Wahre Geschichten eines Abends. Marina Linnik

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Wahre Geschichten eines Abends - Marina Linnik страница 6

Wahre Geschichten eines Abends - Marina Linnik

Скачать книгу

type="note">[21] keines, von dem ich wüsste.

      Den Menschen, die im Salon saßen, lief es eiskalt den Rücken hinunter. Viele wollten schon das Vorhaben aufgeben, aber die Neugierde erlangte die Oberhand über die Angst und erwartende Blicke wurden auf den großen stattlichen Fürsten gerichtet.

      – Ihnen allen ist meine Leidenschaft zu alten Büchern bekannt. Ohne Zweifel wissen Sie auch von meinem langgehegten Traum, die Bibliothek von Iwan dem Schrecklichen zu finden, die sich immer noch in Moskau befindet, so die Legende. Um dieses Ziel zu erreichen, gebe ich solide Geldmittel aus, doch meine Suche ist vom Erfolg immer noch nicht gekrönt.

      – Gut, dass Sie mich daran erinnert haben, Nikifor Andrejewitsch, – unterbrach Graf Akussin den Fürsten. – Ganz neulich stieß ich dienstmäßig auf ein höchst bemerkenswertes Dokument. Ohne Zweifel wäre es für Sie vom Interesse. Das Dokument ist alt und hat meiner Meinung nach mit Ihrer Suche zu tun.

      Die Augen des Fürstens erglänzten fieberhaft. Eine starke Aufregung packte ihn. Nun ähnelte er kaum jenem phlegmatischen Menschen, der selten am gemeinsamen Gespräch teilnahm (und auch wenn er daran teilnahm, tat er das, um sein Skeptizismus über zu beschreibende Ereignisse zu äußern), den man im Natalja Andrejewnas Salon kannte. Man respektierte seine alten Meriten vor dem Vaterland, bespottete aber seine Überheblichkeit hinter dem Rücken.

      – Sie lassen das Herz des alten Soldaten klopfen, als sei das Vorabend einer entscheidenden Schlacht. Wie? Wo?

      – Ein wenig später, gnädiger Herr, denn wir sind schon auf Ihre Gruselgeschichte gespannt, – protestierten die Gäste, die genauso hasardvoll auf die Erzählung des Fürsten warteten.

      Nikifor Andrejewitsch blickte alle aufgeregt an, aber da er keine Unterstützung fand, musste er aufgeben.

      – Bien, – ließ der Fürst seinen Kopf hängen. – Wie kann ich unseren schönen Damen Nein sagen… Wie ich schon erwähnt habe, scheue ich weder Zeit noch Geld, um meinen Traum in Erfüllung zu bringen. Als ich aus meinem Dienst ausschied, wurde dieser Traum der Sinn meines Lebens. Deswegen besuche ich Klöster, sitze in staubigen, dunklen Bibliotheken. Manchmal finden sich ungewöhnliche und sehr alte Bücher, altertümliche Schriftrollen. Aber darin gibt es keine Erwähnungen über die Bibliothek des rigorosen Zaren…

      Der Fürst schwieg. Die Erinnerungen verdrängten für eine Weile den brennenden Wunsch, nach dem Dokument zu fragen, das Graf Akussin erwähnt hatte. Das Gesicht von Nikifor Andrejewitsch wurde von Besorgtheit überschattet, der Glanz seiner Augen, vor denen sich seine Unterordneten so ängstigten, erlosch. Natalja Andrejewnas Gäste kannten diesen strengen unempfindsamen Mann schon lange. Er stand mit beiden Füßen fest auf der Erde und glaubte weder an übernatürliche Kräfte noch an okkulte Wissenschaften.

      Im Salon war es todesstill. Die Spannung stieg mit jeder Minute, aber der Fürst schien das nicht zu bemerken und schwieg, in seine Gedanken vertieft, weiter.

      – Lieber Nikifor Andrejewitsch, – brach Natalja Andrejewna schließlich die Stille. – Es ist Ihrerseits so unbarmherzig, uns warten zu lassen. N’est-ce pas?[22] – sie ließ den Blick über ihren Freundeskreis gleiten. Alle nickten beifällig.

      Der Fürst zuckte auf und wurde leicht rot, sich seiner Gedankenferne schämend.

