Waldröschen III. Matavese, der Fürst des Felsens. Teil 1. Karl May
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Читать онлайн книгу Waldröschen III. Matavese, der Fürst des Felsens. Teil 1 - Karl May страница 3
»Endlich habe ich dich!« rief er. »Heraus aus dem Bett und folge mir!« – »Ich bin krank, Vater«, entgegnete sie bittend. – »Krank?« fragte er. »Du bist ja wach, du kannst ja sprechen. Heraus und fort mit dir!«
Da trat ihr Bruder zu ihr heran und fragte:
»Du bist wirklich in die Seine gesprungen, wie du uns drohtest, Annette?« – »Ja«, gestand sie leise. – »Welch eine Dummheit!« – »Dummheit?« rief der Vater. »Nein, eine Schlechtigkeit war es! Sie wollte uns blamieren, sie wollte uns um das Geld bringen, was sie zu verdienen hat. Sie mag uns jetzt folgen, und daheim soll sie sehen, was ihrer wartet.« – »Du wirst ihr nichts tun«, versetzte der Sohn. – »Nichts? O nein, nichts, gar nichts!« antwortete der Vater höhnisch. – »Nein, ich verbiete es dir!« – »Was hättest du mir zu befehlen! Sie soll gehorchen lernen!« – »Das wird sie, aber ohne daß du sie schlägst. Sie hat eine Dummheit begangen und wird sie bereuen. Komm, Annette!«
Das Mädchen blickte Sternau hilfesuchend an. Die beiden Männer hatten sich bisher gar nicht um ihn gekümmert. Er sagte nun mit ruhiger, aber fester Stimme:
»Die Demoiselle wird hierbleiben.« – »Ah«, entgegnete der Vater. »Wer sind Sie?« – »Ich habe Ihre Tochter aus der Seine geholt und hierhergebracht und glaube mir dadurch das Recht erworben zu haben, an Ihrer Unterhaltung teilnehmen zu können.«
Der Alte blickte ihn giftig an und erwiderte:
»Meinetwegen. Aber unsere Unterhaltung ist leider bereits vorüber.« – »Wohl schwerlich«, meinte Sternau. »Sie verlangen, daß Ihnen Ihre Tochter folgt, und ich verbiete es ihr.« – »Ah! Wirklich?« fragte Mason höhnisch. »Mit welchem Recht?« – »Zunächst mit dem Recht des Arztes.« – »Oh, Sie sind Arzt? Sie holen sich Ihre Patienten selbst aus dem Wasser? Das ist außerordentlich praktisch. Leider aber steht es hier nur allein mir zu, zu bestimmen, von welchem Arzt meine Tochter behandelt werden soll.« – »Schweig, Alter!« gebot der Sohn. »Dieser Herr hat Annette gerettet, er ist ihr nachgesprungen und hat sein Leben gewagt, seine Kleider triefen noch jetzt vom Wasser des Flusses. Du bist ihm Dank schuldig und wirst höflich mit ihm sein. Wenn er Arzt ist, werden wir seine Meinung anhören.« – »Den Teufel werde ich anhören!« entgegnete der Alte. »Das Mädchen will ich haben, weiter nichts! Vorwärts!«
Damit faßte er Annette bei der Hand, um sie aus dem Bett zu ziehen, da aber schob ihn Sternau zur Seite.
»Halt«, sagte er. »Sie haben diese Patientin nicht zu berühren. Ich als Arzt muß wissen, ob sie bereits jetzt das Bett verlassen darf. Sie wird bleiben, sie wird Ihnen nicht folgen, jetzt nicht und vielleicht auch nicht später.« – »Ah, wirklich?« fragte der Alte ganz erstaunt. – »Ja, wirklich!« – »Und das sagen Sie mir, mir, dem Vater?« – »Wie Sie hören. Zunächst ist Ihre Tochter krank, sie bleibt heute hier liegen. Und sodann weiß ich ganz genau, was für ein Schicksal ihrer daheim wartet, sie wird nicht nach Hause zurückkehren.« – »Nicht? Gewiß nicht?« fragte der Alte zwischen maßlosem Erstaunen und aufkeimendem Zorn. – »Nein, gewiß nicht Sie haben nicht als Vater an ihr gehandelt. Sie haben Ihre Vaterrechte verloren, es wird anderweit für sie gesorgt werden.« – »Nicht als Vater an ihr gehandelt? Nicht, nicht? Wer hat dies gesagt? Sie selbst, keine andere als sie selbst. Und das soll sie mir büßen.«
Er erhob den Arm, um nach seiner Tochter zu schlagen, Sternau aber gab ihm einen Stoß, daß er zurückfuhr und an die Wand taumelte. Da trat der Sohn, der sich bisher nur beobachtend verhalten haue, vor und sagte:
»Mein Herr, Sie haben meine Schwester gerettet, aber das gibt Ihnen noch kein Recht, meinen Vater zu schlagen!«
Sternau erhob sich von dem Stuhl, auf dem er saß, und stellte sich mit seiner Herkulesgestalt dem Schmied gegenüber, der nun erst merkte, welch einen Mann er vor sich hatte.
