Im Lande des Mahdi I. Karl May

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Im Lande des Mahdi I - Karl May

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ihnen entfernt hatte ein Muhad‘dit [Erzähler]einen Kreis Neugieriger um sich versammelt, um für zwei oder drei der kleinsten Münzen einige schon tausendmal gehörte Märchen vorzutragen. In der Nähe tanzte ein Negerjunge auf Stelzen und blies dazu auf einem flötenartigen Instrumente. Zwischendurch drängt sich ein langer Zug tief verhüllter Frauen, die auf Eseln reiten. Dann kommen hohe, schwerbeladene Kamele die Straße herauf, jedes mit einem Strohseile an den Schwanz des voranschreitenden gebunden. Dahinter keuchen Hammals, Lastträger, mit schweren Päkken und Kisten auf den Köpfen; sie singen dabei, um nicht aus dem Takte zu kommen, mit dumpfer Stimme einige immer wiederkehrende Worte. Jetzt kommt ein Pfeifenreiniger mit einigen Bündeln langer, mit Werg umwickelter Drähte in den schmutzigen, nach Tabaksaft duftenden Händen; dann ein Sakkah hemali, ein Wasserhändler, welcher ein großes irdenes Gefäß mit sich schleppt, um für eine geringe Entschädigung die Durstigen zu erquicken. Auf der anderen Seite der Straße wird der Beweis geliefert, daß hier selbst die intimsten Geschäfte öffentlich und mit möglichst großem Lärm abgemacht werden. Die Vorderfronten der Häuser sind offen, so daß man in jeden Laden, in jede Wohnung blicken kann. Da sitzt ein ehrwürdiger Bürger auf der Matte, hält einen zappelnden Buben zwischen den Beinen und befreit den Haarwald desselben höchst eifrig von jenem Wilde, an welchem Ägypten schon zur Zeit der Pharaonen reich gewesen sein soll. Von einer daneben wohnenden Alten wird etwas auf die Straße geworfen; es ist eine Katze, welche soeben die Augen für immer geschlossen hat, vielleicht vor Hunger. Der Leichnam wird auf der Straße verwesen, ohne daß ein Mensch sich um den dadurch entstehenden Gestank bekümmert; reitet doch der Pascha, welcher soeben erscheint, über den Kadaver weg, ohne in der Anwesenheit desselben etwas Ordnungswidriges zu finden; auch sein Gefolge würdigt denselben nicht der mindesten Aufmerksamkeit, und der voranschreitende Läufer hält es nicht der Mühe wert, ihn durch eine Bewegung des Fußes hinwegzuräumen. Gerade da, wo der erwähnte Alte den Kopf seines Enkels »entvölkert«, sitzt ein weißbärtiger, ehrwürdiger Greis, mit dem Rücken an die hölzerne Tragsäule gelehnt. Still, wie in Verzückung und mit geschlossenen Augen, läßt er die Perlen seiner Gebetkette durch die dürren, zitternden Finger gleiten. Seine Lippen bewegen sich im Gebete. Er sieht und hört nicht, was vor ihm und um ihn geschieht; er ist der Erde entrückt und wandelt im Geiste in den Gefilden des Paradieses, welches Mohammed den Gläubigen verheißen hat.

      Da ertönt der laute Ruf: »Unser Morgen sei weiß!« Es ist ein Milchverkäufer, welcher in dieser Weise auf seine Ware aufmerksam macht. »Tröster der Schmachtenden, fließend vor Saft!« ruft ein anderer, welcher Melonen feilbietet. »Sie entsproß aus dem Schweiße des Propheten,– o Duft aller Düfte!« ertönt die Stimme eines Rosenhändlers, und der Scharbetti oder Rosinenwasserverkäufer verkündet: »Länge des Lebens, fliehender Tod; es reinigt das Blut!« Dem Bierhause gegenüber steht ein kleines, vielleicht achtjähriges Negermädchen, welches ein Körbchen an einer Schnur um den Hals hängen hat und zuweilen in verzagtem Tone ruft: »Feigen, Feigen, süßer als meine Augen!«

      Wer hat dieses arme Kind hierhergestellt und demselben diesen Ruf vorgeschrieben? Gewiß ein berechnender Geschäftsmann, denn die dunklen Augen der Kleinen mit dem traumverlorenen Blicke sind allerdings süß. Es ist ein schönes Kind, wenngleich von schwarzer Farbe. Die ängstlich bittende Stimme und die flehend ausgestreckten Händchen müßten eigentlich jeden Vorübergehenden veranlassen, einige Para gegen Feigen umzutauschen. Ich konnte den Blick kaum von der Kleinen wenden. Ihre feine Stimme hatte einen so ängstlichen Ton, und das »Feigen, Feigen« klang wie ein Hilferuf an mein Ohr. ich nahm mir vor, ihr beim Fortgehen ein gutes Bakschisch zu geben. Ich hatte bemerkt, daß ich nicht der einzige war, welcher sich von dem Kinde angezogen fühlte. Der Kellnerjunge war in der Zeit von einer Stunde dreimal zu ihr hinübergegangen, um sich eine Feige zu kaufen. War er ein Leckermaul oder that er das aus kindlicher Sympathie? Wenn er sich ihr näherte, so leuchteten ihre Augen auf, und ihr Gesichtchen nahm den Ausdruck hervorbrechender Liebe an. Dies geschah auch allemal, wenn sie hinüberblickte und ihr Auge dem seinigen begegnete.

