Ardistan und Dschirnistan I. Karl May
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Ardistan und Dschirnistan I - Karl May страница 9
»Diesen Schutz legst Du an, noch ehe Du Ardistan betrittst,« sagte Marah Durimeh.
»Glaubst Du, daß uns dort so große Gefahren drohen?« fragte ich.
»Gefahren wird es geben, nicht wenige und nicht leichte,« antwortete sie. »Aber ich habe keine Sorge um Euch; Ihr werdet sie bestehen. Zwar ist dieser Schild wohl auch zu Deinem Schutz bestimmt und er hat Achselriemen, um auf Deiner Brust befestigt zu werden; aber an diesem Platze hat zugleich auch er den Schutz zu finden, der für ihn nötig ist, und zwar in hohem Grade. Denn er ist ja der Brief, den ich Dir anvertraue.«
»Er? Der Brief?« fragte ich, indem ich ihn nun doppelt aufmerksam betrachtete. »Ich sehe keine Schrift!«
»Du brauchst sie auch nicht zu sehen,« lächelte sie. »Er ist ja nicht an Dich gerichtet. Was Du nicht siehst, das sieht der ‘Mir von Dschinnistan. Er wird ihn lesen.«
Auch Schakara lächelte, aber in anderer Weise. Sie nickte nach mir hin und sagte:
»Vielleicht hat er die Schrift erkannt und entziffert, noch ehe er sie dem ‘Mir überreicht!«
»Ich würde mich freuen, wenn er es zuweg brächte,« gestand Marah Durimeh. »Aber diese Schrift ist nicht Schrift, sondern mehr. So, wie hier auf diesem Schilde, schreibt man nur in Sitara, dem Lande der Sternenblumen, und diese Schrift kann nur der lesen lernen, der mich, die Herrin dieses Landes, kennt. Versuche, ob es Dir möglich ist, Effendi! Der Unterricht hierzu wird Dir werden, indem Ihr miteinander durch das gefahrvolle Ardistan reitet.«
Das war meine ganze Instruktion. Ich durfte mich zwar als Gesandten fühlen, aber als einen, mit dem man wenig Federlesens macht. Doch war es grad diese Kürze, für die ich mich unendlich dankbar fühlte.
Wir brachte unsere Pferde selbst an Bord. Sie waren so wertvoll, daß wir sie keiner anderen Person anvertrauten. Auch Schakara war dabei, und Marah Durimeh begleitete uns, einfach, bescheiden, wie ein gewöhnliches Weib, von allen, die uns unterwegs sahen, mit Ehrerbietung und Liebe gegrüßt, doch unauffällig, in selbstverständlicher und ungekünstelter Weise. So war der Abschied auch. Sie stand am Ufer und grüßte mit der Hand, als das Schiff den Anker hob. Hierauf ging sie. Kurze Zeit später sahen wir sie auf dem Söller erscheinen. Da stand sie, bis wir sie nicht mehr sehen konnten. Dann verschwand auch der Palast, die Stadt, das dunkle Gebirge, das ganze, uns bekannt gewordene Sitara, und wir sahen nichts mehr, als nur die unendlich weite See, der wir auf Treu und Glauben überliefert worden waren.
Zu jeder anderen Zeit hätte ich mich um das Schiff, seine Bemannung und seine Einrichtung gewiß sehr eingehend bekümmert; jetzt aber hatte ich keine Zeit dazu. Ich mußte jede Minute ausnutzen, um mich zu unterrichten. Die Bücher, welche ich mitgenommen hatte, mußten mit Schakara wieder zurückgehen. Ich hatte sie also bis dahin durchzunehmen und las und las und schrieb und schrieb, um alles, was ich für wichtig hielt, zu notieren. Schakara half mir dabei. Als drei Tage vorüber waren, hatte ich einen ganzen, dicken Stoß von Notizen, deren Wert gar nicht abzumessen war. Mit ihrer Hilfe war es mir möglich, mich in jeder Lage und an jedem Orte zu orientieren.
Es war uns während dieser drei Tage kein anderes Fahrzeug begegnet. Nun näherten wir uns dem Ziele unserer Fahrt. Wir durften erwarten, am Mittag des vierten Tages die Küste von Ardistan zu erreichen, aber auch da bekamen wir kein Schiff, nicht einmal einen Kahn, ein Boot zu sehen. Der Grund hiervon war, daß wir es vermieden, uns einem Hafen zu nähern. Unsere Landung mußte in der größten Heimlichkeit geschehen, und darum wählten wir einen ganz einsamen Teil der Küste, die da völlig unzugänglich zu sein schien, doch gab es eine Stelle, wo eine kleine, schmale Bucht zwar nicht erlaubte, den Anker zu werfen, aber doch Gelegenheit zum Ausbooten gab. Das Land fiel hier überall so schroff und so tief in die See hinab, daß kein Ankertau lang genug war, den Boden zu erreichen.
