Der Schut. Karl May
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Читать онлайн книгу Der Schut - Karl May страница 10
»Ich war draußen, um heimlich zu beobachten, wohin sich die Männer wenden würden, welche vorhin so ruchlos über dich hergefallen sind,« antwortete der Wirt, welcher natürlich sofort in das Haus zurückgekehrt war.
Nun trat ich bis an den Rand der Scheidewand vor und blickte in die Stube. Da lagen fünf oder sechs Personen gebunden am Boden, von Osko und Omar bewacht, welche sich auf ihre Gewehre stützten. Daneben stand Halef, mit herausgedrückter Brust, in majestätischer Haltung, und vor ihm der Wirt in demütiger Stellung, und neben demselben eine alte Frau, welche mehrere Stricke in den Händen hielt. Der kleine Hadschi befand sich wieder einmal in der ihm so willkommenen Lage, sich das Ansehen eines bedeutenden Mannes zu geben.
»So!« sagte er. »Jetzt nennst du es ruchlos; vorher aber hattest du deine Freude daran.«
»Das war Verstellung, Herr. Ich mußte so tun, um die Schurken nicht noch mehr zu erzürnen. Im Stillen jedoch war ich fest entschlossen, alles zu wagen, um dich aus ihren Händen zu befreien.«
»Das klingt sehr schön. Du willst wohl damit sagen, daß du nicht ihr Verbündeter bist?«
»Ich kenne sie gar nicht.«
»Und doch nanntest du sie alle bei ihren Namen!«
»Die wußte ich, weil sie sich bei denselben nannten. Ich freue mich, daß die Sache so gut abgelaufen ist.«
»O, sie ist noch lange nicht abgelaufen, sondern sie wird erst richtig beginnen, soweit es nämlich dich betrifft. Ueber deine Schuld oder Unschuld zu entscheiden, verträgt sich nicht mit meiner Würde. Ich mag mit Leuten deines Gelichters gar nicht in Berührung kommen und werde den Effendi beauftragen, dich ins Verhör zu nehmen und mir dann Bericht zu erstatten. Von seinem Entschluß und von meiner Genehmigung wird es dann abhängen, was mit euch geschehen soll. Einstweilen wirst du dich binden lassen, damit wir von deiner liebevollen Anhänglichkeit überzeugt sein können.«
»Binden? — Warum?«
»Ich habe es dir soeben gesagt: damit du nicht auf den Gedanken kommen kannst, plötzlich eine Vergnügungsreise zu unternehmen. Hier steht dein Weib, die freundliche Gefährtin deiner Tage. Sie hat sich bereit finden lassen, diesen Andern hier die Schlingen anzulegen, und sie wird nun auch dir mit Vergnügen den Strick, welcher eigentlich um deinen Hals gehört, um die Hände und Füße binden. Dann werden wir beraten, wie es möglich sei, die Einquartierung unterzubringen, welche draußen auf uns wartet. Ich befürchte, daß diese Räume nicht ausreichend sind für die Aufnahme so vieler Soldaten. Strecke also deiner liebevollen Houri die Hände hin, damit sie dieselben miteinander vereinige!«
»Herr, ich habe doch nichts verschuldet! Ich kann nicht dulden — — «
»Schweig!« unterbrach ihn Halef. »Was du dulden willst oder nicht, das geht mich gar nichts an. Jetzt habe ich hier zu befehlen, und wenn du nicht augenblicklich gehorchst, so bekommst du Hiebe.«
Er hob die Peitsche empor. Vorhin hatte ich sie mit seinen Pistolen und dem Messer auf dem Tisch liegen sehen, denn er war entwaffnet worden, hatte aber diese Gegenstände wieder an sich genommen. Osko und Omar stießen die Gewehre drohend auf den Boden, und der Wirt streckte seiner Frau die Hände hin, um sich dieselben binden zu lassen. Dann mußte er sich zur Erde legen, worauf ihm auch die Füße gefesselt wurden.
