Wahre Geschichten eines Abends. Marina Linnik
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Fürst Besborodski schwieg. Erdrückende Stille lag in der Luft. Und niemand von den Gästen wollte sie brechen. Alle waren durch die Erzählung des Fürsten zwar beeindruckt, aber sie rief widersprüchliche Gefühle hervor. Schließlich stand Graf Lunin vom Sessel auf und ging ans Fenster. In seine Gedanken vertieft stand er dort eine Weile, dann drehte er sich zum Fürsten um und fragte:
– Haben Sie von diesem Dokument die Polizei benachrichtigt?
– Ja, aber dort wies man auf den Verjährungsablauf hin und wollte mir nicht einmal zuhören.
– Ist es Ihnen nicht egal, was da passiert ist, meine Herrschaften? – sagte Natalja Andrejewna und zuckte ihre Schultern.
Die Erzählung von sich hinterließ in ihrer Seele einen unangenehmen Nachgeschmack und rief ein zwiespältiges Gefühl hervor. Einerseits tat ihr das Mädel leid, das dem eifersüchtigen Libidinisten zu Opfer gefallen war und einen Märtyrertod gefunden hatte, andererseits meinte sie, das Mädchen habe für ihre Sünde gebüßt, und zwar für den Ehebruch. Der unbekannte Kaufmann war für eine noch größere Sünde bestraft, er hatte Gottes fünftes Gebot gebrochen: Du sollst nicht töten. Das Leben ist ein wertvolles Gottesgeschenk und kein sterblicher Mensch ist berechtigt, darüber zu verfügen.
– Kaum möglich, dass dieser Mann noch am Leben ist, – setzte die Gräfin das Gespräch fort, sich ein wenig zusammenkrümmend. – Das Streben nach der Wahrheit wird jetzt sowieso in nichts resultieren. Seine Seele wird kaum irgendwann ihre Ruhe finden.
– Die menschliche Seele ist ein Finsternis, – zog Graf Lunin Bilanz – Die einen begehen edle Taten, die anderen bereuen sich, begehen neue Sünden und dann wieder bereuen sich. Egal ob du arm oder reich bist – solange es auf Erden Versuchungen gibt und sie so süß vorkommen, wird es immer Sünder geben, die sie kosten wollen. So ist leider das Leben!
Geheimnis der Moskauer Katakomben
– Na ja, – sagte Graf Lunin bedächtig, der am Fester stand und daraus den Schnee leise fallen beobachtete. – Wie viele Seelen es noch gibt, die durch die ganze weite Welt wandern… Ein seltsamer und geheimnisvoller Fall. Und haben Sie keine Versuche unternommen, seine Verwandten und jenes Haus zu finden?
– Doch. Trotz aller Müdigkeit zog ich an demselben Tag in die Hauptstadt und ging dort direkt ins Polizeiamt. Nach einer Woche Verhandlung wurde mir dort keine vernünftige Antwort gegeben, außerdem wollte niemand sich dort mit diesem Fall auseinandersetzen. Und erst nachdem ich dort eine schwungvolle Rede gehalten hatte (denn offengestanden kannte meine Empörung keine Grenzen), empfahl mir die dortige Leitung, in Kirchenbüchern zu stöbern, um die Verwandten des Mannes zu finden. Ich tat das. Nach einigen Tagen erfuhr ich, dass der schon bejahrte Enkel vom Autor dieser Beichte in der ***er Gubernia wohnt und er die einzige Person ist, die von dieser einst reichen und bekannten kaufmännischen Familie verblieb. Da ich gespannt war zu erfahren, wie die Geschichte seines Großvaters endete, legte ich alle meine Geschäfte beiseite und ging, ohne eingeladen zu sein, in die ***er Gubernia.
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