Der Schut. Karl May
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»Für unsern Zweck reicht es jedenfalls aus.«
Wir erreichten die ersten Häuser und sahen einen Kerl im Grase liegen, welcher, als er den Hufschlag unserer Pferde hörte, aufsprang und uns anstarrte. Er war der glückliche Besitzer eines Anzuges, um dessen Einfachheit ihn ein Papua hätte beneiden können. Eine Hose, aber was für eine! Das rechte Bein derselben reichte zwar bis auf den Knöchel herab, war aber auf beiden Seiten aufgeschlitzt und hatte buchstäblich Loch an Loch. Das linke Bein ging bereits unter der Hüfte seinem Ende entgegen und lief in eine ganz unbeschreibliche Garnierung von Fransen und Fäden aus. Das Hemd hatte keinen Kragen, keinen rechten und nur einen halben linken Aermel. Es war ihm höchst wahrscheinlich einmal abgerissen worden, nämlich der untere Teil, denn es reichte nur so weit herab, daß zwischen demselben und dem Hosenbund ein Streifen niemals gewaschener, lebendiger Menschenhaut zu sehen war. Auf dem Kopf trug dieser Dandy einen mächtigen Turban von einem Stoff, welchem ich die Marke »Scheuerhader« geben würde. Mehrere bunte Hahnenfedern wiegten sich würdevoll auf dieser Kopfbedeckung. Ausgerüstet war er mit einem alten, fast halbkreisförmig gekrümmten Säbel. Ob es nur die fürchterlich rostige Klinge der Waffe war, oder ob dieselbe in einer schwarzen Lederscheide steckte, das war nicht zu unterscheiden.
Nachdem uns dieser Gentleman lange genug angestarrt hatte, rannte er wie rasend von dannen, schwang den Säbel rund um den Kopf und schrie aus Leibeskräften:
»Jabandschylar, jabandschylar — Fremde, Fremde! Reißt die Fenster auf, reißt die Fenster auf!«
Dieser schlagende Beweis, mich in einem hoch zivilisierten Ort zu befinden, imponierte mir ungeheuer. Welch eine hohe Disziplin hier herrschte, ersah ich aus der Schnelligkeit, mit welcher sämtliche männliche und weibliche, alte und junge Einwohner des Dorfes dem Zeterruf Folge leisteten.
Wo sich ein Loch in einem Hause befand — mochte es nun Türe oder Fenster heißen oder mochte es ein wirkliches, wahres, buchstäbliches Loch in der morschen Mauer sein — da ließ sich ein Gesicht oder so etwas Aehnliches sehen. Wenigstens glaubte ich Gesichter zu erkennen, wenn ich auch nur ein Kopftuch, zwei Augen, einen Bart und zwischen diesen drei Dingen etwas Unbeschreibliches, jedenfalls aber Ungewaschenes konstatieren konnte.
Dasjenige, was der von dem Alphabet und dessen Folgen beleckte Mensch hinter seinem Hause anbringt, damit es sich dort in ruhiger und ungestörter Sammlung zur Goldgrube des Landwirtes entwickeln könne, war hier an der Vorderseite der Hütten angebracht, und zwar mit großer Beharrlichkeit grad da, wo die Schutzgeister des Hauses gezwungen waren, lieblich ein und aus zu schweben.
Man konnte das ganze Dorf überblicken. Ich weiß nicht, wie ich auf den baukünstlerischen Gedanken kam, nach einem Schornstein zu suchen; kurz und gut, ich kam darauf, doch war das eine ganz überschwengliche Idee: ich sah nicht die Spur einer Feueresse.
Ein Häuschen stand auf hohem Rand. Rechts und links, vorn und hinten war das Dach eingefallen. Der Giebel hatte einen Riß, welcher die Haustüre vollständig überflüssig machte. Vom Dorfweg führte eine Steintreppe hinauf; aber von dieser Treppe war nur die oberste und die unterste Stufe vorhanden. Wer da hinauf wollte, der mußte entweder Alpenjäger mit Steigeisen oder Akrobat mit Sprungstange sein.