Kurz nach Mittag tauchte eine dunkle Linie vor uns auf, der wir uns bei gutem Winde näherten. Das war Ardistan, eine niedrige, aus Sumpf und Moor bestehende Küste.
»Das ist Dein Ziel,« sagte Schakara. »Und nun es vor Dir liegt, will ich Dir noch etwas Wichtiges sagen. Du wirst über die Bewohner dieses Landes wenig Freude haben. Sie stehen auf einer noch sehr niedrigen Stufe der Menschlichkeit. Aber es gibt doch hier und da einen Auserlesenen, dem es Bedürfnis ist, sich von dieser Niedrigkeit abzusondern und mit Gleichgesinnten zu vereinigen. So ist ein Bund entstanden, der sich >Insanija< nennt, die >Menschlichkeit<. Leider sieht er sich gezwungen, geheim zu bleiben, weil der ‘Mir von Ardistan ihn nicht dulden will. Seine Mitglieder stehen miteinander im Verkehr. Sie sind edle, opferwillige Menschen. Es gibt einige unter ihnen, die Marah Durimeh gesehen oder auch wohl gar gesprochen haben und sie fast vergöttern. Von ihnen hast Du Hilfe zu erwarten, sobald Du Dich an sie wendest. Es wird Dich keiner verraten.«
»Kennst Du ihre Namen?«
»Nein.«
»Ihren Stand, ihren Wohnort?«
»Auch nicht. In diese Geheimnisse unserer Herrin bin ich noch nicht eingeweiht. Aber sie hat mir das Zeichen gesagt, an welchem sie sich erkennen, und mir befohlen, es Dir mitzuteilen.«
»Das ist ja wichtig, in hohem Grade wichtig! Was für ein Zeichen ist es?«
»Jeder Insan – so nennen sich nämlich diese Leute – ist daran zu erkennen, daß er den ersten Blick, den er auf einen ihm bisher Unbekannten wirft, in drei Teile teilt, und zwar dadurch, daß er während desselben die Augenlider zweimal fallen läßt. Es entstehen dadurch drei Blicke an Stelle des einen, doch in so unauffälliger Weise, daß es nur der bemerkt, der es weiß und darum ganz besonders darauf achtet. Schau her zu mir; ich will es Dir zeigen!«
Sie richtete ihr Auge auf mich und teilte diesen Blick durch zweimaliges Senken desselben in drei Teile. Dann mußte ich es ihr nachmachen. Das war sehr leicht.
»Du darfst es eigentlich verlangen,« fuhr sie fort, »daß man Dir dieses Geheimnis mitteilt, denn Du bist ja schon längst Insan, wenn auch kein Bewohner des Landes Ardistan. Doch, paß auf! Die Segel fallen ab!«
Die Segel wurden so gestellt, daß sich die Schnelligkeit des Schiffes verminderte. Wir gingen bis auf eine halbe Seemeile an die Küste heran; dann wurde beigedreht, das heißt, die Segel bekamen eine solche Stellung, daß die Wirkung des Windes aufgehoben wurde. Wir lagen, wie vor Anker. Nun ging das große Boot zu Wasser mit den beiden, darin angebundenen Pferden. Sie verhielten sich ruhig. Übrigens saßen auch die Ruderer bei ihnen. Dann wurde das Fallreep niedergelassen; da stiegen wir nach, Halef und ich, auch Schakara, die das Steuer führen wollte.
Es war kein leichtes Manöver, der Pferde wegen; aber es gelang. An der Bucht standen einzelne Bäume, ganz nahe am Ufer. Das gab uns die Möglichkeit, das Boot derart zu befestigen, daß die Pferde ganz bequem und ohne Gefahr gelandet werden konnten. Sie waren gesattelt. Wir brauchten nur aufzusteigen. Hadschi Halef verabschiedete sich mit großem Redeschwall von Schakara. Dann reichte ich ihr die Hand. Sie sagte nichts, aber ihre Lippen zitterten, und ihre Augen waren feucht. Dann gab sie das Zeichen, das Boot vom Lande zu stoßen. Da legte sich nun das Wasser zwischen uns, die tiefe, die geheimnisvolle See! Als ob diese meine Gedanken auch die ihren seien, rief sie uns nun doch noch zu:
»Effendi, wenn Dir eine Gefahr naht, welche unbezwinglich erscheint, oder wenn die Tränen des Erdenleidens über Dir zusammenfluten, so verliere nicht den Mut, sondern glaube mir, daß Marah Durimeh und Schakara Dir immer nahe sind. Auf Wiedersehen!«
»Auf Wiedersehen!« antwortete ich.
»Nasuf wussak – — auf Wiedersehen!« rief auch Halef.
Dann schoß das Boot von der Küste