Waldröschen III. Matavese, der Fürst des Felsens. Teil 1. Karl May
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Damit zog Sternau seinen Rock an und setzte seinen Hut auf, um zu gehen. Draußen trat ihm bereits die Wirtin entgegen.
»Ich hörte die beiden Menschen gehen. Mein Gott waren dies rohe Leute!« – »Sie sind bereit Madame, das Mädchen bis zu ihrer Genesung bei sich zu behalten?« – »Von Herzen gern, mein Herr.« – »Aber Sie werden viel Störung von ihr haben.« – »Davor scheue ich mich nicht. Das Mädchen ist nicht schuld an seinem Elend.« – »Gewiß nicht. Was Sie an ihr tun, wird Gott Ihnen lohnen. Übrigens versteht es sich von selbst, daß ich die auflaufende Rechnung auf mich nehme.« – »Das ist sehr edel von Ihnen, mein Herr, obgleich ich nicht danach fragen würde, trotzdem ich selbst arm bin.« – »Nun, dann nehmen Sie hier diese Börse, Madame. Ich werde jetzt gehen, morgen früh aber wieder hier sein. Gute Nacht!«
Als Sternau sein Hotel in der Rue de la Barillerie erreichte, war es bereits Mitternacht. Er besuchte zunächst seine kranke Braut die sich in abgeschiedenen Räumen unter der Aufsicht der guten Elvira und einer barmherzigen Schwester befand, und ging dann schlafen.
Am anderen Morgen besuchte er seine Gerettete bei Mutter Merveille wieder. Es ergab sich, daß er gestern abend ganz richtig vermutet hatte, Annette befand sich aber trotz der Schwäche außer Gefahr.
Sternau begab sich hierauf zu Professor Letourbier, bei dem er zum Frühstück eingeladen war. Im Lauf des letzteren erzählte er sein gestriges Abenteuer und erregte dadurch die Teilnahme der Frau Professorin in einer solchen Weise, daß sie sich erbot, das Mädchen zu sich zu nehmen. Das hatte er beabsichtigt.
Besonders erfreut war er, als die Professorin bei seinem Fortgang bat, ihn zu seiner Patientin begleiten zu dürfen.
Sie fanden dieselbe jetzt einigermaßen gekräftigt. Das Mädchen weinte Tränen der Freude, als es hörte, daß es eine solche Beschützerin erhalten solle, und wurde von Sternau auch sofort der Professorin definitiv übergeben.
Zwei Tage später reiste er mit Rosa, Alimpo und Elvira ab, um seine Mutter und Schwester in Rheinswalden aufzusuchen. Der geehrte Leser weiß bereits, daß es ihm dort gelang, die Geliebte von ihrem Irrsinn zu heilen.
2. Kapitel
Es war nur einen Tag nach Sternaus Abreise von Paris, als auf dem Perron der Bahn nach Orleans ein junger Herr aus einem Wagen erster Klasse stieg. Ein schwarzgekleideter Diener, der in einem Wagen zweiter Klasse gesessen hatte, eilte herbei, um ihm behilflich zu sein.
»Das Gepäck bleibt hier. Einen Wagen nach irgendeinem Hotel!«
Der Diener gehorchte, und bald rollten beide einem auf dem nahen Platz Walhubert liegenden Hotel zu. Dort verlangte der Fremde neben einer Flasche Wein das Adreßbuch der Stadt Paris und schlug da die Abteilung »L« auf. Hier glitt er mit dem Finger von Zeile zu Zeile, bis er auf den Namen »Letourbier, Charles François, Professeur de medecin« stieß.