»Monsieur Mason«, sagte er, »es ist gar nicht meine Absicht Ihren Vater zu schlagen, ich beabsichtige nur, mich dieses Mädchens anzunehmen. Ich sage Ihnen aufrichtig, daß sie Ihnen nicht folgen wird, sondern daß ich sie in die Familie braver, rechtlicher Leute bringen werde, wo sie sich glücklich fühlen wird. Das werde ich tun, und wer mich daran zu hindern versucht, der hat es sich selbst zuzuschreiben, wenn ich Gewalt anwende.« – »Wie schön das klingt«, höhnte der Alte. »Er will sie für sich selbst behalten.« – »Pah«, antwortete Sternau, »ich bin fremd, ich verlasse sehr bald diese Stadt, meine Absicht ist eine reine und ehrliche.« – »Ich glaube es Ihnen«, sagte der Sohn. »Sie sehen wie ein ehrlicher Mann aus. Aber was wollen Sie tun, wenn wir Ihnen die Schwester nicht lassen?«
Sternau lächelte überlegen und antwortete:
»Glauben Sie, daß Sie mir dieselbe vorenthalten können?« – »Gewiß!« – »Sie irren sich. Ich brauche nur zu beweisen, daß Sie ohne Existenzmittel sind und daß Sie es Ihrer Tochter und Schwester zumuten, Sie auf eine Weise zu ernähren, die gegen alle sittlichen Gesetze verstößt, so wird sich die Polizei sofort Ihrer Schwester annehmen und auch auf Sie ein wachsameres Auge haben als bisher.« – »Donnerwetter, Sie drohen uns?« – »Allerdings!« – »Und Sie glauben, daß wir uns fürchten?« – »Ich vermute es!« – »Ah, das hat mir noch keiner gesagt.« – »Das ist möglich, also sage ich es. Ich rate Ihnen sehr, sich den gegenwärtigen Umständen gutwillig zu fügen. Ihr Widerstand würde nicht nur nutzlos, sondern Ihnen sogar schädlich sein.« – »Das wollen wir sehen«, meinte der Vater. »Fasse an, Junge, sie muß mit!«
Aber der Sohn folgte diesem Ruf nicht. Er sah den hohen stolzen Deutschen vor sich stehen, er blickte in dessen mildes und doch so ernstes Auge und fühlte sich durch den Blick desselben besiegt und entwaffnet. Es war der Eindruck einer reinen, festen Männlichkeit auf einen moralisch haltlosen Charakter.
»Schweige!« gebot er seinem Vater. Und dann fragte er den Arzt: »Sie meinen es mit meiner Schwester wirklich ehrlich und werden dafür sorgen, daß sie einen guten Weg durch das Leben findet, dadurch, daß Sie ihr eine Stellung in einer hiesigen Familie geben?« – »Ja, gewiß werde ich dies tun.« – »Und sie nicht veranlassen, ihren Vater und Bruder zu verleugnen und zu verachten?« – »Es wird das auf sie selbst ankommen, ich werde sie in dieser Beziehung nicht im mindesten beeinflussen. Ich bahne ihr den Lebensweg; ob und wie sie ihn wandeln wird, das ist ganz allein nur ihre eigene Sache.« – »Werden wir erfahren, wo sie sich befindet?« – »Sie wird es Ihnen mitteilen.« – »Gut, mein Herr, so sind wir einig. Ich überlasse Ihnen meine Schwester gern.« – »Aber ich überlasse ihm meine Tochter nicht!« rief der Vater. »Ich brauche sie, ich bin alt und schwach, ich kann nicht mehr arbeiten.« – »Sie haben einen Sohn«, sagte Sternau, »einen starken, kräftigen Sohn, der gewiß gern für Sie sorgen wird.« – »Ja«, sagte der Sohn. »Komm, Vater, wir gehen unseren Weg weiter, aber wir wollen uns dabei von dem Vorwurf freihalten, daß wir Annette mit uns gerissen haben.« – »Nein, ich gehe nicht, ich bleibe, bis das Mädchen gehorcht«, behauptete der Alte. – »Pah! Ich will es, und so wirst du es auch wollen«, meinte der Sohn. »Ich will morgen wieder nachfragen, jetzt aber gehen wir. Vorwärts!«
Der Vater wollte sich sträuben, der Sohn aber faßte ihn und schob ihn zur Tür hinaus.
Annette hatte während des Verlaufs des Gesprächs wortlos im Bett gelegen, jetzt aber streckte sie dem Arzt ihre Hand entgegen.
»Mein Herr, oh, wie danke ich Ihnen«, sagte sie. »Sie sind mein doppelter Retter. Sie haben mich zweimal gerettet, erst aus dem Wasser der Seine und nun aus dem Schlamm des Elendes, in das man mich zurückziehen wollte.«
Sternau