»So ist's recht, du Wonne meines Lebens!« belobte Halef die Alte. »Du hast das gute Teil erwählt, indem du dich entschlossest, mir ohne Murren zu gehorchen. Darum sollen deine Hände und Füße von keinem Strick berührt werden, sondern du sollst deine Fittiche frei schwingen können über das Haus, welches Allah mit deiner Lieblichkeit beglückte. Nur versuche ja nicht, die Fesseln dieser Leute zu berühren, denn das würde Folgen nach sich ziehen, durch welche die Zartheit deiner Vorzüge leicht beschädigt werden könnte. Setze dich in die Ecke dort, und ruhe in stiller Beschaulichkeit von den Mühseligkeiten deiner irdischen Laufbahn aus. Wir werden indessen eine amtliche Beratung abhalten, ob wir euer Haus in die Luft sprengen oder durch das Feuer verzehren lassen.«
Sie gehorchte, sich langsam in die Ecke schleichend, und Halef wendete sich nun der Türe zu, jedenfalls um nach mir zu forschen. Als ich jetzt vortrat und er mich erblickte, fiel es ihm gar nicht ein, ein Wort der Entschuldigung seiner Unvorsichtigkeit zu sagen oder wenigstens durch die Miene zu zeigen, daß er einsehe, gefehlt zu haben, sondern er meldete mir in höchst wichtigem Ton:
»Du kommst, Effendi, um dich nach den Ergebnissen unsers glorreichen Feldzuges zu erkundigen. Da sieh her: sie liegen vor dir auf der Erde und sind bereit, Leben oder Tod aus unsern Händen zu empfangen.«
»Komm heraus!«
Ich sagte das so kurz und gemessen, daß sein Gesicht sich sogleich bedeutend in die Länge zog. Er folgte mir hinaus vor das Haus.
»Halef,« wendete ich mich dort an ihn, »ich habe dich herausgerufen, um dich nicht vor den Leuten zu beschämen, denen gegenüber du den Herrscher spielst, und hoffe, daß du diese Rücksichtsnahme anerkennst.«
»Effendi,« antwortete er bescheiden, »ich erkenne sie an; aber du wirst auch mir zugeben, daß ich meine Sache ausgezeichnet gemacht habe.«
»Nein, das kann ich gar nicht sagen. Du hast eigenmächtig gehandelt und unsere Gegner dadurch vertrieben, was mir einen Strich durch meine Rechnung machte. Willst du denn nicht endlich einmal einsehen, daß du stets den Kürzern ziehst, wenn du gegen meine Wünsche und Warnungen handelst? Du bist mit einem blauen Auge weggekommen, weil wir dich zur rechten Zeit gerettet haben. Doch es ist geschehen, und es nützt nun nichts, Vorwürfe anzuhäufen. Erzähle mir also den Verlauf deines berühmten Unternehmens.«
»Hm!« brummte er kleinlaut. »Der Verlauf war ein sehr schneller. Unser Wirt hatte das Haus beschrieben, und ich wußte also, wo die Leute zu suchen seien. Ich schlich mich herbei und blickte durch das Astloch. Da sah ich sie alle sitzen, den Mübarek ausgenommen. Sie unterhielten sich sehr angelegentlich, aber ich konnte nur hier und da ein einzelnes Wort verstehen. Das genügte mir nicht, und darum beschloß ich, in die Schlafstube nebenan, deren Laden offen stand, zu steigen.«
»Du erwartetest, daß sich niemand in derselben befinden werde?«
»Sehr natürlich!«
»Das ist keineswegs sehr natürlich. Frage die Gefährten; sie werden dir bestätigen, daß ich mit großer Bestimmtheit behauptet habe, der kranke Mübarek liege in der Stube.«
»Ja, davon habe ich leider nichts gehört, sonst hätte ich mich gehütet, so mit beiden Füßen zugleich in diese häßliche Pfütze zu springen. Ich habe mich dabei ganz leidlich vollgespritzt; das muß ich ja zugeben. Es war gar nicht angenehm. Und als gar Barud el Amasat das Messer über mir zückte, um mir mit demselben den Mund zu öffnen, da hatte ich ein Gefühl, ein Gefühl, hm, als ob mir so recht hübsch langsam das Rückgrat aus dem Leibe gezogen würde. Es gibt in diesem Erdenleben Augenblicke, in denen man sich nicht ganz so behaglich fühlt, wie man es wünschen möchte. Ich hielt die Kammer für leer, war aber trotzdem so vorsichtig, erst eine Weile an dem offenen Laden zu horchen, ob vielleicht etwas zu vernehmen sei. Da sich nichts regte, stieg ich durch das Fenster ein und ließ mich innen recht vorsichtig und leise hinab. Ich bekam auch ganz glücklich, ohne ein Geräusch verursacht zu haben, den Boden unter die Füße und wollte nun nach der Scheidewand schlüpfen, hinter welcher sich die Burschen befanden, die ich belauschen wollte. Aber die Unverständigkeit des Schicksals legt dem besten Menschen Hindernisse in den Weg, und grad dann und da, wann und wo er sie am wenigsten braucht. Ich stolperte über einen Körper, der mir im Weg lag. Ob der Kerl geschlafen hat