Moderne Geister. Georg Brandes

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Moderne Geister - Georg Brandes

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der aus dem „Briefsteller für Liebende“ abgeschriebene Brief. Der Leser kann, wenn er selbst bei Heyse nach besagtem wilden Vogel suchen will, sich einen Einblick in die Compositionsweise des Dichters verschaffen. Nicht immer ist er so leicht zu fangen, wie in den angeführten Fällen. Mit einer Erfindsamkeit, einer behenden Grazie, die bei einem Nicht-Romanen äusserst selten ist, hat Heyse es verstanden, den Knoten der Ereignisse zu schürzen und zu entwirren, das psychologische Problem zu stellen und zu lösen, das er in der Novelle isolirt. Er vermag den einzelnen eigenthümlichen Fall rein und scharf novellistisch von dem allgemeinen Cultur- und Gesellschaftszustande, in welchem er ein Glied ist, abzuheben, ohne wie die romantischen Novellendichter, den Vorgang ins Unwirkliche und Märchenhafte hinüberspielen und ohne ihn jemals in eine blos epigrammatische Pointe auslaufen zu lassen. Seine Novellen sind weder kurze Romane, noch lange Anekdoten. Sie haben zugleich Fülle und streng geschlossene Form. Und so knapp diese Form auch ist, hat sie sich geschmeidig genug erwiesen, um den verschiedenartigsten Stoff in sich aufnehmen zu können. Die Novelle Heyse's schlägt viele Saiten an, wohl am häufigsten die zarten und seelenvollen, aber auch die komischen (wie in dem amüsanten Schwank „Die Wittwe von Pisa“), die phantastischen (wie in der Hoffmanniade „Cleopatra“), ja ein vereinzeltes Mal die schaurigen (in dem peinlichen Nachtstück „Der Kinder Sünde der Väter Fluch“). Die Novelle, wie er sie behandelt, grenzt an die Gebiete Alfred de Musset's, Mérimée's, Hoffmann's und Tieck's, hat aber doch ihre ganz besondere Domäne, wie ihr ganz eigenthümliches Profil.

      VII

      Indessen, so willfährig ich bin, die Bedeutung jenes scharfen Profils als individuelles Merkmal der Heyse'schen Novelle und die Bedeutung desselben für die Novelle als Kunstart anzuerkennen, so schwer fällt es mir, dasselbe als entscheidende Norm für die Schätzung der einzelnen Erzählung gelten zu lassen.

      Die Novelle ist ja, wie jedes Kunstwerk, ein Organismus, in welchem schöne, von einander relativ unabhängige Verhältnisse höchst verschiedener Art zum Totaleindrucke beitragen. Wir verweilten bei den Charakteren und der Handlung; der Stil ist das dritte Element. Nach meiner Ueberzeugung sind diese drei Elemente einander nicht untergeordnet, sondern nebengeordnet, und jedes von ihnen bereitet, wenn es zur Meisterschaft entwickelt ist, dem Leser einen gleich vollkommenen Genuss.

      Zwar kann, wie Heyse hervorhebt, die einseitige Entwicklung des Vortrags zu geistreichen Capriccio's ohne Thema führen; wer aber allzugrosses Gewicht auf „die Geschichte“ legt, kann ja auf der anderen Seite der blossen Unterhaltungslitteratur verfallen.

      „Frühlingsfluthen“ von Turgenjew ist eine Novelle, deren Handlung unbefriedigend verläuft – den Stil im engeren Sinne kann ich nicht beurtheilen, da ich die Erzählung nicht in der Originalsprache kenne – aber bedeutet dieser Mangel viel bei einem solchen Meisterwerk individueller Charakterzeichnung? Wiegt die Schilderung der italienischen Familie nicht an und für sich jede Unvollkommenheit in der Motivirung der Begebenheiten auf? Was thut es, dass der Leser vielleicht sich den Schluss lieber anders vorstellt und nicht zum zweiten Mal lesen mag, wenn er drei viertel der Novelle mit dem gleichen Genuss immer wieder liest?

      Blicher's „Tagebuch eines Dorfküsters“ ist eine Novelle, in welcher die Handlung wenig zu bedeuten hat und die meisten Charaktere durch ihre Rohheit abstossend wirken; aber sie ist deshalb doch ein Werk von höchstem Kunstwerthe; ihre Hauptstärke liegt im Stile, in der meisterhaft durchgeführten, fast zweihundert Jahre alten Sprachweise des braven Küsters. Diese Sprachweise ist uns eine Bürgschaft für die schneidende Wahrheit der Erzählung, eine Wahrheit, zu der man nicht auf dem Wege des Idealismus gelangt, und die darum von Heyse weder gesucht, noch erreicht wird, ich meine jene Wahrheit, die von den Franzosen als la vérité vraie bezeichnet wird.

      Und könnte man nicht Heyse mit seinen eigenen Waffen schlagen? Ich glaube es. Er will mit seiner Betonung dessen, was die Novelle in der Novelle ist, zugleich gegen die Ueberschätzung des Stils und des ideellen Gehalts Front machen. Aber von allen seinen versificirten Novellen scheint mir „Der Salamander“ am höchsten zu stehen, von seinen Prosanovellen ist „Der letzte Centaur“ mir eine der liebsten, und jene scheint mir wegen des Vortrags, diese wegen der Idee den Preis davonzutragen.