Läden und Holztüren schien es nicht zu geben, und so offen, wie die Gebäude, waren auch die Bewohner derselben, denn ich sah nicht eine einzige Person, welcher nicht vor Erstaunen über uns der Mund sperrangelweit aufstand. Wäre der Spötter Heinrich Heine an meiner Stelle gewesen, so hätte er zu seinen geographischen Reimen noch den einen hinzugefügt:
»Glogovik ist die Blume des Orientes;
Wer's mit Schaudern gesehen hat, der kennt es!«
Unser Führer hielt vor dem ansehnlichsten Gebäude der Ortschaft an. Zwei mächtige dunkle Tannen beschatteten es; darum hatte der Besitzer es für überflüssig gehalten, das halb eingestürzte Dach zu reparieren. Das Haus lag nahe am Bergabhang. Ein Wässerlein floß von da herab bis vor die Türe und fand dort in der bereits erwähnten Goldgrube Gelegenheit, sich mit einer chemisch anders gearteten Flüssigkeit zu vereinigen. Hart am Rand dieses »Bassins ästhetischer Anschauungen« lagen einige Baumklötze, von denen uns der Konakdschi sagte, daß sie das Amphitheater der öffentlichen Versammlungen bildeten, an welchem Ort schon manche welterschütternde Frage erst mit Worten, dann mit Fäusten und endlich gar mit Messern behandelt worden sei.
Wir nahmen auf diesen Klötzen der Politik Platz und ließen unsere Tiere aus dem Wässerlein trinken, aber oberhalb der erwähnten Vereinigungsstelle. Unsern Führer schickten wir auf Entdeckung in das Haus, denn Halef hatte die Kühnheit, zu behaupten, daß er Hunger habe und irgend etwas essen müsse.
Nachdem wir ein aus dem Hause schallendes Duett angehört hatten, welches aus dem Kreischen einer weiblichen Fistelstimme und aus den fluchenden Baßtönen des Konakdschi bestand, erschienen die beiden Tonkünstler vor der Türe, und zwar in der Weise, daß der Baß den Diskant an einem Fetzen herausgezogen brachte, welcher hierzulande von den Besitzern einer großen Einbildungskraft und unter ganz besonders günstigen Umständen vielleicht Schürze genannt werden konnte.
Wir sollten den zwischen ihnen ausgebrochenen Streit mit einem Machtwort entscheiden. Der Baß behauptete noch immer im tiefen C, daß er etwas zu essen haben wolle, und der Sopran erklärte mit Bestimmtheit und im drei gestrichenen B, daß absolut gar nichts vorhanden sei.
Halef schlichtete den Zwiespalt, indem er in seiner Weise die höhere Stimme des Duetts beim Ohr nahm und mit ihr im Innern des Hauses verschwand.
Es dauerte fast eine halbe Stunde, bevor er wieder erschien. Während dieser Zeit herrschte eine fast beängstigende Stille in den innern Gemächern der Gastlichkeit. Als er dann zum Vorschein kam, wurde er von der Wirtin begleitet, welche unter unheilverkündenden Gestikulationen in einer Mundart schimpfte, von welcher ich kein Wort verstand. Sie gab sich Mühe, ihm eine Flasche zu entreißen; er aber hielt sie heldenhaft fest.
»Sihdi, es gibt etwas zu trinken!« rief er triumphierend. »Ich habe es entdeckt.«
Er hielt die Flasche hoch empor. Die Wirtin suchte dieselbe mit der Hand zu erreichen und schrie dabei etwas, wovon ich nur die Silben »Bullik jak« verstehen konnte. Aber, obgleich ich mit meinem Türkischen überall so leidlich ausgekommen war, was >Bullik jak< bedeutete, wußte ich noch nicht.
Der Hadschi zog endlich, um sich von der Anhänglichkeit der widerwilligen Hebe zu befreien, die Peitsche aus dem Gürtel, worauf sie um mehrere Schritte zurückwich und dann stehen blieb, um sein Beginnen mit entsetztem Blick weiter zu verfolgen.
Er zog den Stöpsel heraus, welcher aus einem alten Kattunwickel bestand, winkte mir verführerisch mit der Flasche zu und setzte sie an den Mund.
Die Farbe des Getränkes war weder hell noch dunkel. Ich konnte nicht erkennen, ob dieser Raki dick oder dünn war. Jedenfalls hätte ich vor dem Trinken die Bouteille erst einmal gegen das Licht und dann an die Nase gehalten. Halef aber war über seinen Fund so erfreut, daß er an eine solche Prüfung gar nicht dachte. Er tat einen langen, langen Zug — —
Ich kannte den kleinen Hadschi schon eine sehr geraume Zeit; aber das Gesicht, welches er jetzt machte, hatte ich noch nie bei ihm gesehen. Er hatte plötzlich einige hundert Falten bekommen. Man sah, daß er sich bemühte, die Flüssigkeit auszuspucken, aber der Schreck hatte dem untern Teil seines Gesichtes alle Fähigkeit der Bewegung geraubt. Der Mund war zum Erschrecken weit offen und blieb eine ganze, lange Weile so; ich befürchtete schon, es sei ein Kinnbackenkrampf eingetreten, der bekanntlich nur mit einer kräftigen Ohrfeige geheilt werden kann.
Nur die Zunge hatte einen geringen Teil ihrer Beweglichkeit behalten. Sie schwamm auf dem langsam