzt vom Boden und steig aufs Pferd. Wir brechen auf!«
Ich stand auf. Wir hatten uns beide durch das Sitzen auf dem feuchten Boden beschmutzt. Das erzürnte Halef, der ungemein auf Sauberkeit hielt.
»Allah ‘l Allah! Nun klebt der ganze Sumpf an unseren Kleidern!« rief er zornig aus. »Das ist Ardistan! Genau so, wie man es mir beschrieben hat! Bei uns daheim ist auch die Wüste so rein, daß sogar der Gläubige, bevor er betet, sich mit Sand anstatt mit Wasser wäscht, wenn ihm das letztere fehlt. Wer aber den Boden von Ardistan betritt, der versinkt im Schmutz schon gleich beim ersten Schritt und kann sich nicht eher von ihm befreien, als bis er die Grenze von Dschinnistan erreicht! Beeilen wir uns, diesem Dreck und Schlamm zu entweichen!«
Er stieg in den Sattel. Ich tat das auch. Nun wartete er, daß ich voranreiten werde. Ich aber machte eine abwehrende Handbewegung und forderte ihn auf:
»Zeig Du den Weg, ich bin nur Nebensache!«
»Gut, daß werde ich!« antwortete er in scheinbar zuversichtlichem Tone. Aber schon weniger zuversichtlich fügte er hinzu: »Du brauchst aber trotzdem nicht hinter mir zu reiten, sondern kannst Dich getrost an meiner Seite halten. Du kennst mich doch. Du weißt, daß ich auch als Hauptperson sehr leutselig bin!«
Der kleine Schlaue wollte mich neben sich haben, um sich nach der Fühlung mit mir richten zu können. Ich ging aber nicht darauf ein, sondern blieb hinter ihm. Das brachte ihn in keine geringe Verlegenheit. Er wußte von meinen Absichten, wie man sich ländlich auszudrücken pflegt, weder Kix noch Kax und war also vollständig unfähig, auch nur die Richtung unseres Rittes zu bestimmen. Darum wendete er sich schon nach kurzer Zeit mit der Bitte an mich zurück:
»Effendi, sag mir doch wenigstens, ob ich so richtig reite!«
»Es ist richtig,« antwortet ich. »Immer gerade aus.«
»Wenn aber ein Sumpf kommt?«
»So biegen wir um ihn herum.«
»Es scheint hier überhaupt alles Sumpf zu sein. Ich finde das schrecklich. Die Pferde versinken bis an die Knie!«
»Um über die morastige Ebene zu kommen, brauchen wir drei Tage.«
»Drei Tage? Allah erbarme sich! Was gibt es da für Menschen?«
»Keine. Auf menschliche Wesen treffen wir erst jenseits dieser Niederung.«
»Welchem Volke gehören sie an?«
»Dem Stamme der Ussul.«
»Der Ussul? Weißt Du das genau?«
»Ja.«
»Ich denke, Du hast Deine Notizen vergessen? Da kannst Du doch nichts wissen!«
»Warum nicht? Ich habe mir doch sehr viel von dem gemerkt, was ich in den Büchern von Marah Durimeh gelesen und nach ihren Karten mir ausgerechnet habe.«
»Gemerkt?« fragte er. »Sihdi, das ist nicht wahr; das glaube ich nicht!«
»Warum nicht?«
»Weil ich es besser weiß! Ich habe Dir schon gesagt, daß ich Ardistan kenne, und zwar sehr genau. Darum bin ich ja die Hauptperson und reite jetzt voran. Ein jeder, der in diesem Lande gewesen ist, der weiß, daß es das Land des Vergessens ist.«
»Wieso?«
»Wer es betritt, der vergißt alles, was und wo und wie und wer er vorher gewesen ist.«
»Wer hat Dir das weisgemacht?«
»Weisgemacht? Ich bitte Dich, mich nicht zu beleidigen! Ich habe mit sehr, sehr viel Leuten über Ardistan gesprochen. Der klügste von ihnen war ein alter, gelehrter und viel gereister Derwisch, der sich über zehn Jahre lang dort aufgehalten hatte und es also sehr genau kannte. Er sagte, daß es mit Ardistan ganz entschieden dieselbe Bewandtnis habe, wie mit dem Menschenleben überhaupt.«
»Wie meinst Du das?« fragte ich ihn.
»Das will ich Dir sofort erklären,« antwortete er. »Du gibst doch zu, daß wir beide nicht aus Ardistan stammen, obwohl wir uns jetzt hier befinden?«
»Ja.«
»Ebenso gibst du auch zu, daß wir nicht von der Erde stammen, obgleich wir uns auf ihr befinden?«
»Einverstanden!«
»Aber weißt Du, wo Du gewesen bist, bevor Du hier geboren wurdest?«
»Nein.«
»Damals aber, wo Du Dich dort befandest, hast Du es gewußt?«
»Höchst wahrscheinlich!«
»So hast Du es also in dem Augenblick, an dem Du geboren wurdest, vergessen. Der alte, kluge Derwisch behauptete, daß die Erde eine Strafanstalt für Geschöpfe sei, die Allah nicht gehorchen wollten. Sobald sie durch das Tor der Geburt in das diesseitige Leben treten, vergessen sie alles Frühere. Sie wissen nicht mehr, wer und was und wo sie gewesen sind, und können sich nur durch unbedingten Gehorsam und unerschütterlichen Glauben, durch treue, ehrliche Arbeit und gute Werke nach dort zurückfinden, woher sie gekommen sind. Glaubst Du das, Effendi?«
»Die Ansicht dieses alten Derwisches ist interessant; man muß über sie nachdenken.«
»So denke nach! Er sagte, daß es im Leben eines jeden Menschen Augenblicke gebe, an denen ihm die Erinnerung an das vergangene Leben aufleuchte wie ein Blitz, der ebensoschnell verschwindet, wie er kommt.«
»Und so oder ähnlich ist es auch mit Ardistan?«
»Ja. Es ist ein Land des Vergessens, wie die