»Dort ist seine Adresse ganz sicher zu erfahren«, murmelte er. »Bei diesem Professor war er, ehe er nach Rodriganda kam, und bei ihm wird er jedenfalls auch wieder vorgesprochen haben. Also Rue de Lavande 4.«
Darauf gab er seinem Diener einen Wink und sagte zu ihm mit gedämpfter Stimme:
»Du erwähntest, als ich dich in Orleans engagierte, daß du Paris kennst.« – »Allerdings, gnädiger Herr.« – »Weißt du, wo die Rue de Lavande liegt?« – »Ganz genau. Sie verbindet die große Rue de Rivoli mit dem Quai de la Mégisserie.« – »Gut. Du nimmst jetzt eine Droschke und suchst Nummer 4 dieser Straße. Dort wohnt ein Professor Letourbier, bei dem erfahren werden kann, wo ein gewisser Doktor Karl Sternau zu finden ist, der vor kurzer Zeit aus Spanien zurückkehrte.« – »Darf ich direkt beim Professor nachfragen?« – »Es würde mir das nicht angenehm sein, ist es aber nicht zu umgehen, so mußt du es tun.« – »Darf man wissen, wer die Adresse dieses Arztes haben will?« – »Nein, auf keinen Fall.« – »Ich werde bald wieder zurück sein.«
Der Diener ging und setzte sich in eine Droschke. Da, wo die Rue de Lavande an die Straße St Germain l‘Auxerrois stößt, stieg er aus und trat in das Portal der Mairie, der die Nummer 4 gegenüberlag. Er sah da drüben zahlreiche Leute ein und aus gehen und bemerkte endlich ein Mädchen, das begann, mit einem Besen den Flur zu reinigen. Er begab sich hinüber zu ihr und grüßte höflich:
»Guten Morgen, Mademoiselle. Verzeihen Sie! Dienen Sie in diesem Haus?« – »Ja«, antwortete sie, sichtlich geschmeichelt von dem höflichen Ton seiner Anrede. – »In welcher Abteilung desselben?« – »Im Parterre.« – »Ah, wie schade, ich hätte nämlich gern in der ersten Etage eine kleine Erkundigung eingezogen.« – »Darf ich es Marion sagen?« – »Wer ist Marion?« – »Das Stubenmädchen des Professors, der da oben wohnt.« – »Ja, bitte, Mademoiselle. Aber es wird doch nicht auffallen?« – »Nein, mein Herr.«
Sie hüpfte davon und die Treppe empor. In kurzer Zeit kehrte sie mit einem Mädchen zurück, das die eigentümliche Tracht der Bretagne trug.
»Das ist der Herr, Marion«, sagte sie. – »Was wünschen Sie zu wissen, Monsieur?« fragte Marion in dem harten Dialekt der Bretagne. – »Eine kleine Auskunft, mein Fräulein.«
Dabei griff der Diener in die Tasche und offerierte einem jedem der beiden Mädchen ein blankes Frankstück.
»Sie soll Ihnen werden, mein Herr«, entgegnete Marion. »Ich sehe, daß Sie in einem gebildeten Haus dienen.« – »Das ist allerdings wahr«, versetzte er. »Mein Herr ist der Vicomte de Rallineux, der leider bereits längere Zeit krank darniederliegt.« – »Ah, ich bedaure«, sagte das Mädchen des Parterres höflich. – »Ich ebenso«, fügte Marion hinzu. – »Danke, meine Damen. Der Herr Vicomte bediente sich früher eines Doktors Sternau, dessen Geschicklichkeit er fast seine Heilung zu verdanken hatte, als dieser Arzt plötzlich nach Spanien verreiste.« – »Ich weiß das«, beeilte Marion sich zu bemerken. »Monsieur Sternau erhielt einen Ruf zu dem berühmten Grafen de Rodriganda.« – »Das war schlimm für den Herrn Vicomte, denn sein Übel wurde sofort größer, und kein Arzt brachte Hilfe. Jetzt erfährt mein Herr zufällig, daß Monsieur Sternau von Spanien zurückgekehrt sei …« – »Allerdings, mein Herr!« – »So erteilte er mir den Auftrag, mich hier zu erkundigen, natürlich aber, ohne den Herrn Professor selbst zu inkommodieren.« – »So wollen Sie also wissen, wo Monsieur Sternau wohnt? Das kann ich Ihnen ganz genau sagen. Kennen Sie die Straße de la Barillerie?« – »Ich kenne sie«, nickte er. »Auf der rechten Seite dieser Straße liegt der Justizpalast und die kleine Straße St. Chapelle, und an der Ecke dieser Straße steht das Hotel d‘Aigle. In demselben bewohnt Monsieur Sternau einige Zimmer der ersten Etage.«
Das Mädchen hatte das in sehr umständlicher Weise gesagt, dennoch aber machte der höfliche Diener eine tiefe Verbeugung und erwiderte:
»Ich danke Ihnen, Mademoiselle. Wird Monsieur Sternau um diese Zeit zu sprechen sein?« – »Ich weiß es nicht. Ah, da fällt mir ein, gehört zu haben, daß vorgestern von seiner Abreise die Rede war.« – »Sie meinen also, daß ich mich beeilen muß?« – »Gewiß, mein Herr. Ich hörte zwar nur im Vorübergehen eine Silbe fallen, aber es ist doch besser, Sie gehen sicher.« – »Dann darf ich Ihnen nicht länger mißfällig sein. Adieu, meine Damen!«
Er verabschiedete sich mit einem Kompliment, als wenn er zwei Herzoginnen vor sich habe. Sie blickten ihm nach, und dann meinte Marion:
»Ein sehr feiner Herr!« – »Sehr fein«, nickte die andere. – »Ich wollte, er fände den Doktor nicht. Dann käme er vielleicht wieder.« – »Hm, ja! Ich werde den Flur ein wenig langsam kehren, damit ich noch da bin, wenn er etwa zurückkommt.« –