Der Schut. Karl May
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»Packt euch fort, ihr Strolche! Wenn ihr nicht aufhört, zu lärmen, so schieße ich!«
»Nur langsam, langsam, mein Lieber,« erwiderte ich, indem ich so nahe an den Laden heranritt, daß ich den Lauf der Flinte hätte ergreifen können. »Wir sind keine Strolche, wir kommen in keiner unfreundlichen Absicht.«
»Das sagten die Andern auch. Ich öffne meine Türe keinem Unbekannten mehr.«
»Vielleicht kennst du diesen hier,« entgegnete ich und winkte Israd herbei. Als der Bauer den jungen Mann erblickte, zog er langsam sein Gewehr zurück und sagte:
»Das ist ja der Baumeister, der Sohn des Schäfers in Treska-Konak!«
»Ja, der bin ich,« bestätigte Israd. »Hältst du auch mich für einen Strolch?«
»Nein, du bist ein braver Mann.«
»Nun, die Männer, welche sich bei mir befinden, sind ebenso brav. Sie verfolgen die Leute, welche bei dir waren, um sie zu züchtigen, und wollen sich bei dir erkundigen, was diese Strolche bei dir gewollt haben.«
»So will ich dir glauben und die Türe wieder aufriegeln.«
Er tat dies. Als er dann zu uns heraustrat, sah ich, daß dieser kleine, schwächliche, sehr ängstlich dreinschauende Mann allerdings nicht geeignet war, Leuten wie den beiden Aladschy zu imponieren. Er mochte uns doch nicht so recht trauen, denn er hielt die Flinte noch immer in der Hand. Auch rief er in das Haus hinein:
»Mutter, komm her, und schau sie an!«
Eine vor Alter krumm gebogene Frau kam mit Hilfe eines Krückstockes herbei und betrachtete uns. Ich sah einen Rosenkranz an ihrem Gürtel hängen, darum sagte ich:
»Hazreti Issa Krist ilahi war, anatschykim — Gelobt sei Jesus Christus, mein Mütterchen! Kowar sen bizi kapudanin taschra — willst du uns von deiner Türe weisen?«
Da ging ein freundliches Lächeln über ihr faltiges Gesicht, und sie antwortete:
»Herr, du bist ein Christ? O, die sind zuweilen die schlimmsten! Aber dein Gesicht ist gut. Ihr werdet uns nichts zuleid tun?«
»Nein, gewiß nicht.«
»So seid ihr uns willkommen. Steigt von den Pferden, und kommt herein zu uns.«
»Du wirst uns erlauben, im Sattel zu bleiben, denn wir wollen schnell wieder fort. Vorher aber möchte ich gern wissen, was diese sechs Reiter bei euch getan haben.«
»Es waren ihrer erst nur fünf. Der sechste kam später nach. Sie stiegen von den Pferden und führten dieselben ohne unsere Erlaubnis in das Jondscha kyri (* Kleefeld.), obgleich Gras genug vorhanden ist. Die Pferde haben uns das schöne Feld ganz zusammengetreten. Wir wollten Schadenersatz verlangen, da wir arme Leute sind; aber gleich beim ersten Wort erhoben sie ihre Peitschen, und wir mußten schweigen.«
»Warum kehrten sie denn eigentlich bei euch ein? Sie haben doch einen Umweg machen müssen, um an euer Haus zu kommen?«
»Es war einem von ihnen unwohl geworden. Er hatte einen verwundeten Arm und litt große Schmerzen. Da haben sie ihm den Verband abgenommen und die Wunden mit Wasser gekühlt. Das dauerte mehrere Stunden, und während Einer mit dem Verwundeten beschäftigt war, suchten die Andern alles im Hause zusammen, was ihnen gefiel. Sie haben unser Fleisch und unsere sonstigen Speisevorräte aufgezehrt. Meinen Sohn und die Schwiegertochter sperrten sie unter dem Dache ein und nahmen die Leiter weg, daß die Beiden nicht herunter konnten.«
»Und wo warst denn du?«
»Ich?« antwortete sie, indem sie listig mit den Augen zwinkerte, »ich stellte mich, als ob ich nicht hören könne. Das ist bei einer alten Frau leicht zu glauben. Da durfte ich in der Stube bleiben und hörte, was gesprochen wurde.«
»Wovon redeten sie?«
»Von einem Kara Ben Nemsi, welcher mit seinen Begleitern sterben muß.«
»Dieser Mann bin ich; doch fahre fort.«
»Und sie sprachen von dem Konakdschi an der Treska, bei welchem sie heute abend bleiben wollen, und von einem Köhler, dessen Name ich wieder vergessen habe.«
»Hieß er Scharka?«
»Ja, ja; morgen wollen sie bei ihm bleiben. Und von einem gewissen Schut redeten sie, den sie in Kara — kara . — ich weiß nicht, wie der Name war — — «
»Karanirwan?«
»Ja, den sie in Karanirwan-Khan treffen wollen.«
»Wißt ihr vielleicht, wo dieser Ort liegt?«
»Nein; sie haben es auch nicht gesagt. Aber sie redeten von einem Bruder, den der eine von ihnen dort treffen will. Sie nannten auch den Namen, doch kann ich mich leider nicht mehr auf denselben besinnen.«
»Hieß er vielleicht Hamd el Amasat?«
»Gewiß, so hieß er. Aber, Herr, du weißt ja mehr als ich!«
»Ich weiß allerdings bereits viel und ich will mich durch meine Fragen nur überzeugen, ob ich mich nicht irre.«
»Sie erzählten auch davon, daß in diesem Karanirwan-Khan ein Kaufmann gefangen sitzt, von welchem sie Lösegeld haben wollen. Aber sie lachten über ihn, denn selbst wenn er dieses Geld zahlt, wird er nicht frei kommen. Sie wollen ihn auspressen, bis er gar nichts mehr besitzt, und dann soll er ermordet werden.«
»Ah! So etwas habe ich vermutet. Wie ist dieser Kaufmann nach Karanirwan-Khan gekommen?«
»Der Hamd el Amasat, dessen Namen du nanntest, hat ihn hingelockt.«
»Wurde nicht gesagt, wie der Kaufmann heißt?«
»Es war ein fremder, ein ausländischer Name, und darum habe ich ihn nicht behalten, zumal ich so große Angst und Sorge hatte.«
»Aber wenn du ihn wieder hörtest, würdest du vielleicht wissen, ob es dieser Name ist?«
»Ganz gewiß, Herr.«
»Lautet er Galingré?«
»Ja, ja, so hieß er; ich besinne mich ganz genau.«
»Was wurde Weiteres gesprochen von dem, was sie vorhaben?«
»Nichts, denn da kam der sechste Reiter. Er ist ein Flickschneider und erzählte von Feinden, wegen denen er in den Wardar gestürzt sei. Jetzt weiß ich, daß ihr diese Feinde seid. Ich mußte ein großes Feuer machen, damit er sich seine Kleider trocknen konnte; darum und weil der Alte mit seiner Wunde nicht fertig wurde, blieben sie so lange bei uns. Dieser Flickschneider erzählte von der Bastonnade, welche er bekommen habe. Er konnte nur sehr schwer gehen und hatte keine Schuhe an, sondern seine Füße mit Lappen umbunden, welche mit Talg eingerieben waren. Ich mußte ihm neue Lappen schaffen, und da ich keinen Talg hatte, stachen sie unsere Ziege tot, um Talg zu bekommen. Ist dies nicht eine schändliche Grausamkeit?«
»Allerdings.