      Man gebe sich keine Mühe damit, im „Salamander“ nach einem „Falken“ zu suchen: Handlung gibt es da nicht, die Charaktere entwickeln sich so gut wie gar nicht, und doch wird jeder empfängliche Leser unter dem Einflüsse des Zaubers dieser Terzinen einen so lebhaften Genuss empfinden, dass es ihm vorkommt, als hätte das Gedicht ausser seinen eigenen Vorzügen noch alle die, die ihm abgehen. Von der epischen Ruhe, von dem objectiven Stil, der Heyse's eigentliches Ideal im Novellenfach ist, wird man hier nicht viel finden. Diese epische Ruhe passt vielleicht überhaupt weniger für den unruhigen Geist unserer Zeit. Vollständig ist die Verwirklichung dieses Ideals Heyse wohl eigentlich auch nur gelungen in den wenigen Prosanovellen, die das moderne Culturleben gar nicht berühren, wie in den genialen Pastichen aus der Vorzeit: „Die Stickerin von Treviso“ und „Geoffroy und Garcinde“, wo der edel einfältige Stil der altitalienischen oder provencalischen Erzählungen idealisirt ist, oder bei denjenigen Stoffen, die dem Leben des Volkes in Italien oder Tyrol entnommen sind; denn das Volk scheint ihm in jenen Ländern selbst ein naives und aus einem Guss geformtes Stück Mittelalter. Eine Erzählung wie das kleine Juwel „L'Arrabbiata“, das Heyse's Ruhm begründete, kommt erst durch ihre schlichte, strenge Einfassung zu ihrem Rechte; mit stilistischen Verzierungen oder mit psychologisch zugeschliffenen Facetten ausgestutzt, würde sie ihre ganze Schönheit verlieren, wenn nicht unmöglich sein. Ebenso ist „Die Stickerin von Treviso“, die wohl nach der eben genannten Novelle den grössten Beifall geerntet hat, in ihrer rührenden Einfachheit und Grösse auf solche Weise eins mit ihrer Chronikform, dass sie ohne diese gar nicht denkbar ist. Aber wo ganz moderne Eigenschaften und Scenen dargestellt werden, da kann der Stil kaum zu individuell und nervös sein. Heyse selbst kann es nicht unterlassen, sich in dieser Hinsicht nach seinem Stoffe zu richten; wie fieberhaft ist die Darstellung in der hübschen Krankengeschichte in Briefen „Unheilbar“! Indess lässt er sich augenscheinlich nur widerstrebend oder unfreiwillig zu einem so leidenschaftlich wogenden und zitternden Stil wie im „Salamander“ hinreissen. Diese Novelle ist lauter Vortrag, ihre Schönheit beruht ganz und gar auf der bestrickenden Anmuth der metrischen Diction und doch findet sich hier kein Wort, das nicht zur Sache gehört. Alles ist hier lebendiges Leben, jede stilistische Wendung tiefgefühlt und durchsichtig; die kämpfende Seele des Schreibenden liegt offen vor dem Leser. Die Situationen sind unbedeutend und alltäglich; keine bengalische Beleuchtung, nicht einmal in einem Schlusstableau. Aber diese merkwürdigen, unglaublich schönen, naturwidrig leichten, nervös leidenschaftlichen Terzinen verleihen mit ihrem Fragen und Antworten, Scherzen, Singen und Klagen der theatralisch natürlichen, beherrscht verliebten, blasirt koketten Heldin und der Leidenschaft, die sie einflösst, einen solchen Reiz, dass keine spannende Geschichte mit Angel- und Wendepunkt fesselnder sein könnte. Zum Abschluss tönen diese seltenen Terzinen, welche durch die Behandlung ein ganz neues Versmass geworden sind, ebenso überraschend wie genial und kühn, in die Accorde dreier naturfrischer Ritornelle aus. Allen Theorien zum Trotz behauptet eine Dichtung wie diese ihren Platz.

      Es will mich überhaupt bedünken, als mache Heyse sich einen unrichtigen Begriff von der Bedeutung des poetischen Stils. Theoretisch fürchtet er dessen selbständige Entwickelung und mag keine Werke, die „lauter Vortrag und Stil“ sind. Nichtsdestoweniger hat er in Gedichten wie „Das Feenkind“ und noch mehr in einem Gedichte wie „Frauenemancipation“ selbst solche Productionen geliefert. Das erste von diesen Gedichten ist fein und graziös, aber der Scherz dauert reichlich lange – von Schlagsahne isst man nicht gern allzu viel; das andere, dessen Tendenz übrigens die beste ist, leidet an einer Plauderhaftigkeit ohne Salz. Aber ein ausgeprägter Stil ist ja auch nicht dasselbe wie die formelle Virtuosität des Vortrags. Dass ein Sprachkünstler wie Heyse, der Uebersetzer Guisti's, der Troubadours, der italienischen und spanischen Volkslieder, diese im vollsten Masse besitzt, versteht sich von selbst. Allein der in Wahrheit künstlerische Stil ist nicht die formelle Anmuth, die sich gleichmässig über alles verbreitet: Stil im höchsten Sinne des Wortes ist Durchführung, in allen Punkten durchgeführte Form. Wo Sprachfarbe,

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