Waldröschen IV. Matavese, der Fürst des Felsens. Teil 2. Karl May

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Waldröschen IV. Matavese, der Fürst des Felsens. Teil 2 - Karl May

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Männer sich gegenüberstanden, maßen sie sich zunächst mit forschenden Blicken. Sternau erkannte sofort, daß er keinen gewöhnlichen Mann vor sich habe, und das Auge des Lords wiederum hing mit sichtbarem Wohlgefallen an der Riesengestalt und dem offenen Angesicht des Deutschen.

      »Sie haben mich zu sprechen verlangt?« fragte der letztere in wohlklingendem Spanisch. – »Allerdings«, antwortete der erstere. »Vielleicht ist es Ihnen lieber, wenn wir uns der deutschen Sprache bedienen?« – »Ah, Sie sind ein Deutscher?« – »Nein, ein Engländer. Mein Name ist Lindsay.«

      Sternau machte eine Gebärde der Überraschung.

      »Lindsay, Sir? Sie sind vielleicht gar Lord Lindsay, der Vater von …?« – »Allerdings bin ich der, mein Herr.« – »Dann bitte ich dringend, Platz zu nehmen, Sir. Ich konnte nicht ahnen, daß ich einen so unerwarteten Besuch bei mir sehen würde.« – »Unerwartet ist dieser Besuch allerdings«, sagte Lindsay, indem er sich setzte. Aber Sie werden dennoch den Grund desselben ahnen.« – »Vielleicht«, antwortete Sternau mit einer ernsten Neigung seines Hauptes. – »Lassen Sie sich zunächst Dank sagen, Herr Doktor, für die Freundlichkeit und Aufmerksamkeit, die Sie meiner Tochter erwiesen haben.« – »O bitte! Ich tat nichts anderes, als was jeder gebildete Mann tun würde.« – »Und sodann erlauben Sie mir, mich in einer sehr ernsten Sache an Sie zu wenden.«

      Sternau hielt es für seine Pflicht, dem Lord entgegenzukommen.

      »Sie meinen den Freund, der bei mir ist?« fragte er. – »Ja. Ich meine das Verhältnis dieses Herrn zu meiner Tochter.« – »So hat Miß Amy Ihnen sofort erzählt …?« – »Sofort! Ich konnte das auch gar nicht anders von ihr erwarten. Sie ist gewöhnt, ihrem Vater zu vertrauen. Sie kennen diesen Freund genau, Herr Sternau?« – »Ja.« – »Und auch seine Vergangenheit?« – »Ja.« – »So ist Ihnen dieselbe also kein Rätsel?« – »Nein.« – »Aber Amy sagte doch, daß er sich in Verhältnissen befinde, die eine geradezu abenteuerliche Entwicklung derselben erwarten lassen.« – »Wollen Sie mich nicht falsch verstehen, Sir!« bat Sternau. »Sie fragten mich, ob ich die Verhältnisse meines Freundes kenne, und ich bejahte diese Frage, weil ich die Lage meinte, in der er sich gegenwärtig befindet. Er ist – um kurz zu sein – ein entsprungener Räuberzögling, der auf Gottes weiter Welt nichts, gar nichts sein eigen nennt. Das ist, was ich über ihn zu sagen habe.«

      Der Lord sah den Sprecher fragend und ungewiß an. Dann sagte er:

      »Aber dieser Zögling der Räuber hat wohl eine Zukunft?« – »Höchstwahrscheinlich.« – »Und welche?«

      Sternau zuckte die Schultern. Er kannte den Lord nicht, er wußte nicht, mit welchen Hintergedanken derselbe gekommen sei, und verhielt sich daher zurückhaltend.

      »Sie sind sehr reserviert, Herr Sternau«, versetzte Lindsay. »Lassen Sie sich sagen, daß ich nichts so sehnlich wünsche, als daß mein Kind glücklich sei. Sie werden aber einsehen, daß ein vorsichtiger Vater keineswegs das Glück seines Kindes in einer Verbindung mit einem Mann gesichert sieht, von dem er nichts anderes weiß, als daß derselbe ein Räuber war.« – »O bitte, Mariano war nicht Räuber, Sir!« – »Gut, ich will das zugeben. Sie werden jedoch meinen Wunsch begreifen, etwas Näheres über diesen Mariano zu erfahren. Und da Sie mir als ein Ehrenmann geschildert worden sind, so hielt ich es für das einfachste, Sie um Aufklärung zu bitten. Wird diese Bitte eine Fehlbitte sein?«

      Diese Worte waren in einem so offenen und herzlichen Ton gesprochen, daß Sternau sich besiegt fühlte. Er antwortete:

      »Mylord, was ich weiß, das sollen Sie erfahren. Fragen Sie!« – »Man vermutet, daß Mariano das geraubte Kind des Grafen Emanuel de Rodriganda sei?« – »Ja.« – »Und was halten Sie selbst von dieser Vermutung?« – »Ich halte sie für sehr begründet. Ja, ich bin sogar derjenige, dem diese Vermutung zuerst gekommen ist.« – »Darf ich Sie um die Gründe bitten, die Sie auf einen ebenso seltsamen wie kühnen Gedanken gebracht haben?« – »Gewiß! Wenn es Ihnen Ihre Zeit erlaubt, werde ich Ihnen meine Erlebnisse erzählen.« – »Ich ersuche Sie darum. Zwar hat mir meine Tochter bereits einige Mitteilungen gemacht, doch sind diese noch so lückenhaft, daß ich auf die Ihrigen förmlich gespannt sein muß.« – »So hören Sie!«

      Sternau erzählte nun auf das ausführlichste alle seine Erlebnisse und Gedanken, von seiner Ankunft in Spanien an bis auf die gegenwärtige Stunde. Der Lord hörte mit immer mehr wachsender Spannung zu. Sternaus Worte trugen das Gepräge der nüchternsten Wahrheit, und die Schlüsse, die er zog, ruhten auf so sicheren Gründen und Voraussetzungen, daß der Lord sich schließlich ganz überzeugt fühlte.