      Jetzt eben hatte er nichts zu thun; er hockte, halb abgewendet von uns in einer Ecke und – — ja wahrhaftig, er weinte; ich sah, daß er mit der äußern Handfläche immer und immer wieder die hervorquellenden Thränen trocknete. Konnte der naseweise Junge auch traurig sein? Dann war es kein gewöhnliches, kindisches Herzeleid, welches ihn bewegte und ihm hier in dieser Umgebung, in dieser Öffentlichkeit das Wasser in die Augen trieb.

      Der Blick der Kleinen entdeckte ihn in seinem Winkel; sie sah ihn weinen, und sofort fuhr auch sie mit den beiden Händen nach den Augen. Es mußte irgend ein zärtliches Verhältnis zwischen den beiden schönen Kindern bestehen. Wie es eigentlich kam, und warum ich es that, das vermag ich nicht zu sagen, aber ich war aufgestanden und ging in die Ecke. Als der Junge mich vor sich sah, stand er auf und wollte, ein leises Schluchzen unterdrückend, sich entfernen. Ich hielt ihn am Arme fest und fragte in vertrauenerweckendem Tone:

      »Warum weinst du? Magst du mir das sagen?«

      Er sah mir ins Gesicht, wischte sich die Augen thränenleer und antwortete:

      »Weil niemand von Djangeh kauft.‹,

      »Meinst du die kleine Feigenverkäuferin da drüben?«

      »Ja.«

      »Nun, du kaufst ihr doch ab; ich sah es schon einige Male.«

      Er schien zu meinen, daß ich ihn damit der Leckerhaftigkeit anklagen wolle, denn er antwortete lebhaft und wie entrüstet:

      »Ich habe die Feigen nicht gegessen; ich gebe sie ihr wieder, wenn der Gebieter vorüber ist. Ich habe nur gekauft, damit sie Geld bekommt, denn wenn sie am Abend nicht fünf Piaster bringt, so bekommt sie Schläge und nichts zu essen und wird mit den Händen und Füßen krumm an den Pfahl gebunden. Ich muß acht Piaster bringen. Heute habe ich schon vier als Bakschisch bekommen; der Herr des Bierhauses giebt mir täglich drei, so brauche ich für heute nur noch einen. Den wird mir schon noch jemand schenken, und so habe ich Djangeh zwanzig Para für Feigen gegeben.«

      »An wen mußt du denn die acht Piaster entrichten?«

      »An unsern Gebieter.«

      »Der auch derjenige von Djangeh ist?«

      »Ja; sie ist doch meine Schwester.«

      »Und wer ist euer Gebieter?«

      »Er ist ein böser Mann und heißt Abd el Barak.«

      »Hat er euch denn von eurem Vater gemietet?«

      »Nein, unser Vater und unsre Mutter wohnen weit von hier. Er hat uns gekauft von dem Manne, welcher unser Dorf überfiel, unsere Hütten niederbrannte und uns dann mit vielen anderen gefangen nahm, um uns zu verkaufen.

      »So seid ihr Sklaven, ihr Armen! Wie heißt das Land, in welchem ihr gewohnt habt?«

      »Das weiß ich nicht, es hat keinen Namen. Der Fluß heißt Bahr el Abiad.«

      »Aber wie dein Volk heißt, das kannst du mir sagen?«

      »Ja; unsere Männer nennen sich Dongiol.»

      »Weine nicht wegen heute; es soll euch nichts geschehen. Hier hast du zehn Piaster, welche du mit Djangeh teilen magst; sie soll zu essen haben und nicht krumm angebunden werden.«

      Als ich ihm das Geld in die Hand legte, schossen ihm die Freudenthränen in die Augen; er wollte sprechen, sich bedanken; seine Lippen bebten, aber er brachte die Worte nicht heraus. Eine Bewegung, welche er gegen die Straße machte, verriet mir, daß er gleich hinüber zu seiner Schwester wolle, um ihr das Geld zu geben; aber er besann sich und murmelte:

      »Nein, jetzt nicht, sondern erst dann, wenn der Gebieter vorüber ist.«

      »Warum?«

      »Weil

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