      – Ich bitte liebe Gräfin und Sie, meine Herrschaften, um Verzeihung – sagte er verwirrt. – Die Erinnerungen haben mich überschwemmt, so dass ich an jenen Tag zurückdenken musste, da mir ein ganz merkwürdiges Buch begegnet war… Das geschah vor einigen Jahren, an einem jener hitzigen Maitage. Ich fuhr von meinem Landgut. Es lag das Petrowski-Kloster (oder, wie es sonst genannt wird, das Hohe-Petrowski-Kloster) auf meinem Wege. Da die französische Armee es im Jahre 1812 ausplünderte, gibt es hier nichts Kostbares. Ich wusste davon Bescheid, deshalb stieg dort seit damals nie ab. Aber an dem Tag trieb eine geheimnisvolle Kraft mich dorthin. Ich wurde vom Klostervorsteher empfangen. Als er erfuhr, wer ich bin, lud er mich zur Abendmahlzeit ein. Beim Abendbrot kam ich mit Priester Nikon ins Gespräch. Als ich ihm von meiner Leidenschaft erzählte, erfuhr ich überraschenderweise vom Klostervorsteher, dass die Mönche es während des Krieges geschafft hatten, eine Menge Folianten und Manuskripten in einem geheimen Ort zu verstecken, und nun werden die in der Klosterbibliothek aufbewahrt. Bei diesen Worten überfiel mich die durchaus verständliche Aufregung. Was wenn…? Ich bat den Klostervorsteher um Erlaubnis, einen Einblick darin zu gewinnen. Priester Nikon hatte nichts dagegen. Wir stiegen die Wendeltreppe hoch und betraten ein dunkles Zimmer, von dessen Größe ich nicht urteilen konnte, weil es nur mit einer Kerze beleuchtet war, die der Klostervorsteher in der Hand hielt. «Man bringt Ihnen noch Kerzen, Ihre Erlaucht» – «Herzlichen Dank, Ihr Hochwürden,» – antwortete ich und fing an, auf dem nächsten Regal stehende Bücher mit Neugierde zu mustern.

      Ein hochgewachsener junger Mönch brach noch ein paar Kerzen. Er fragte mich nach etwas, aber ich hatte mich in einen Folianten so vertieft, dass ich auf seine Worte nicht achtete. Meine Gedanken waren nur darauf gerichtet, das zu finden, was mir bei der Suche helfen kann. Ich sah ein Buch nach dem anderen durch, ging von einem Regal zum anderen. So verging die Nacht… Ich kam erst dann zur Besinnung, als der Klang der Glocke die Mönche zum Morgengebet einlud.

      – Haben Sie was Interessantes gefunden? – erkundigte sich Graf Akussin.

      – Eher nein als ja, – sagte der Fürst ausweichend.

      – Ihre Worte haben uns fasziniert, mein Lieber, – rief Natalja Andrejewna aus und sah den Erzähler anspruchsvoll an. – Es ist darin ein Geheimnis zu spüren.

      – Sie haben in gewissem Maße recht, – ein Lächeln umspielte das strenge Gesicht von Nikifor Andrejewitsch. – Leider fand ich nichts davon, was mir helfen könnte, wenigstens eine Spanne weiter in meiner Suche vorzurücken. Aber ich stieß mich auf ein höchst bemerkenswertes wie geheimnisvolles Dokument. Es kam mir zuerst vor (eigentlich war es wirklich so), dass ich jemandes Tagebuch gefunden hatte. Ein gewisser Kaufmann – möge er Wassili Nikolajewitsch heißen (ich erlaube mir, ihn bei seinem eigentlichen Namen zu nennen) – beschreibt darin bis ins kleinste Detail sein Leben. Ich will Ihnen diese langweiligen Einträge nicht nacherzählen. Hauptsächlich gibt es da nichts Spannendes: Berichte, Notizen, Berechnungen. Indem ich dieses Tagebuch durchblätterte, begriff ich, dass es sich um einen reichen Kaufmann handelt, der in Sibirien zwei Goldminen besaß…

      – Von wem ist denn die Rede? – sagte Graf Lunin stutzig.

      – Den vollen Namen dieser Person werde ich jetzt nicht verraten, und am Ende meiner Erzählung werden Sie verstehen warum … Ich hatte schon also jene Notizen zugemacht und beiseite gelegt, aber eine geheimnisvolle Kraft ließ mich das Tagebuch wieder zu nehmen. Ich konnte nicht verstehen, was los war. Ich öffnete das Tagebuch und fing wieder an, darin zu blättern. Es war nicht vollgeschrieben, und als ich den letzten Eintrag las, wollte ich es wieder schließen. Aber meine Finger begannen ganz von sich, die leeren Seiten umzublättern und da… – der Fürst schwieg für eine Weile und holte den Atem. Doch den übrigen Gästen kam diese Weile wie Ewigkeit vor.

      – Quälen Sie uns bitte nicht, mein Lieber, – sagte Natalja Andrejewna aufgeregt, ihr Gesicht nervös umwehend.

      – Ja, ich kann Sie verstehen, – murmelte Nikifor Andrejewitsch schuldbewusst, – Ich stoß mich auf neuere Einträge. Ihr gehorsamster Diener dachte, das sei die Fortsetzung des Tagebuches, und wollte es schon zuschlagen, aber in demselben Augenblich wurde ich vor Überraschung gelähmt.

      – Was hat Sie also in Erstaunen versetzt?

      – Die Handschrift…

      – Die

Скачать книгу


<p>22</p>

N’est-ce pas? (fr.) – Nicht wahr?