      »Aber das ist ja etwas ganz Außerordentliches!« rief er. »Das liest man ja auf diese Weise kaum in einem Roman!« – »Ich gebe das zu, Mylord«, erwiderte Sternau. »Aber Sie werden nicht glauben, daß ich Ihnen Unwahrheiten erzählte!« – »Keineswegs!« versetzte Lindsay schnell. – »Und ebensowenig werden Sie sagen, daß meine Berechnungen in der Luft ruhen!« – »Auch das nicht. Ich fühle mich im Gegenteil von der Schärfe Ihrer Schlüsse ganz fortgerissen und überzeugt. Also lassen Sie uns einmal die Summe ziehen: Dem Grafen Emanuel des Rodriganda wurde der einzige noch lebende Sohn geraubt …« – »So ist es.« – »Der Raub geschah mit Hilfe von Briganten, die den Knaben in ihrer Höhle verbargen. Der eigentliche Räuber aber ist Gasparino Cortejo.« – »Ich bin vollständig überzeugt davon.« – »In welcher Absicht geschah der Raub? Das ist eine hochwichtige Frage.« – »Um einen Sohn dieses Gasparino zum Grafen Rodriganda zu machen.« – »Und die Mutter dieses Kindes ist jene fromme Schwester Clarissa?« – »Ja.« – »Gut, so wollen wir weiter summieren! Der Pater Dominikaner kannte das Geheimnis und verriet es auf Veranlassung jenes Bettlers Pedro so ziemlich an den geraubten Knaben. Dieser erhielt dadurch eine Ahnung von seiner Abstammung. Er kam nach Rodriganda und wurde von Cortejo erkannt. Infolgedessen übergab dieser ihn dem Piratenkapitän, der ihn unschädlich machen sollte. Sie retteten ihn und bringen ihn nach Mexiko. Ist es so?« – »Vollständig.« – »Was aber beabsichtigten Sie mit Ihrer gegenwärtigen Reise nach Mexiko?« – »Zunächst will ich sehen, ob jene Marie Hermoyes, die das untergeschobene Kind nach Mexiko brachte, noch lebt, und ebenso jener Pedro Arbellez, der zur damaligen Zeit Inspektor des Grafen Ferdinando hier war. Und ferner dürfen Sie nicht vergessen, Mylord, daß ich vermute, daß Graf Ferdinando damals gar nicht gestorben ist. Jener Steuermann, der im Gefängnis von Barcelona starb, erzählte von einem Gefangenen, der nach Harrar verkauft worden ist.« – »Und Sie vermuten in jenem Gefangenen den Grafen Ferdinando?« – »Ja. Diese Vermutung mag Ihnen außerordentlich kühn erscheinen, aber wenn Sie bedenken, mit welchen Mitteln Cortejo operiert, so werden Sie keine Unwahrscheinlichkeit darin erblicken. Ich bin fest entschlossen, das Erbbegräbnis der Rodriganda hier in Mexiko zu öffnen, um zu sehen, ob sich die Leiche im Sarg befindet.« – »Ich werde Ihnen behilflich sein, die Erlaubnis der Behörde dazu zu erhalten.«

      Sternau machte eine geringschätzige, verneinende Handbewegung und erwiderte:

      »Ich danke Ihnen, Mylord. Ich sehe von aller behördlichen Hilfe ab.« – »Aber Sie begeben sich da in große Gefahr, Herr Sternau.« – »Pah, diese Gefahr fürchte ich nicht! Wenn ich Sie um etwas bitte, so ist es ein anderes.« – »Was?« – »Vielleicht ist es Ihnen möglich, mir die Bekanntschaft mit Pablo Cortejo zu erleichtern.« – »Das will ich Ihnen sehr gern zu Gefallen tun. Sie wollen ihn kennenlernen?« – »Ja; es ist dies durchaus notwendig.« – »Gut. Ich verkehre in Kreisen, in denen auch er zuweilen anwesend ist. Übrigens bin ich überzeugt, daß er ein Schurke ist. Er wollte mich kürzlich ah, da fällt mir ja gleich ein … Sie suchten den Aufenthalt des Pedro Arbellez?« – »Ja; ich sagte dies bereits vorhin.« – »Nun, da kann ich Ihnen Auskunft geben. Er ist jetzt der Besitzer der Hacienda del Erina im Norden des Landes. Cortejo wollte mich betrügen. Ich sollte diese Hazienda von ihm kaufen, obgleich sie Eigentum dieses Arbellez ist. – »So bin ich vielleicht gezwungen, diese Hazienda aufzusuchen.« – »Aber Herr Sternau, warum geben gerade Sie sich so große

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